Gernulf Olzheimer kommentiert (CLXXXIV): ÖPNV

15 02 2013
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Der Drei-Uhr-Einbaum in Richtung Stromschnellen war selten pünktlich, dafür ließ Nggr gerne die frisch gehäuteten Streifenhörnchen auf dem Fensterplatz liegen. Rrt und seine Kollegen von der Beerensammelstelle dagegen gaben bereitwillig durch eindeutigen Körpergeruch ihre Präsenz zur Geltung. Das große Donnerwasser war noch nicht passiert, da mussten sich Ugaga und seine Brut nach vorne durchkämpfen, sonst hätten sie sicher die Endhaltestelle verpasst. Wo zwei in diesem Namen zusammenkommen, da ballen sich seit Anbeginn Schrecken und Zahngeknirsch zu einer krankmachenden Melange, die der Zufallsgast mit dem Einstieg ins Gefährt billigend in Kauf nimmt. Nichts enthüllt das Schlechte besser als die zwanghafte Zusammenrottung von Hominiden, die bis zum Ziel nicht vom Platz rücken werden, unter keinen Umständen, denn sie haben dafür bezahlt. Nicht ist schlimmer als der ÖPNV.

Schon am frühen Morgen wuchert zusammen, was eigentlich nicht zusammengehört. Mangelnde Distanz – wobei es eher die Distanzlosigkeit ist, die den gepferchten Hominiden niedermangelt – führt keinesfalls zur Verbrüderung der Pendler, sie gebiert jäh berstende Konflikte, die auf fehlendes Verständnis für Wasser und Seife schließen lässt. Blumiges Parfüm, das olfaktorische Analogon zur Herrenhandtasche, trifft auf Schweiß, der schon freundlich zur Verwesung hinüber grüßt, fettige Ausdünstung und das Fluidum müffelnder Motten. Eine kakofone Komposition, die sich in den Neocortex schwiemelt, sie dreht in den Beknackten den Adrenalinhahn auf Vollgas.

Wie die Stangenfacharbeiterin in der Nacktbar nimmt der Profi den Vertikalholm zum Posieren – er lehnt sich lässig ans ummantelte Rohr, verliert jedoch sofort die Balance, wenn der Bus die kleinste Ausgleichsbewegung macht, und matscht als fliegende Fleischware den Gesichtsversuch in Richtung Halteelement. Die Kieferchirurgen der westlichen Welt sollen ihren Reichtum dem raschen Aua in der Rushhour verdanken. Ausgeschlossen ist es nicht.

Abgesehen von ästhetischen Defiziten dient der Nahverkehr als mobiler rechtsfreier Raum, in dem jede Grützbirne ihre Lieblingsgrausamkeit ohne Hoffnung auf korrigierende Gewalt ausleben kann. Wer aus sadistischer Neigung den Mitpassagieren direkt auf den Mittelfußknochen steigt, kommt billiger davon als bei einer Wirtshausschlägerei. Das Opfer ist leicht identifiziert, es handelt sich um den zum Stehplatz vorbestraften Delinquenten, der im Gedränge ohnehin nicht identifizieren kann, wer ihm die Zehen zermalmt. Lässliche Sünden wie das Mitführen ungesicherter Fahrräder – die Anzahl 1 ist unter Kennern lediglich als Serviervorschlag anerkannt, die übliche Diskussionsgrundlage sind mindestens zehn Drahtesel pro Fahreinheit – führen zu ansehnlichen stumpfen Verletzungen an allen Teilen des Beuge- und Streckapparates, einschließlich komplizierter Trümmerbrüche. Sollte alles nichts helfen, so kann immer noch ein handelsüblicher Stockschirm die Türschließanlage in eine Zone der Verwüstung verwandeln. Sollte ein gestrecktes Bein für akrobatische Aktionen seitens unbeteiligter Bescheuerter sorgen, so ist die Zugabe vom sportlichem Kolorit geprägt, namentlich von den Schwalbenfestspielen im Torraum.

Ähnliche Folklore, die das Letzte aus der körperlichen Intimität rausholt, ist der Kampf um den Fensterplatz; vor allem für zwei bis drei Haltestellen im innerstädtischen Bereich nützt es, sich zunächst ganz bis an die Scheibe zu drängeln, wenn jedoch alle sitzen, so muss unbedingt unter größter Hektik und möglich spät die Flucht vollzogen werden. Alle anderen sind schuld, dass man am Fenster sitzt. Und einer muss ja dafür büßen. Andererseits lohnt es sich wohl auch, den Gangplatz zu behalten, den Mitreisenden mit groben Worten ans Fenster zu schieben und ihn hernach für seine freie Entscheidung lautstark zu beschimpfen. Leben heißt Aussuchen, und das darf einfach nicht sein.

Die Königsdisziplin, die ad hoc für Scharmützel sorgt, ist die Tasche, die auch im größten Gedränge, in Anwesenheit werdender Mütter und tapsender Greise, hilfloser Kinder und halbseitig eingegipster Nichttänzer festgemauert auf dem freien Einzelsitz thront, als sei sie von der Evolution an diesen Platz beordert. Aus der Historie ist überliefert, dass bereits der Dreizehnjährige Krieg mit einem unachtsam abgestellten Kornsäckchen begann, was letztlich zur Teilung des Deutschordensstaates führte – der preußische Personennahverkehr der Nachfolgestaaten war auch nicht besser organisiert, von den fehlenden Gepäcknetzen abgesehen. Seither prügeln sich die Insassen einer Fahrkabine krumm und vice versa lahm, sobald die Kopie des Lichtbildes eines Felleisens ruchbar wird, sollte eine besitzbare Fläche auch nur in der Nähe sein. Denn genau das ist doch der Sinn des öffentlichen Schaukelns, wie es täglich Magensäure und Muskelkrampf bringt: es braucht einen Ort, an dem rituell die Aggressionen auf- und abgebaut werden. Vermutlich wurde zu diesem Behuf einst der Ochsenkarren erfunden, die Deutsche Bahn aber kann nur noch den akkumulierenden Teil der Streitsucht abdecken. Die fundamentale Frage, wie man von hier wegkommt, sie bleibt ungelöst. Vielleicht per Taxi.