Auffangstation

21 01 2013

„Sind Sie da hinten, Rösler? Warten Sie noch einen Augenblick an der Kante. Ich bin gleich bei Ihnen. Nur einen kleinen Augenblick. Paar Sekunden, Rösler. Gleich. Dann können Sie springen.

Natürlich bin ich vom Kriseninterventionsteam. Oder hatten Sie gedacht, ich turne hier aus Jux und Tollerei auf dem Dach herum? Clown gefrühstückt, Rösler? Ja, so sehen Sie aus. Mein Ton? Was soll mit meinem Ton sein, Rösler? Haben Sie noch irgendwelche Sonderwünsche? Ich bin hier vom Sicherheitspersonal. Ich stelle sicher, dass Sie diesmal auch wirklich vom Dach hüpfen. Oder was hatten Sie sich vorgestellt? Dass Sie hier oben eine Runde schmollen können und wir irgendwann schon angelaufen kommen und betteln, dass Sie doch bitte herunterkommen? Geht’s noch!?

Ja sicher ist das hier roh. Das Leben ist nun mal kein Wunschkonzert, Rösler. Sie haben Nerven! Wir leben in einer Leistungsgesellschaft, schon vergessen? Und wenn einer es nicht bringt, dann schmeißt man ihn weg. Nicht raus, Rösler. Die Zeiten sind vorbei. Weg. So ist das heute. Wer aus irgendeinem Grund nicht mehr gebaucht wird, zu alt, überqualifiziert, Fusion, der Firma geht’s zu gut – okay, trifft auf Sie alles nicht zu, aber egal – wer nicht gebraucht wird, den schmeißt man weg. Ab in die soziale Hängematte, ins Freizeitparadies Deutschland, wo man sich dann in spätrömischer Dekadenz wiederfindet. So hatten Sie sich das doch gedacht, oder? Na, dann denken Sie mal weiter.

Mitleid können Sie sich abschminken. Ich bin zwar vom offiziellen Kriseninterventionsteam, aber wir sind privatisiert worden. Nur noch Zeitverträge, 35-Stunden-Jobs, Schichtzuschläge weg, und das Gehalt ist seit sieben Jahren nicht erhöht worden. Ich mache hier nur noch Dienst nach Vorschrift. Rauf aufs Dach, anschnauzen, und wenn einer nicht freiwillig springt, gibt’s aufs Maul. Die unten in der Auffangstation hatten ja früher auch mal einen besseren Job, aber was soll’s. Wir sind hier nicht in einer sozialistischen Wohlfühloase, hier wird auf Kundenwunsch gearbeitet. Und was Ihre Partei mit Minderleistern macht, dürfte Ihnen bekannt sein.

Sie werden so behandelt, wie Sie die anderen behandelt haben. Ist doch nicht so schwer zu verstehen, oder? Jammern Sie nicht, Rösler. Erstens ändert es nichts an der Lage, und zweitens ist meine Zeit begrenzt. Das interessiert außerdem keine Sau mehr. Hier oben hört sie keiner. Und kommen Sie gar nicht erst auf den Gedanken, mit mir zu verhandeln. Ich kann nichts dafür, dass Sie in Ihrem Leben bisher nichts auf die Reihe gekriegt haben. Und außer Ihnen dürfte auch niemand dafür verantwortlich sein. Nein, ich will Ihre Kohle nicht. Und ich springe auch nicht für Sie da runter. Das ist mal wieder so typisch für Sie, Rösler. Geld in die Hand nehmen, das man nicht hat, um andere in die Scheiße zu reiten, nur damit man selbst nicht geradestehen muss für die Folgen seiner eigenen Dummheit. Großartig, Rösler. Ganz großartig.

Ich soll Ihnen Hoffnung machen? Prima Idee. Das ist ja für einen Bundesminister und Parteichef auch keine Sache, die man einfach mal selbst auf die Reihe kriegt. Schlage vor, wir machen das wie bei Ihrem Schleckerfrauen-Einsatz. Bestimmt gibt es für Sie eine Anschlussverwendung, Rösler. Der Bundestag ist ja groß, der hat siebenmal so viel Sitze wie FDP-Abgeordnete. Und wenn’s für den Bundesvorsitzenden nicht mehr reicht, dann tritt doch ganz bestimmt der Vorsitzende der FDP im Saarland für Sie zurück, nicht wahr? Ach was, Rösler, das schaffen Sie schon. Sie sind ja nur Nebenverdiener, richtig? Die Kohle bringt doch bei Ihnen auch die Frau ins Haus, stimmt’s?

Sie werden wohl wissen, was jetzt kommt. Beim letzten Durchgang waren Sie auf der anderen Seite. Und jetzt sind Sie dran, Rösler. Wir machen das so, wie Sie das von Westerwelle kennen. Bis Sonntag wurde Geschlossenheit geheuchelt und Loyalität markiert, und einen Tag danach wird dann mit Ihnen aufgeräumt. Bis gestern stand der ganze Laden noch hinter Ihnen und war wie besoffen von Ihren epochalen Leistungen als Wirtschaftsgenie, epochaler Vizekanzler und charismatischer Führer der einzig relevanten politischen Kraft der freien Welt. Ab heute sind sich alle einig, dass Sie ein peinlicher Popanz sind, Rösler. Ein Schnösel, der nicht einmal unfallfrei Arroganz spielen kann. Ein kleines, krähendes Milchbübchen. Sie werden so behandelt, wie Sie die anderen behandelt haben.

Extrawurst, was? Für Sie macht doch keiner einen Finger krumm. Die haben seit einem Jahr gesammelt, was die Presse über Sie schreibt. Vor lauter Loyalität und Siegesgewissheit konnte ja keiner ahnen, dass die Partei total im Eimer ist. Oder dass Sie daran schuld sein könnten, Rösler. Da war bis gestern keinem klar. Jetzt kriegen Sie den ganzen Sott eben ab. Aber trösten Sie sich, der Lindner hat Ihnen das alte Zeugs mitgebracht, das fühlt sich dann wenigstens ein wenig vertraut an. Dass er Westerwelle noch nie hat ausstehen können, dass Westerwelle ein Volldepp ist, dass man unter ihm nicht arbeiten konnte, weil der alles, was man in mühevoller Kleinarbeit aufbaut, sofort mit dem Hintern wieder einreißt – kennen Sie, oder? Das werden Sie jetzt auch hören. Die haben nur eben den Namen ersetzt. Aus reiner Höflichkeit.

Gut, dann wären wir so weit. Springen Sie, Rösler. Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit. Sparen Sie sich die Volksreden, es glaubt Ihnen sowieso keiner mehr ein Wort. Einmal über die Brüstung, hopp, und weg. Los jetzt! Oder muss ich erst – gut so. Sehr gut. Schöner Aufschlag. Hallo, Kollegen? Der Nächste. Schickt mir Brüderle rauf.“