Ausnahmeregelung

28 02 2013

„Nein.“ „Sie sollten nicht vorschnell…“ „Nein!“ „… urteilen, schließlich könnten Sie durch uns wieder in die Regierung…“ „Nein! Die Basis will das nicht, die Wähler wollen das nicht. Nein.“ „Ach Gottchen, die Wähler? Sie sind mir ja einer – Sie interessieren sich ernsthaft für die Wähler? Denen ist das völlig wurst, ob es Schwarz-Grün gibt.“

„Wir haben uns da klar positioniert, es wird mit uns keine Unterstützung für die Politik von Merkel geben.“ „Welche Politik?“ „Hä!?“ „Selber hä. Die Politik von Frau Merkel werden Sie doch wohl nicht gemeint haben. Oder Sie haben eine ganz schön niederschwellige Auffassung, was man als Politik bezeichnen kann.“ „Deshalb werden wir das trotzdem nicht unterstützen.“ „Damit kommen Sie nicht durch. Die Kanzlerin wird sich unter Ihnen wegdrehen, während Sie noch ihren Standpunkt suchen.“ „Wie soll ich das bitte verstehen?“ „Sie können so viel gegen die Kanzlerin protestieren, wie Sie lustig sind. Am Ende holt sie Sie doch ein.“ „Mit ihrem Standpunkt?“ „Sie Witzbold, denken Sie doch mal nach. Standpunkt? sie hat doch gar keinen!“ „Und das soll uns jetzt davon überzeugen, eine Regierungskoalition mit ihr einzugehen?“ „Es wird Ihnen gar nichts anderes übrigbleiben.“ „Wie denn das?“ „Erinnern Sie sich an Fukushima?“ „Vage. Da war irgendwas mit Atomkraft.“ „Das war irgendwann mal Ihr Thema, wenn ich mich recht entsinne.“ „Falsche Perspektive! der Atomausstieg ist doch wohl viel zu wichtig, um ihn nur als innerparteiliche Machtperspektive…“ „Ah, ich sehe schon, Sie haben bereits aufgegeben. Wer mit dieser Einstellung gegen Merkel kämpfen will, kann’s nämlich auch gleich lasen.“

„Warum sollten wir eigentlich gegen Merkel kämpfen? Sie sagen doch, sie wollte mit uns koalieren?“ „Sie werden kämpfen, weil Sie kämpfen müssen. Ihnen bleibt gar nichts anderes übrig.“ „Und wenn nicht?“ „Dann überleben Sie die Legislaturperiode nicht. Sehen Sie sich doch an, in welchem Zustand Merkel die FDP überlassen hat.“ „Na gut, die sind auch selbst schuld. Man macht nicht so ein Theater, nur um ein paar Lobbyisten mit Wahlgeschenken zu…“ „Und die SPD.“ „Okay, das überzeugt mich.“

„Sie werden kämpfen, und wenn Sie nicht alles in die Waagschale werfen, werden Sie assimiliert.“ „Das heißt, wir werden Teil der CDU?“ „Erst im zweiten Schritt.“ „Und im ersten?“ „Da nehmen wir Ihnen die Eigenständigkeit.“ „Die Eigenständigkeit nehmen, wie soll das denn funktionieren?“ „Es funktioniert schon. Die Anfänge sind längst gemacht, denken Sie nur an Fukushima.“ „Aber wir haben in der letzten Bundesregierung auch klare Akzente gesetzt für den Atomausstieg mit den Sozialdemokraten.“ „Als Grüne.“ „Natürlich als Grüne, als was denn sonst?“ „Jetzt setzt die Kanzlerin die Akzente, und zwar nicht erst im Wahlkampf.“ „Sondern?“ „Es gibt eine Ausnahmeregelung.“ „Ausnahme? wovon?“ „Sie werden ausgenommen, zwar wie eine Weihnachtsgans. Schauen Sie sich heute die SPD an – Mindestlohn, höhere Spitzensteuersätze, Bankenregulierung, Finanztransaktionssteuer, Kita-Plätze, gleichgeschlechtliche Ehe, Abschaffung der Wehrpflicht, Atomausstieg, das ist jetzt alles Merkel.“ „Ich glaube kaum, dass die CDU…“ „Obacht, ich sagte: Merkel. Sie wollen mir doch nicht weismachen, dass die CDU freiwillig irgendetwas für Kinder und Schwule täte?“

„Und im zweiten Schritt?“ „Da wird’s dann ernst. Da regieren Sie mit, und dann brauchen Sie jeden Fußbreit, auf dem Sie stehen können.“ „Sie sagten, wir werden Teil der CDU?“ „Allerdings. Und das stellen Sie sich mal nicht zu angenehm vor.“ „Ach, wieso? Man ist Teil einer großen, traditionellen Volkspartei, die ein festes Weltbild aus konservativen Werten vertritt.“ „Man sitzt vor allem an einem Kabinettstisch mit realitätsfremden Populisten, die bei jeder sich bietenden Gelegenheit gefährlichen Unsinn verzapfen. Das färbt ab.“ „Sie meinen, wir werden auch so balla-balla?“ „Das nun nicht, aber wann immer einer von denen etwas äußert, wird es heißen: die Regierung.“ „Und?“ „Die Regierung sind dann Sie.“ „Aber das hieße ja, wir müssten für diesen Mist mit geradestehen!?“ „Nicht ganz. Sie kriegen das in die Schuhe geschoben.“ „Das ist ungerecht!“ „Das funktioniert wie die Bankenrettung. Verluste werden geteilt.“

„Wir werden diese Politik nicht unterstützen, sie zielt letztlich nur darauf, die linken Kräfte in Deutschland zu schwächen.“ „Wenn Sie mir noch verraten würden, wer damit gemeint sein könnte? Die Grünen oder die SPD ja wohl ganz bestimmt nicht.“ „Wir werden auf gar keinen Fall Merkel strukturell dabei unterstützen, eine neoliberale Politik der sozialen Ungerechtigkeit…“ „Hartz.“ „Hä!?“ „Das war nicht die Erfindung von Merkel, also kriegen Sie sich mal wieder ein.“ „Wir waren damals nur der Juniorpartner von Schröder, das ging nicht anders.“ „Sie waren im vergangenen entschieden gegen ein Sanktionsmoratorium.“ „Das hat nichts damit zu tun, aber die Idee kam von den Linken, das konnten wir nicht mitmachen.“

„Richten Sie sich darauf ein, dass Sie früher oder später in der Falle sitzen.“ „Vergessen Sie’s. Wenn wir uns weigern, wird die CDU inhaltlich und personell ganz einfach zu Boden gehen. Da passiert doch nichts mehr, seitdem Merkel alles wegbeißt, was intelligenter ist als Sägemehl.“ „Sie werden sich daran gewöhnen, dass ihre Moral flexibel und ihre Wertvorstellungen dehnbar sind.“ „Sicher, am besten noch mit der CSU zusammen.“ „Sie werden ihre strukturkonservative Seite zu schätzen lernen.“ „Pff!“ „Sie sind Außenminister.“ „Wann geht’s los!?“





Nouvelle cuisine

27 02 2013

„… dass die Hacksteaks einen erheblichen Anteil an Hundefleisch aufgewiesen hätten. Keine der Kontrollen habe verhindern können, dass die Kantine des Deutschen Bundestages die tiefgekühlten…“

„… es nun ernst sei mit den Kontrollen. Gefordert sei ein striktes Durchgreifen, um die Gesetzesverstöße zu ahnden, zumindest aber, um sie aufzudecken und möglichst genau darüber zu spekulieren, wer die…“

„… zu einem Rückgang des Fleischverzehrs gekommen sei. Die Abgeordneten hätten stattdessen überbackenen Blumenkohl und Tofu-Bratlinge…“

„… habe Aigner versprochen, noch vor Beginn des Wahlkampfs einen Schuldigen zu…“

„… habe Niebel in der Bundespressekonferenz verlautbaren lassen, die im Bundestag gefundene Maultier-Bolognese dürfe nicht weggeworfen werden, solange es Schmarotzer und arbeitsscheues Gesindel gebe, das kein Recht auf normale…“

„… aus Österreich gemeldet worden sei, dass in der Bauernwurst tatsächlich Spuren von…“

„… sich zwar um Flüssigeidotter gehandelt haben, das für die Mayonnaise angekauft worden sein solle, jedoch weder vom Huhn noch in einem Zustand, der für den menschlichen Genuss…“

„… die Speisenauswahl verteidigt. Schröder habe die verbilligten Tiefkühlmenüs nie als schwer durchsetzungsfähig betrachtet, da auch die Nouvelle cuisine anfangs auf erhebliche Widerstände gestoßen sei. Man müsse, so die Kohl-Anhängerin, bis heute Männern beibringen, dass Brokkoli nicht gefährlich…“

„… verteidige der Gastronom das Speisenangebot als exotisch, aber nicht als ungenießbar. Meerschweinchen seien zwar in Europa noch nicht als Fleischlieferanten…“

„… den Entwicklungsminister dahin gehend missverstanden zu haben, dass die verunreinigten Fleischprodukte nun ausschließlich für Mitglieder der FDP-Bundestagsfraktion…“

„… sich die isländische Delegation auf dem Berliner Finanzgipfel mit feinstem Gammelfleisch für die Einladung bedankt…“

„… Sarrazin erklärt habe, er würde sofort eine Portion Maulwurf-Ravioli verzehren. Die bei ihm diagnostizierte Vergiftung mit Pflanzenschutzmitteln habe durch eine sofortige Magenspülung…“

„… laut Aussage des Veterinäramtes um DNA-Bestandteile einer Hauskatze gehandelt haben müsse. Die im Bundesfinanzministerium angebotenen Speisen seien zunächst nicht mehr…“

„… habe Aigner ihren 10-Punkte-Plan spontan um zwei weitere Positionen…“

„… glimpflich ausgegangen, da ein Übersetzungsfehler vorgelegen habe. Es habe in der Lasagne kein Hundefleisch, sondern Hundefutter…“

„… es sich bei den Bestandteilen des Desserts im Konrad-Adenauer-Haus nicht um einen Beitrag zur Insektenküche gehandelt habe, sondern um den üblichen Schabenbefall in der…“

„… sei die Verwendung von Robben in der Spitzengastronomie weiterhin unmöglich. Als mögliche Alternative, da die Wale ohnehin schon erlegt worden seien, biete sich daher…“

„… die chinesische Botschaft von den Kontrollen nicht ausgenommen sei. Merkel habe angekündigt, die Einhaltung des Lebensmittelrechts genauso streng überwachen zu lassen wie Produktpiraterie, Menschenrechte und…“

„… kein Vertrauen mehr bei der Bundestagsverwaltung genieße. Die als Bio-Froschschenkel deklarierten Fleischstücke seien nicht verwendet worden, da sie ebenso aus konventioneller Aufzucht…“

„… das nunmehr als 14-Punkte-Papier veröffentlichte Memorandum vorgestellt habe. Die Eckdaten entsprächen ungefähr dem Stand der 1898 in Chile beschlossenen…“

„… sich das auf dem Kanzlerfest als Straußensteak deklarierte Fleisch bei einer überraschenden Kontrolle als Krokodillende entpuppt habe. Der Beamte sei sofort vom Dienst suspendiert und…“

„… eine noch genauere Analyse, wenngleich diese die Kosten erhöhen würde. Das Ministerium für Verbraucherschutz habe bereits die Anschaffung von Gummihandschuhen als professionell, aber überflüssig bezeichnet, da die überwiegende Anzahl der Kontrollen weiterhin fernmündlich aus dem Ministerium…“

„… dass die von Steinbrück als Wahlkampf-Geschenk georderte einzeln eingeschweißte Bärchenwurst tatsächlich Bestandteile von…“

„… kompromissbereit. Nach intensiven Gesprächen mit den Interessenverbänden der Fleischerzeuger habe man sich auf eine drei Punkte umfassende…“

„… der Rücktritt Seehofers nur noch eine Formfrage sein könne. Der CSU-Vorsitzende habe die Weißwurst verteidigt, obgleich sie nach dem Laborbefund auch für Veganer geeignet…“

„… werde der Abgeordnete Hartwig Fischer (CDU) seit mehreren Tagen vermisst. Auf Anfrage des Fertiggerichtherstellers werde nach wie vor gemeldet, Fischer halte sich in der Produktion auf und werde bald wieder an die Öffentlichkeit…“





Schlag den Kanzler

26 02 2013

„Das ist doch geschmacklos!“ „Ist das Politik nicht grundsätzlich?“ „Übertreiben Sie doch nicht immer so!“ „Und was tun Sie da gerade?“ „Ich finde das einfach geschmacklos! Das ist unter aller Kanone – Stefan Raab moderiert ein Kanzlerduell, das ist ja ekelhaft!“ „Meine Güte, regen Sie sich mal ab. Das ist schließlich der einzige Weg, überhaupt jemanden für diese Wahl zu begeistern.“

„Man hätte doch wenigstens einen politisch engagierten Journalisten dafür nehmen können.“ „Ich weiß gerade nicht, ob ich wegen ‚politisch‘ kichern oder wegen ‚engagiert‘ kotzen soll.“ „Von Beckmann hat ja auch keiner gesprochen.“ „Da hätte ich schon Einwände bei ‚Journalist‘ gehabt.“ „Ja, ja. Aber Sie sehen es doch selbst, dies Programm zielt bloß darauf ab, eine Rampensau gegen zwei Kanzlerkandidaten antreten zu lassen.“ „Ist doch klasse. Meinung muss sich wieder…“ „Sie brauchen gar keine Tricks zu versuchen, ich merke das.“ „Sorry, ich meinte natürlich: Leistung muss sich wieder lohnen. Wir haben schließlich die Auswahl zwischen einer streng neoliberalen Kanzlerkandidatin und einem streng neoliberalen Kanzlerkandidaten, die unterschreiben das sofort.“ „Und worin liegt nun die Leistung?“ „Eine Sendung mit Stefan Raab ohne Hirnembolie zu überstehen. Wenn Sie danach nicht eins an der Marmel haben, dann Hut ab.“

„Jetzt stellen Sie sich mal vor, der Raab macht diese Sendung tatsächlich und…“ „Ist ja nicht ausgeschlossen.“ „… die Kandidaten müssen aufs Eis und…“ „Wo sind sie denn sonst?“ „… irgendwelche blöden Verrenkungen machen und…“ „Meine Güte, erzählen Sie doch mal was Neues! Ein drittklassiger Hanswurst bringt Politiker dazu, Unsinn abzusondern – das haben wir jeden Sonntag nach zehn, das haut keinen mehr vom Hocker.“ „Aber ich sehe es kommen, sie werden da Spielchen machen.“ „Passiert in Berlin auch.“ „Unwürdige Spielchen!“ „Ach was.“ „Mit Schlamm und Ungeziefer!“ „Womit verwechseln Sie das gerade, mit dem Dschungelcamp oder mit dem CSU-Parteitag?“ „Das wird eine Herabwürdigung des Wählers!“ „Die sehen Sie derzeit schon, wenn Sie das anschalten, was als Bundestagsdebatte verkauft wird.“ „Billiger Nervenkitzel!“ „Lassen Sie bitte die FDP aus dem Spiel.“ „Und Steinbrück!“ „Stimmt. Das ist echt eine Zumutung.“

„Ich meine ja nicht Steinbrück, sondern…“ „Nämlich?“ „… die Art, wie er sich gegen diese Sendung sträubt.“ „Gegen die Sendung?“ „Ich weiß nicht, aber zumindest fand er Stefan Raab auch nicht passend.“ „Er sucht also eine Ausrede, nicht gegen die Kanzlerin antreten zu müssen.“ „Das hat er gar nicht gesagt.“ „Hätte mich auch sehr gewundert.“ „Sie sind sich sicher, dass er kneift?“ „Alles andere würde sich schlecht in seinem Lebenslauf machen.“

„Politik ist eben keine Unterhaltungssendung, sondern…“ „… was? Sie wollen mir doch nicht weismachen, dass dieser Klamauk ernsthaft etwas mit Unterhaltung zu tun hätte?“ „Womit denn dann?“ „Eher mit Politik. Was man bereits am gleichbleibend verheerenden Niveau bemerkt haben sollte.“ „Stefan Raab meint jedenfalls, er sei der Sache intellektuell gewachsen.“ „Die Kanzlerin sollte das als persönliche Beleidigung auffassen.“ „Und diese Gametalkshow oder Talkgameshow oder…“ „Was denn nun?“ „Dieses Gelaber halt, das kommt doch völlig ohne Inhalte aus.“ „Meinung muss sich wieder lohnen.“ „Eben.“ „Aber er hat doch keine!“ „Eben.“ „Und kassiert trotzdem… ach so, verstehe. Verstehe.“

„Werden Sie doch mal geschmeidig, es könnte schlimmer kommen.“ „Mit Stoiber als Moderator?“ „Sie haben ja vielleicht eine schräge Fantasie – Komödienstammel, was?“ „Ich muss doch sehr…“ „Regen Sie sich ab, es könnte wirklich schlimmer kommen. Stellen Sie sich mal eine Samstagabend-Show vor.“ „Schlag den Kanzler?“ „Zum Beispiel.“ „Und die Kandidaten müssen aus dem hohlen Bauch nachprüfbare Fakten zur Staatsverschuldung kommentieren?“ „Beispielsweise.“ „Und Fragen beantworten zur Methode, nach der die deutsche Arbeitslosenstatistik und der Armutsbericht geschönt werden?“ „Könnte man machen.“ „Mit Bogenschießen für den Bildungsetat und Faustkampf um ALG-II-Sätze?“ „Verlockende Vorschläge.“ „Ich bitte Sie, das will doch keiner im Fernsehnen haben.“ „Nicht? warum denn nicht? Den Grimme-Preis bekommt doch heutzutage auch jeder Scheißdreck.“ „Aber da weiß man wenigstens vorher, dass es sich um Trash handelt.“

„Wenn ich ehrlich bin, ich hätte wenigstens ein zünftiges Wok-Rennen erwartet.“ „Natürlich, Ihnen ist ja vor nichts eklig.“ „Oder Bauchklatschen.“ „Sie meinen Turmspringen?“ „Mir doch egal, wie das Gehampel heißt.“ „Sie sind auch schon von diesem TV-Totalitarismus vereinnahmt, oder?“ „Wie kommen Sie denn darauf?“ „Am liebsten wäre Ihnen doch eine permanente Comedy ohne Rücksicht auf Geschmack und Moral.“ „Das würde sicher am besten passen.“ „Fraglich.“ „Wieso fraglich?“ „Falls wir eigene Personalvorstellungen haben sollten.“ „Zu Stefan Raab?“ „Ach was, den nehmen wir. Nur…“ „Was denn?“ „Er behält sich die Entscheidung vor, wer als Kanzlerkandidat antreten darf.“





Leihweise

25 02 2013

„Und wie viele bräuchten Sie dafür? zweihundert? Das lässt sich machen. Die haben Sie bis morgen früh zusammen. Alle instruiert, alle wissen Sie, was sie zu tun haben. Keiner tanzt aus der Reihe und garantiert keiner stellt irgendwelche Fragen. Verlassen Sie sich darauf. Unser Personal ist wirklich erstklassig. Wir haben schließlich einen Ruf zu verlieren als Deutscher Bundestag.

Man muss eben mit gutem Beispiel vorangehen und sich an die modernen Arbeitsmethoden anpassen. Daran führt kein Weg vorbei. Deshalb setzen wir auf Leiharbeit – Sie sagen uns, wofür Sie welche Abgeordneten wo brauchen, und wir organisieren das für Sie. Alles aus einer Hand. Aus der öffentlichen. Unabhängig? Na klar, alle unsere Abgeordneten sind vollkommen unabhängig. Die verdienen so viel nebenbei, dass die auf ihre Diäten quasi gar nicht mehr – ach so. Doch, da sind sie auch unabhängig. Wenn sie der Meinung sind, dass sie sich nicht mehr an die Vorschriften der Leiharbeitsbranche halten müssen, dann zeigen wir ihnen, wie schnell ganz und gar unabhängig von ihrem bisherigen Job sind. Haben Sie damit ein Problem? Na also, dachte ich mir.

Wir machen das komplette Handling, absolut passgenau. Die Abgeordneten sind genauso gut informiert, wie Sie das gerne hätten. Referenzen? Nehmen Sie einen von diesen Rettungsschirmen, da wussten die Parlamentarier so gut wie fast alles. Hinterher, richtig. Sie wurden zeitnah nach der Abstimmung informiert, worum es sich gedreht hat und was ihr Votum für Konsequenzen würde haben können. Zu spät ist ja immer noch früh genug, oder? Dafür haben Sie als Auftraggeber absolute Rechtssicherheit. Sie können sich absolut sicher sein, dass hier Recht geschaffen wird, an das Sie sich spät halten können, wenn Sie gerne möchten. Vertrauensschutz ist für uns sehr wichtig – wir wollen Sie als langfristigen Auftraggeber behalten, möglichst über diverse Regierungswechsel hinweg, oder im Falle Ihres Landes: auch dann, wenn ein paar Mitarbeiter Ihres Herrschaftssystems eine zivile Auseinandersetzung mit der Bevölkerung nicht überleben. Und Sie können sich auch sicher sein, dass wir die Rechtssicherheit entsprechend durchsetzen. Wir verfügen unsererseits über eine Bevölkerung, die dafür geradesteht. Die haben ja offiziell die Abgeordneten gewählt. Jetzt sollen sie den Mist auch bezahlen.

Für die Abgeordneten? Natürlich hat das für die Abgeordneten auch Vorteile. Beispielsweise sorgen wir dafür, dass sie ordentliche Ruhestandsbezüge erhalten. Und dass sie sich alle vier Jahre wieder auf ihre Stelle bewerben dürfen, entsprechendes Wohlverhalten vorausgesetzt. Wir lösen das mit dem Mindestlohn auf unsere eigene Art: wir kümmern uns nicht um Tarifverträge, wir zahlen da, wo das Geld gut angelegt ist. Damit ist allen gedient. Außerdem haben wir einen sehr flexiblen Kündigungsschutz: bei uns erfahren die Mitarbeiter noch am selben Wahlabend, ob sie weiterbeschäftigt werden. Das nenne ich Service!

Möchten Sie vielleicht noch irgendwelche Extras? Ich frage für Ihre PR-Abteilung. Falls Sie auf eine vorherige Bundestagsdebatte Wert legen sollten, können wir das gerne für Sie arrangieren. Vielleicht möchten Sie einen Abweichler aus der Regierungspartei, der dann kurzfristig von der Kanzlerin daran erinnert wird, dass das Grundgesetz allein keine Kursgewinne macht? Oder Sie wünschen eine Diskussion um ethische Werte, die von der Opposition zwar moralisch gewonnen wird, was sich allerdings in der Abstimmung nicht weiter niederschlägt? Möglich ist da alles. Wir arbeiten immer nach Kundenwunsch, das wissen Sie.

Sicherlich hat diese Flexibilisierung auch Grenzen, da gebe ich Ihnen Recht. Bei Verstößen gegen Gesetze und Richtlinien beispielsweise, da muss man sehr vorsichtig sein. Wir sind auch sehr vorsichtig, aber manchmal lässt es sich eben nicht verhindern, dass da eine Behörde plötzlich anfängt, auf eigene Faust zu ermitteln. Wenn’s ganz ungerecht wird, macht sogar die Justiz mit. Da ist man manchmal wirklich machtlos. Aber sehen Sie, wann passiert das schon mal? Eben.

Gesetze einhalten? Es kommt vor allem darauf an, dass jemand genau darauf achtet, ob und wie die Gesetze eingehalten werden. Sie brauchen hier in der Politik eine ganze Menge organisatorischen Aufwand, um die Wirtschaft zu kontrollieren. Bundesministerien, Bundesämter, Landesämter, regionale Behörden, zwanzig Beauftragte, einen Koordinator für die EU, einen Kommissar, noch einen, zwei Ausschüsse im Bundestag, eine regierungsunabhängige Forschungsgruppe, und dann sehen wir, ob die Wirtschaft der Politik auf der Nase herumtanzt. Das geht umgekehrt viel einfacher.

Also zweihundert Abgeordnete, die winken das Gesetz durch, den Rest erledigen die Ausschüsse. Gute Wahl. Nein, bedaure. Nein, wir sind nur der Deutsche Bundestag. Für das Bundesverfassungsgericht sind wir nicht zuständig, die arbeiten immer noch auf eigene Verantwortung. Dafür müssen Sie selbst sorgen, dass Ihre Vorlage nicht gekippt wird. Wir könnten Sie da höchstens beraten. Käme immer darauf an, was Sie herstellen. Ach, Panzer?“





Was die Glaskugel zeigt

24 02 2013

Suleika, bürgerlich: Frau Schmidt
geht morgens in Büro.
Ihr Kügelchen, das nimmt sie mit,
denn es verhält sich so,
dass dieses kleine Ding aus Glas
enthüllt, was sich versteckt
vor dieser Welt. Was sie drin las,
manch andern hat’s erschreckt.
    Zum Beispiel, was das Wetter macht:
    der Wind hält an, es friert zur Nacht,
    der Schnee schmilzt ab, es bleibt die Pfütze –
    wie sonst, dieselbe Grütze.

Ob sie der Herr von nebenan
wohl aus ins Kino führt?
An ihm ist obenrum nichts dran,
jedoch er stiert und giert.
Jetzt hat er freitags keine Zeit.
Dann kommt ein Blumentopf,
dann ist er wohl noch nicht so weit –
verflucht, was für ein Tropf!
    Die Kugel sagt, wie’s kommen soll,
    er hat die Hosen nämlich voll
    und schafft es nicht, der tumbe Freier.
    Wie sonst, dieselbe Leier.

Und in Berlin? das Glas beschlägt.
Suleika putzt und putzt,
weil Staub sich auf die Kuppel legt,
und jeden Spalt verschmutzt.
Da sind so viele, Grün und Rot
und Schwarz und Gelb dabei,
was sich da zeigt, ist große Not.
Bald ists’s damit vorbei,
    dann tun wir so, als sei es Wahl,
    und sie vollführen wieder mal
    uns die Koalition, die große –
    wie sonst. Dieselbe Soße.





In fünf Zeilen um die Welt. Limericks (CXXX)

23 02 2013

Herr Bláha, der suchte in Znaim
zum Dichten verzweifelt den Reim,
der Verse vollendet
und Wohlklang drin spendet,
nun also: was reimt sich auf „Keim“?

Es saß Ramzi weinend in Kufa
und schaute hinaus auf das Ufer.
Des Baumeisters Werke
fraß Ozeans Stärke.
Das Haus, das dort gestern stand, schuf er.

Frau Bydžovská nähte in Eger
aus zwei Schafen den Bettvorleger,
den ihr Gatte wollte.
Da sein Wanst stark rollte,
näht sie aus dem Rest Hosenträger.

Ignacio, der sucht in Corral
die Harke. Die liegt dort im Stall.
Mit diesen Geräten
ist Vorsicht erbeten,
sonst naht sich der Kopf-Stiel-Aufprall.

Es steht Onkel Zdeněk in Grätz
vorm Richter: so ist das Gesetz.
„Jetzt komm ich“, so sagt er,
„zu spät. Nun, dann fragt er –
wär’s gut, wenn ich ihn gleich versetz.“

Giampiero zahlt in Antegnate
die Schulden – bis auf eine Rate.
Man ließ ihn rasch wissen,
man will die nicht missen,
so sagt es zumindest der Pate.

Frau Majerová sah in Kosten
im Laden recht nutzlose Posten.
Sie goss jene fleißig,
und siehe: nach dreißig
Werktagen sind sie am Verrosten.





Gernulf Olzheimer kommentiert (CLXXXV): Die Light-Lüge

22 02 2013
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Es begab sich zu der Zeit, als Hirnversalzung und Kopfaua Einzug gehalten hatten mit Tatütata und Tschingderassabumm, da plärrten Generationen kognitiver Dünndruckprodukte nach Artefakten und Nachbauzeugs, echtem Tinnef aus Neugablonz, Ufftata auf Synthesizer-Art und Leckerchen aus Proteinabfällen, passend zum aufkeimenden Körperkult der Individualistenepoche, wo das Menschliche sich zu verflüchtigen schien als Erdenrest, den es selbst hinweg trug. Das Grundübel des Hominidengeschlechts, die an den Zähnen schmerzende Dusseligkeit des durchschnittlichen Dumpfschlumpfs, sie sitzt festgenietet im Oberstübchen und wartet auf schönes Wetter zwischen den Ohren. Der Mensch will nicht tun und schaffen, nicht sich strebend bemühen, sondern haben, raffen, einsacken. Am liebsten äße er das Schnitzel zweimal, was konsequenterweise zur Bulimie führte. Oder aber gleich zur Light-Lüge.

Genuss ohne Reue verspricht jeder Pomps aus der Tube, der Bekloppte kann sein Schnitzel tatsächlich zweimal essen, ohne an die Konsequenz denken zu müssen – eine Vorstellung wie der Himmel auf Erden, für jede noch so infantile Befriedigung der Gier die Instant-Absolution gleich mitzukaufen. Doch genau genommen ist dieser Himmel die perfekte Hölle, die Aufforderung an den vielseitig ungebildeten Teilzeitmaterialisten, sich der unreflektierten Vollverstopfung hinzugeben und den eigentlichen Konsumgrund, den Genuss, zur Maßlosigkeit zu steigern. Exzessives Fressen erst, das dann ohne Moral bleibt, scheint das Motto der fetten Jahre zu sein, die paradoxerweise nur die jugendliche Schlankheit, das übersteigerte Ideal der Proportionen zum Maß aller Dinge erhebt. Der Beknackte will sich ein halbes Schwein auf Toast hinters Zäpfchen schwiemeln, aber nicht zunehmen. Er muss die grundlegenden Dinge erst gründlich denaturieren, dann fühlt er sich frei. Fettfrei, zuckerfrei, frei von zu viel Ballaststoffen.

Und schon kleistert sich das Kompetenzimitat mit der hippen Klapperfigur anlässlich der Kalorienfestspiele Leichtzeugs aufs Dünnbrot. Was wäre eine Wahnidee, hätte der Gesetzgeber, die steuerfinanzierte Trottelhalde, nicht haargenau beschlossen und bestimmt, welcher Hirnschaden noch als gesunder Menschenverstand zu gelten hat. Hat ein Lebensmittel bis zu 60 Prozent Brennwert der normalen Variante, so darf es sich als leicht, neusprech: light feiern lassen. Damit sind der Denkerleichterung keine Grenzen mehr gesetzt, das Gehirngestrüpp der Torfköppe darf ungehindert ins Kraut schießen. Verfügt ein Fruchtsaft dank massivem Einsatz von Ersatzstoffen über 40 Prozent weniger Kilokalorien als die unverpanschte Plempe, darf reißerisch vom Etikett jodeln, dass das Zeug für reduzierte Existenzen gefertigt wurde. So cholesterinarm, fettbefreit, geschmacksentschlackt das alles aber rinnt und rieselt, so nano wäre der Aufwand, statt des zusammengeharkten Gesöffs gleich Mineralwasser oder Tee zu trinken, aus diesem und jenem eine Schorle zu hämmern oder aber – und das verlangte mehr als Tatkraft – schlicht die Menge des Getränks durch gezielte Dosierung an den gesundheitlich unbedenklichen Bedarf anzupassen. Aber wer genösse schon ohne Reue, müsste er sich ernsthaft mit Konsum und Konsumiertem auseinandersetzen.

So merkt der Hohlrabi auch nicht, wie er von der Industrie gnadenlos verschaukelt wird. Natürliche Fette und Zucker, sinnvoll von der Evolution in abbaubare Eiweißstrukturen montiert, dienen zunächst der Arterhaltung, dann dem individuellen Glück, und zwar jenem des Lieferanten. Die Beere ist nicht für den psychisch gestörten Tortenlutscher süß, das Schwein wird nicht für den Schinken drall. Was diese Stoffe aber zu interessanten Ingredienzien werden lässt, ist auch der Grund, warum je ein Hominide sich Marmelade auf die Stulle kleckern ließ oder die Sau auf den Bratspieß steckte. Sie transportieren Geschmack und Konsistenz, Farbe und biologisches Gleichgewicht, bis man sie aus dem Plastepack mit der Axt vertrieb. Und ergo werden die Konfitüren koloriert, Gurken geschönt und gesüßt und der Hinterschinken haltbar gemacht mit dem Zeug, das sonst die Schimmelbildung am Boden verhindern sollte. Die erste Schmierwurst aus Stretch mit Lycra lässt sich nicht mehr verhindern, und es gilt als sicher, dass der Schmadder nachts im Kühlschrank brummt. Wir wollten es so.

Und wir werden es so kriegen, inklusive der verhassten Konsequenzen. Reue ohne Genuss wird auf dem Fuße folgen, der Tumor der späten Jahre wird sich des milden Irrsinns nicht mehr entsinnen, da wir quasi physislos zu essen gedachten, ganz erstaunt, dass unten immer noch etwas rauskommt. Dafür dreht die Veralberungsindustrie völlig frei und schmeißt Light-Wasser auf den ahnungslosen Konsumenten. Was schweres Wasser anrichtet: geschenkt, was aber wäre leichter als Wasser? Vermutlich Helium. Und wer trinkt das schon.





Gestochen scharf

21 02 2013

Georgi blinzelte; der rechte kleine Monitor in der dritten Reihe musste etwas nachjustiert werden. „Das ist ganz schön anstrengend“, informierte er mich. „Sie stellen sich den Beruf des Pförtners wohl recht einfach vor, aber das hat hier alles mit Technik zu tun. Ganz technische Technik, wissen Sie. Und da muss man ganz schön aufpassen.“

Der schon grau angelaufene Feuerwehrmann saß in seinem Glaskasten, links und rechts und hinten eine Wand aus grauen Bildschirmchen, eins neben und unter und über und neben den anderen grauen Bildschirmchen, wie ein rechteckig angeordnetes, graues Fliegenauge. Nur manchmal musste er sich umdrehen und seinem Beruf als Pförtner nachgehen. Dann tippte er sich mit zwei Fingern an den Mützenschirm, ließ einen der Direktoren passieren, guckte einem Abteilungsleiter jovial hinterher oder schnauzte einen Praktikanten an, der nicht schnell genug den Eingang passierte. Währenddessen sah man Treppenabsätze auf den Monitoren, einen Innenhof, eine Ecke des Parkplatzes und zahlreiche undefinierbare Maschinen, die stampften, kreiselten und Dinge taten, die man nicht begriff. Die Klöbner-Werke stellten sicher etwas her, das dem Fortbestand der Welt diente, allein ich wusste nicht, was. Und es interessierte mich auch nicht sonderlich.

„Wir mussten ja nun diese Kameras bei uns aufstellen.“ Er deutete auf seinen Schaltkasten. „Hier können Sie die drehen, und dann runter, und zack! sehen Sie gar nichts mehr. Weil man die drehen kann.“ Ich nickte. „Sie erfüllen die Vorgaben der Bundesregierung ja ziemlich genau.“ Zwar hatte die Regierung die umfassende Überwachung von Arbeitnehmern gerade auf öffentlichen Druck vom Zettel genommen, aber das änderte nichts an der Tatsache, dass die Wirtschaft angekurbelt werden muss. „Die wollen alle ihre Geräte verkaufen, und das gibt ganz schön Druck, müssen Sie wissen. Wir sind sogar von der Gewerkschaft aufgefordert worden, offene Überwachung zu installieren. Und das haben wir dann ja auch gemacht, Willi und ich.“

Man konnte förmlich hören, wie der Apparat an der Wand surrte und zur Seite fuhr. „Hier haben Sie den sogenannten toten Winkel, und hier haben Sie ihn nicht.“ Ich runzelte die Stirn. Georgi bemerkte es und drehte die Kamera sofort zur Seite. „Von hier aus sehen Sie die ganze Treppe von links, und von da aus sehen Sie die ganze Treppe von rechts.“ „Großartig“, bemerkte ich trocken. „Ich schätze, Sie haben für diesen Film bereits einen Grimme-Preis bekommen?“ Georgi schüttelte den Kopf. „Das nun gerade nicht, aber es ist eine sehr wichtige Kamera. Jeden Morgen um halb zehn kommt Herr Direktor Klöbner die Treppe herunter, um Halle D zu besichtigen.“ „Lassen Sie mich raten: Sie können ihn nun vorher von zwei Seiten sehen?“ Der Pförtner nickte befriedigt. „Allerdings“, antwortete er. „Und das Beste ist, dass ich damit die Kamera in Halle D bewegen kann.“ Er ließ den Bildapparat hin und her, her und hin fahren. Sofort stürzten die Arbeiter zu ihren Werkbänken, droschen auf Bleche und polierten Metallstangen. In dieser Firma herrschte noch Ordnung.

„Man kann also durchaus behaupten, dass die Geräte der Sicherung von Arbeitsplätzen dienen.“ Er nickte. „In der Tat, und nicht nur das. Schauen Sie mal hier.“ Einer der kleinen Bildschirme links unten zeigte einen Treppenabsatz des Westflügels. Langsam zoomte die Kamera sich heran, immer größer wurde die Fensterbank. „Hier hat der Kollege Schnedermann letzten Monat seinen Schlüssel vergessen, als er auf Kontrollgang war. Er hat sein Taschentuch aus der Hose gezogen, und dabei muss ihm das Schlüsselbund entglitten sein.“ Ich begriff sofort. Die Kamera hatte den Verlust im Nu aufgeklärt und lückenlos für präventive Sicherheit gesorgt, bevor der Hauch einer Straftat auch nur geplant worden wäre. „Schnedermann war kaum zurück von seinem Kontrollgang, da hatten wir die Schlüssel auch schon gefunden. Ich habe sie dann von einem Lehrling holen lassen.“ Georgi sah befriedigt auf die Linse, die langsam wieder rauszoomte. „Gestochen scharf!“

Natürlich konnte man mit den Dingern auch noch andere Sicherheitsmaßnahmen durchführen. „Das ist doch ganz schön“, meinte er. „Die Kamera nimmt die Rückbänke unserer Wagen auf dem Parkplatz auf. So wussten wir, dass der Abteilungsleiter seiner Frau zu Weihnachten einen Pelzmantel schenkt.“ Das war in der Tat praktisch; am Ende hätte sonst noch die ganze Belegschaft zusammengelegt und ihr einen Nerz spendiert, obwohl sie bereits einen hatte. Georgi drückte ein paar Tasten und legte den Kanal E12 auf den Hauptmonitor. „Unser Anti-Stress-Programm“, bemerkte er nicht ohne Stolz. „Wir haben die Kamera eigens auf einem Pfahl montiert und so herum angebracht, dass man über den Zaun sehen kann. Hier genießen Sie den Blick über die Blumenwiese jenseits der Warenanlieferung.“

Natürlich gab es auch einen Monitor ganz rechts in der Ecke, der hinter einer Papiertüte mit den Frühstücksbroten des Pförtners stand. „Und das ist…“ Georgi errötete heftig. „Das ist Fräulein Blümelein aus der Buchhaltung. Die Kamera ist nicht versteckt, aber es hat ihr keiner gesagt, dass sie an ihrer Zimmerdecke hängt.“ Ich begutachtete das Bild. „Hübsch“, lobte ich. Gestochen scharf. Das dient sicher auch dem Zweck, die Arbeit in Ihrem Betrieb kräftig anzukurbeln. Aber mal eine Frage, was stellen die Klöbner-Werke eigentlich her?“ Er blickte mich entgeistert an. „Das wissen Sie nicht? Überwachungskameras natürlich.“





Scheißverein

20 02 2013

„Er hat was gesagt!?“ „Sie haben ganz richtig gehört.“ „Unglaublich.“ „Aber wahr.“ „Dass Mappus das gesagt hat?“ „Nein, dass die CDU ein Scheißverein ist.“

„Kann der Mann sich nicht ein einziges Mal am Riemen reißen?“ „Sie tun ja so, als käme das für Sie überraschend.“ „Dass Mappus das gesagt hat?“ „Nein, dass die CDU so heftig darauf reagiert. Wenn sie jedes Mal so ein Theater veranstalten würden, wenn Seehofer…“ „Den kann man doch nicht ernst nehmen.“ „Mappus auch nicht.“ „Aber der hat schließlich die ganze Partei beleidigt und nicht bloß die Regierung.“ „War das nicht zu erwarten?“ „Dass Mappus sich gerne mal vergreift, ist nichts Neues.“ „Ist das seiner Wut geschuldet?“ „Nein, lediglich seinem Charakter.“

„Trotzdem fühlt er sich der Union verbunden.“ „Was kein Wunder ist, sie hat ja einen Politiker wie Mappus erst hervorgebracht.“ „Dann wundert mich diese plötzliche Kehrtwende. Eben noch haben sie alles für den Ex-Ministerpräsidenten getan, Akten verschwinden oder dort auftauchen lassen, wo sie nicht hingehören, und jetzt lassen sie ihn fallen. Einfach so.“ „Das zeugt vom miserablen Charakter der CDU. Raten Sie mal, warum sich der Herr der Wasserwerfer nicht freiwillig von dieser Partei wird trennen können.“ „Sie halten das für eine unglückliche Beziehung?“ „Durchaus, aber die CDU scheint die Scheidung eingereicht zu haben.“ „Er will also nicht loslassen.“ „Eine Sache, die Sie bei Politikern immer wieder konstatieren werden, vor allem nach verlorenen Wahlen.“

„Was jetzt interessant wird: die Partei war bestens informiert über die Geschäfte des Dicken.“ „Selbstverständlich.“ „Und sie haben ihn alle machen lassen.“ „Aber sicher doch.“ „Da gab es keine Spur von Unrechtsbewusstsein!“ „Warum denn auch?“ „Warum wollen sie ihrem ehemaligen Primus denn jetzt den Stuhl vor die Tür stellen?“ „Weil er die CDU als Scheißverein bezeichnet hat.“ „Das ist doch keine Entschuldigung.“ „Hauk und Strobl waren in alle Details eingeweiht.“ „Und jetzt wollen sie Mappus raushaben, weil er sich so schrecklich undankbar zeigt?“ „Nein, weil er ungefragt die Wahrheit ausspricht.“ „Ich bitte Sie! Mappus konnte doch gar nicht wissen, dass seine Parteifreunde das auch alles wussten.“ „Richtig, er wusste nur, dass der Vorsitzende seines Untersuchungsausschusses alles wusste.“ „Sonst wäre der nicht sein Parteifreund.“ „Sonst wäre der vor allem nicht Vorsitzender im Untersuchungsausschuss.“

„Ganz ehrlich, ich verstehe das nicht mehr.“ „Sie meinen, Sie wissen nicht, wer da angefangen hat?“ „Nein, ich weiß nicht, warum sich die CDU so verhält.“ „Weil man das bei denen so macht. Denken Sie an Barschel. Alle haben ihm die Stange gehalten. Sie haben ihn erst fallen gelassen, als er nicht mehr zu halten gewesen war – und von da an haben eine Menge Christdemokraten entdeckt, dass sie ihn im Grunde schon immer hatten loswerden wollen.“ „Was hat das mit Barschel zu tun, dass die CDU im Ländle rückhaltlose Aufklärung verspricht und hinterher noch eine Extraschicht Filz über das Geschehene breitet?“ „Sie haben recht, das hat gar nichts mit Barschel zu tun. Höchstens mit Koch.“

„Allerdings steht jetzt zu fragen, warum sie Mappus so schnell loswerden wollen.“ „Es steht zu befürchten, dass ein Schaden eintritt.“ „An der Demokratie?“ „Sie Witzbold, an der CDU natürlich.“ „Aber Strobl sagt doch, Mappus habe nicht das Demokratieverständnis der restlichen CDU gehabt.“ „Was weiß, das ist vielleicht noch beschissener als der Hirnfasching von Mappus.“ „Ist das überhaupt legitim, sich über das Demokratieverständnis eines ehemaligen Ministerpräsidenten zu echauffieren?“ „Ja, ist es. Aber in diesem Fall ist es völlig sinnlos. Wenn Strobl dem Fettsack mangelnde Nähe zur Demokratie vorwirft, dann klingt das, als wollte ein Elefant eine Flunder beleidigen, weil sie nicht so gut fliegt wie er.“ „Immerhin hat Mappus sein Demokratieverständnis hinreichend transparent gemacht: wenn er ein paar Milliarden zu verschenken hatte, dann an der Verfassung vorbei.“ „Eben das ist der feine Unterschied. Ein richtiger Konservativer umgeht das Grundgesetz nicht, er bekennt sich dazu, dass er es beseitigen will.“ „Das hat dann ja gar nichts mehr mit Demokratie zu tun.“ „Das findet man eben nur unter der braunen Masse.“ „Sie meinen die NPD?“ „Nein, Mappus.“

„Was kommt denn jetzt bei der Sache raus?“ „Wenn Sie mich fragen, wird Merkel ihm das volle Vertrauen aussprechen und es wie einen Unfall aussehen lassen.“ „Was hat denn die Kanzlerin mit dieser Flitzpiepe zu tun?“ „Sie ist immerhin die Vorsitzende des Scheißvereins, schon vergessen?“ „Aber doch bloß auf Bundesebene.“ „Ich vergaß, das ist natürlich nicht so wichtig wie in den Landesverbänden.“ „Und warum sollte sie Mappus loswerden wollen? Gehört er etwa zu denen, die ihr irgendwann gefährlich werden könnten?“ „Als Sargnagel durchaus. Schließlich hat sie sich für ihn weit aus dem Fenster gelehnt und den Stuttgarter Tiefbahnhof gegen jedes Anzeichen halbwegs durchschnittlicher Intelligenz verteidigt.“ „Zum Dank dafür tritt er ihr jetzt von hinten ins Knie.“ „Die CDU leugnet bis heute hartnäckig, dass sie die Folgen hätte abschätzen können.“ „Das war auch gar nicht nötig, sie befand sich ja laut Kanzlerin sowieso in Gottes Hand.“ „Und genau da sind wir bei seiner letzten Hinterlassenschaft. Es ist egal.“ „Dass Mappus das gesagt hat?“ „Ob er jetzt aus der CDU austritt oder ausgetreten wird oder bleibt.“ „Sie meinen, er schadet der Partei so oder so?“ „Genau das.“ „Was für ein Scheißverein!“





Geschenkter Gaul

19 02 2013

„… ein nationales Kontrollprogramm für alle Fertiggerichte, die möglicherweise durch Pferdefleisch…“

„… wolle die Tatsachen nicht leugnen, aber von einer größer dimensionierten Tat könne doch eigentlich erst die Rede sein, wenn Nudelgerichte mit ganzen Pferden…“

„… habe Aigner angekündigt, in den kommenden Tagen, Wochen oder Monaten, spätestens aber bis nach der Bundestagswahl…“

„… nur deshalb ausgenommen, weil Lasagne wegen der langen Zubereitungszeit nicht als Schnellgericht zu werten…“

„… lehne das Ministerium den Vorschlag strikt ab. Ein Aufkleber mit der Aufschrift ‚Mit Pferdefleisch aus kontrollierter Schlachtung‘ sei nicht geeignet, die Verbraucher mit der nötigen…“

„… auf entschiedenen Widerstand. Einerseits sei die Verwendung von Pferden als Lebensmittel eine in Europa kaum tolerierbare Handlung, auf der anderen Seite könne die Seifenindustrie nicht…“

„… dürfe man den Produktionsweg der Zutaten nicht übermäßig transparent gestalten oder gar durch eine online veröffentlichte Liste unterstützen. Das Internet, so Seehofer, sei immerhin ausschließlich dazu da, Ausländer und andere potenzielle Straftäter an den Pranger zu…“

„… dass auch in Finnland Rückstände von Pferd in Gulasch und Ravioli gefunden worden seien. Der EU-Kommissar habe dies einen Sieg des europäischen Gedankens genannt, da durch die Union die Angleichung der Lebensumstände…“

„… müsse man strengere Vorgaben für die Eigenkontrollen der Unternehmen prüfen, die dann durch die eigenen Kontrollen innerhalb der Unternehmen strengstens…“

„… bleibe dennoch weiterhin verboten. Die Hähnchensnacks dürften keinesfalls als ‚mit Pferd verfeinert‘ im Discounterregal zu…“

„… sei die Vorsitzende der Länderverbraucherministerkonferenz Puttrich klar für eine Erhöhung des Strafmaßes, falls weiterhin ein stillschweigendes Einverständnis mit der Justiz herrsche, dass verdiente Wirtschaftsführer nicht durch langjährige Haftstrafen aus dem…“

„… fordere Aigner, der Gesetzgeber müsse jetzt mit einer Ankündigung sofort und ohne jede…“

„… lasse sich nicht mehr feststellen. Zwei rumänische Geldgeber hätten darauf bestanden, den Werbespot mit der Musik ‚Old McDonald’s had a horse‘ zu…“

„… sich die Bevölkerung, durch eine immer größere Dekadenz und Undankbarkeit auszeichne. Von der Leyen habe dem Gremium empfohlen, Arbeitslosen und sozial schwachen Personen gar kein Fleisch mehr auszuhändigen, da diese dem fast geschenkten Gaul doch nur…“

„… sei die schlechte Nachricht, die gute jedoch, dass in den Fleischgerichten überhaupt tierische Eiweiße in solchen Mengen…“

„… da es ohne externe Kontrollen nicht mehr funktionieren könne. Die Kommission habe vorgeschlagen, die externen Kotrollen mit internen Fachkräften zu besetzen, da diese die zu kontrollierenden Betriebe bereits so gut kenne, dass sich keine zufälligen Fehler bei den Überprüfungen…“

„… habe Aigner betont, sie wolle sofort ankündigen, dass die Ankündigung des bereits angekündigten…“

„… sich zu einer differenzialdiagnostischen Unmöglichkeit auszuweiten. Berechnungen zufolge seien bereits derart große Mengen identifiziert, dass ungefähr dreimal so viele Pferde in ganz Europa leben müssten, um tatsächlich…“

„… durchaus richtig, dass Gelatine aus Knorpelmasse in veganen Fertiggerichten Verwendung gefunden hätten. Allerdings könne zur Entlastung gemutmaßt werden, dass diese möglicherweise nicht vollständig vom Pferd…“

„… habe einen Eid geleistet, keine Fleischfälschung begangen zu haben. Trotz eindeutiger Laborbefunde beteuere der Fabrikant, in seinen türkischen Spezialitäten nur Schweinebauch und gepökelte…“

„… dass die Bestandteile der Fleischklopse durchaus nicht zu beanstanden seien, die Brötchen jedoch teilweise…“

„… zunächst bei einer Ankündigung belassen. Aigner habe demgegenüber angekündigt, in der Ankündigung der angekündigten Ankündigung einen angekündigten…“

„… sei nach Aussage des Fabrikanten schon deshalb so wenig wahrscheinlich, weil in den Gulaschkonserven bisher noch kein einziges Hufeisen…“

„… dass Aigner kriminelle Energie hinter den Machenschaften der Pferdefleischmafia vermute. Die Ministerin werde voraussichtlich mit dem Goldenen Ehren-Krückstock des Einäugigenvereins Bayern…“

„… könne man in einer freiheitlichen Demokratie selbstverständlich nur dem Unbedenklichkeitssiegel vertrauen, das der Hersteller bereits vor der stichprobenartigen Kontrolle durch das europäische Institut für…“

„… habe Aigner den Gesetzgeber aufgefordert, sofort ein Gesetz anzukündigen, das ohne jede vorherige Ankündigung ankündigt, dass die…“

„… wettbewerbsschädigend. Außerdem seien Pferdemetzgereien wegen des ständig steigenden Bedarfs an Analogfleisch schon nicht mehr in der Lage, auf legalem Wege genug…“

„… habe Aigner wie angekündigt angekündigt, dass sie die Gründung eines eigenen Ministeriums für Verbraucherschutz noch in dieser, in der übernächsten Legislaturperiode oder aber, falls es durch unangekündigte…“