„Nur das kleine Eckchen hier oben.“ Herr Breschke rieb verzweifelt auf dem Glas herum, als könnte er dadurch den Riss herauspolieren. „Es ist ja nur diese eine kleine Stelle hier, sonst ist der Spiegel noch wie neu.“ Das traf auch zu, wenigstens für den angelaufenen schmiedeeisernen Rahmen rund um die grünlich angelaufene, halb blinde Scheibe.
Das Zimmerchen neben der Treppe war mit einer solchen Menge von Gerümpel vollgestellt, dass man hätte meinen können, Breschkes hätten jahrzehntelang jeden freien Kubikmillimeter in die Planung einbezogen und akribisch eckiges Sperrgut besorgt, um noch die unmöglichste Lücke zu füllen. Eingesponnen in ein dichtes Gewirr von Staubfäden und ohne Rücksicht auf Verluste gegen Tür und Fenster gekeilt boten sich dem archäologischen Entdeckermut ungeahnte Schätze. „Meine Frau meinte, ich sollte mal wieder aufräumen.“ Kleinlaut sah Breschke drein; er hatte gründlich geräumt, und das war das Problem.
Bismarck, der dümmste Dackel im weiten Umkreis, schien sich an dem kleinen Missgeschick nicht weiter zu stören. Er ließ sich ausnahmsweise einmal nicht zwischen den Beinen seines Herrn nieder, sondern bezog Posten auf der Treppe. „Ihre Frau wollte den Spiegel also wiederhaben?“ Horst Breschke schüttelte energisch den Kopf. „Sie weiß ja gar nicht, dass wir sie überhaupt noch haben. Das war ein Erbstück meiner Großtante Bertilla, und jetzt sollte ich den Sperrmüll bestellen – und jetzt passiert mir das!“ Er war untröstlich. „Sie wissen doch sonst so viel, was kann man denn da machen?“ Ich beäugte die Stelle kritisch. „Vielleicht könnte Ihnen ein Glaser helfen, aber vielleicht haben auch schon in einer dieser Autowerkstätten Glück, wo man Schäden in der Windschutzscheibe im Nu ausbessert.“ „Aber das ist doch nicht das Problem“, seufzte er. „Das ist ja gar nicht das Problem – es sind die sieben Jahre Unglück, die mich verfolgen werden. Wie bringe ich das meiner Frau bloß bei?“
Man hätte in diesem Raum zwar nicht unter einer Leiter durchgehen können, aber Holz, um darauf zu klopfen, war reichlich vorhanden. „Hatten Sie schon einmal die Anschaffung einer schwarzen Katze in Erwägung gezogen?“ Bismarck knurrte leise. Der pensionierte Finanzbeamte musterte mich skeptisch. „Sie führen doch wieder etwas im Schilde“, argwöhnte er, „raus damit – Sie brauchen gar nicht so vernünftig zu tun, Sie sind doch auch abergläubisch!“ Was half das Leugnen, ich musste ihm helfen. Sonst war an einen geordneten Rückzug gar nicht mehr zu denken.
„Schauen Sie mal, diese Löffel.“ Es waren ein gutes Dutzend, genauer: dreizehn Stück in der Schachtel. „Sie könnten damit ein altetruskisches Ritual vollführen.“ Breschke zuckte zurück. „Dreizehn!? Sie wollen mich wohl in die Hölle schicken!“ „Sie sollten es wenigstens einmal probieren.“ Breschke sträubte sich noch, aber sein Widerstand schien langsam zu erlahmen. „Ich probiere das ja gerne einmal aus, aber ich weiß nicht, ob das auch so sinnvoll ist. Immerhin, es sind dreizehn Löffel!“
Dabei war Breschkes Tochter diejenige, die den Aberglauben zu einer eigenen Kunstform entwickelt hatte. Sie hängt sonntags keine Wäsche auf, und wer weiß, was sie an Wäsche zu tragen pflegt, wünscht sich mehr Sonntage. Sie pfeift ausgelassen im Garten, nicht aber im Haus – was dazu führt, dass man sie gerne im Haus verschwinden sieht. Ihre sprichwörtliche Panik vor der Dreizehn jedoch war anscheinend familiäres Erbe. „Das bringt bestimmt Unglück!“ Ich drückte ihm die Dinge in die Hand. „Balancieren, ja?“ „Und wenn etwas passiert?“ „Breschke“, stöhnte ich, „was haben sich wohl die alten Etrusker dabei gedacht?“ „Aber…“ „Die Etrusker hatten mit der Zahl kein Problem, sie haben sie verwendet wie alle anderen auch. Und auch anderer haben das getan. Nehmen Sie die Italiener, die haben Angst vor der Siebzehn.“ Breschke winkte ab. „Siebzehn und Vier, klar. Das ist ja typisch italienisch, dass die Angst haben vor einem Kartenspiel.“ „Sehr gut“, knurrte ich, „das erklärt auch gleich, warum die Brasilianer die Siebzehn hassen.“ „Das liegt an der Sprache“, stammelte er, „das Wort bedeutet nämlich in etwa…“ „Gar nichts“, entgegnete ich. „Sonst müssten ja auch die Portugiesen etwas an der Zahl auszusetzen haben. Aber das trifft nur auf die Chinesen zu, und selbst da nur auf die Vier. Los jetzt! Einen über den anderen.“
Breschke weigerte sich doch glatt, sein antikes Teelöffelritual durchzuführen. „Sie bringen noch Unglück über unser ganzes Haus“ jammerte er. Plötzlich stolperte er, gerade eben noch konnte ich ihn festhalten; man soll sich seine Schuhe eben ordentlich zubinden. „Da sehen Sie es“, mahnte ich ihn. „Die Etrusker rächen sich.“ „Schnell auf Holz – “ Doch da war es schon zu spät. Breschke hatte de Spiegel, der nur an den Türrahmen angelehnt stand, mit der Hacke umgestoßen. Klirrend und krachend kippte das Ding um und hinterließ einen Haufen Scherben. Bismarck schoss jaulend die Treppe hinunter. Verdutzt schaute Breschke mich an. „Die Dreizehn – habe ich es nicht gewusst!“ „Sehen Sie es doch mal positiv“, entgegnete ich fröhlich. „Jetzt müssen Sie Ihrer Frau nicht mehr beibringen, woher der Spiegel kommt.“
Satzspiegel