Gernulf Olzheimer kommentiert (CLXXXIII): TV-Sadismus

8 02 2013
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Jede Gesellschaft hat ihre eigene Art, das Volk zu belustigen, manchmal mehr, manchmal weniger durchgreifend. Wo im antiken Rom Gladiatoren einander die Rübe eindellten, kämpften präkolumbianische Indigene mit Hilfe eines Balls gegen das Los, als Menschenopfer zu dienen. Im Blutrausch, in Grausamkeit und Überhebung über die vermeintlich minderwertige Kreatur ereignet sich eine Wohltat für die Nutznießer der Barbarei: sie haben das Gemetzel unbeschadet hinter sich gebracht, müssen also moralisch erhaben sein. Jedes Schimmelhirn schwiemelt sich im Schwall der Endorphine derlei Gekasper zurecht, erstaunlich ist jedoch, wie viel davon auch bei genauerem Hinsehen noch bleibt. Erstaunlicher noch, wie das Medium Bewegtbild sich der Herabsetzung des Menschen zum Zweck der sozialen Kontrolle bedient und aus der Not trällernde Tugend macht. Es lebe der TV-Sadismus.

Der Hexenwahn hat nachgelassen, sei es aus mangelndem Nachschub oder wegen des längst durchgreifenden Pragmatismus, kein Brennholz in öffentliche Spektakel zu investieren. Aus größerer Distanz bekäme man fast den Eindruck, es handele sich um einen aufgeklärten Stamm – Wasserspülung an jeder Straßenecke, Parlamentarismus und eine gemeinhin akzeptierte Mehrwertsteuer, die nicht zu größeren Revolutionen führt. Doch bei näherem Hingucken wandelt sich das Bild, denn die Randbereiche, das Arme, Kranke, Unterjochte, ist noch immer höchst tauglich, auf dem Jahrmarkt der Scheußlichkeiten Gaukelei zu betreiben. Freilich nicht allein aus Lust am Ekel, wie man beim Anblick pickeliger Gesichtsversuche möchte glauben wollen, sondern aus purer Dringlichkeit, dass der herrschende Staatsbürger die Nase rümpft über den Sott auf dem Fernsehschirm.

Mittelmäßig unbegabte Knalldeppen tanzen, obwohl sie es nicht können, und singen, wenngleich sie es besser hätten lassen sollen. Die Ergebnisse der Krachveranstaltung hängen ein gutes Jahrzehnt luftdicht verschlossen ab und werden dann zur Exkrementalverkostung in den Urwald gekarrt. Was dort übrig ist, schleift sich durch Talkshows und trifft auf den Abhub, der eine Tür weiter im Sozialporno die Protagonisten gibt. Nach planmäßig erfolgtem Augenausfall gewöhnt sich die Generation mit der Magenschleimhaut aus Gusseisen an den Hautgout des Verrotteten und feiert fröhlich den Abstieg ins Untergeschoss der soziokulturellen Exklusion. Sie reagieren richtig. Schließlich war es so gedacht, dass nicht der Masochismus das Programm bestimmt, sondern der Grenznutzen für die Quälenden.

Wer sich als verwahrloste Mehrfachmutter im kakerlakenverseuchten Plattenbau vor der Linse zum Fallobst macht, erfüllt seinen Zweck. Der Bescheuerte von der unteren Mittelschicht aufwärts erwartet das Einverständnis der Ausgebeuteten, sich für ein paar Scheinchen zum Aufstocken derart zu prostituieren, vulgo: im Überbau kracht’s nicht so laut im Gebälk, wenn man unten noch ein paar Hunde vom Hof jagen kann. Frauen werden in Patchworkfamilien getauscht, verzogene Rotzgören dürfen im Spießerumfeld spacken, der Mensch in Bestiengestalt erniedrigt sich, erniedrigt zu werden. Die Demütigung vor klatschenden Zuschauern ist nicht weniger als der Ausdruck einer neoliberalen Zwangsgesellschaft, denn er setzt die Freiwilligkeit des Opfers ebenso voraus wie den Moraldefekt des zuschauenden Täters.

Mit der Proletarisierung des Durchschnitts ist die stete Drohung verbunden, die Pseudoeliten könnten ihre Untertanenmentalität bis zum bitteren Ende an den Untergebenen abreagieren. Diese Not bricht sich Bahn als chronische Angst vor der strukturelle Vernichtung, oft unter dem Mantel des Legalen, noch öfter unter Nationalflagge und Religiotentum. Die Unterwerfung hat Methode. Sie spiegelt den sozialen Druck unter einer feudalistischen Ideologie wider: wer sich nicht überangepasst verhält, fliegt raus. Wer sich anpasst und trotzdem rausfliegt, hat die Gründe gefälligst bei sich selbst zu suchen. In der Buschlandschaft gesottenes Genital zu fressen ist weniger eine Kapitulation vor der Restwürde als ein Akt der Selbstentfremdung. Denn der Opfer-Abonnent ist Hilfsmittel bei der Konditionierung der relevanten Zielgruppe: der Zuschauer wird eingebunden und darf seine eigenen Erniedrigungsfantasien ausleben, wie eben jede hierarchische und repressive Gesellschaft nur dann funktionieren kann, wenn die Unterdrückten stets den Wunsch in sich wachhalten, zum Unterdrücker zu werden. Das Lächerlichmachen der Schwachen ist die Versicherung gegen die eigene Schwäche. Die Beknackten, die im Rudelkoma den Bodensatz des Geistes feststampfen, meinen dabei, ihren eigenen Weg zu ebnen; sie täuschen sich.

Die Verrohung schreitet fort, und sie bedient sich aus reiner Gewohnheit der einfachsten Mittel wie auch der besten Technik. Wie gut, dass wir es zu diesem Wohlstand gebracht haben, wenigstens in Einzelteilen.