Gernulf Olzheimer kommentiert (CLXXXV): Die Light-Lüge

22 02 2013
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Es begab sich zu der Zeit, als Hirnversalzung und Kopfaua Einzug gehalten hatten mit Tatütata und Tschingderassabumm, da plärrten Generationen kognitiver Dünndruckprodukte nach Artefakten und Nachbauzeugs, echtem Tinnef aus Neugablonz, Ufftata auf Synthesizer-Art und Leckerchen aus Proteinabfällen, passend zum aufkeimenden Körperkult der Individualistenepoche, wo das Menschliche sich zu verflüchtigen schien als Erdenrest, den es selbst hinweg trug. Das Grundübel des Hominidengeschlechts, die an den Zähnen schmerzende Dusseligkeit des durchschnittlichen Dumpfschlumpfs, sie sitzt festgenietet im Oberstübchen und wartet auf schönes Wetter zwischen den Ohren. Der Mensch will nicht tun und schaffen, nicht sich strebend bemühen, sondern haben, raffen, einsacken. Am liebsten äße er das Schnitzel zweimal, was konsequenterweise zur Bulimie führte. Oder aber gleich zur Light-Lüge.

Genuss ohne Reue verspricht jeder Pomps aus der Tube, der Bekloppte kann sein Schnitzel tatsächlich zweimal essen, ohne an die Konsequenz denken zu müssen – eine Vorstellung wie der Himmel auf Erden, für jede noch so infantile Befriedigung der Gier die Instant-Absolution gleich mitzukaufen. Doch genau genommen ist dieser Himmel die perfekte Hölle, die Aufforderung an den vielseitig ungebildeten Teilzeitmaterialisten, sich der unreflektierten Vollverstopfung hinzugeben und den eigentlichen Konsumgrund, den Genuss, zur Maßlosigkeit zu steigern. Exzessives Fressen erst, das dann ohne Moral bleibt, scheint das Motto der fetten Jahre zu sein, die paradoxerweise nur die jugendliche Schlankheit, das übersteigerte Ideal der Proportionen zum Maß aller Dinge erhebt. Der Beknackte will sich ein halbes Schwein auf Toast hinters Zäpfchen schwiemeln, aber nicht zunehmen. Er muss die grundlegenden Dinge erst gründlich denaturieren, dann fühlt er sich frei. Fettfrei, zuckerfrei, frei von zu viel Ballaststoffen.

Und schon kleistert sich das Kompetenzimitat mit der hippen Klapperfigur anlässlich der Kalorienfestspiele Leichtzeugs aufs Dünnbrot. Was wäre eine Wahnidee, hätte der Gesetzgeber, die steuerfinanzierte Trottelhalde, nicht haargenau beschlossen und bestimmt, welcher Hirnschaden noch als gesunder Menschenverstand zu gelten hat. Hat ein Lebensmittel bis zu 60 Prozent Brennwert der normalen Variante, so darf es sich als leicht, neusprech: light feiern lassen. Damit sind der Denkerleichterung keine Grenzen mehr gesetzt, das Gehirngestrüpp der Torfköppe darf ungehindert ins Kraut schießen. Verfügt ein Fruchtsaft dank massivem Einsatz von Ersatzstoffen über 40 Prozent weniger Kilokalorien als die unverpanschte Plempe, darf reißerisch vom Etikett jodeln, dass das Zeug für reduzierte Existenzen gefertigt wurde. So cholesterinarm, fettbefreit, geschmacksentschlackt das alles aber rinnt und rieselt, so nano wäre der Aufwand, statt des zusammengeharkten Gesöffs gleich Mineralwasser oder Tee zu trinken, aus diesem und jenem eine Schorle zu hämmern oder aber – und das verlangte mehr als Tatkraft – schlicht die Menge des Getränks durch gezielte Dosierung an den gesundheitlich unbedenklichen Bedarf anzupassen. Aber wer genösse schon ohne Reue, müsste er sich ernsthaft mit Konsum und Konsumiertem auseinandersetzen.

So merkt der Hohlrabi auch nicht, wie er von der Industrie gnadenlos verschaukelt wird. Natürliche Fette und Zucker, sinnvoll von der Evolution in abbaubare Eiweißstrukturen montiert, dienen zunächst der Arterhaltung, dann dem individuellen Glück, und zwar jenem des Lieferanten. Die Beere ist nicht für den psychisch gestörten Tortenlutscher süß, das Schwein wird nicht für den Schinken drall. Was diese Stoffe aber zu interessanten Ingredienzien werden lässt, ist auch der Grund, warum je ein Hominide sich Marmelade auf die Stulle kleckern ließ oder die Sau auf den Bratspieß steckte. Sie transportieren Geschmack und Konsistenz, Farbe und biologisches Gleichgewicht, bis man sie aus dem Plastepack mit der Axt vertrieb. Und ergo werden die Konfitüren koloriert, Gurken geschönt und gesüßt und der Hinterschinken haltbar gemacht mit dem Zeug, das sonst die Schimmelbildung am Boden verhindern sollte. Die erste Schmierwurst aus Stretch mit Lycra lässt sich nicht mehr verhindern, und es gilt als sicher, dass der Schmadder nachts im Kühlschrank brummt. Wir wollten es so.

Und wir werden es so kriegen, inklusive der verhassten Konsequenzen. Reue ohne Genuss wird auf dem Fuße folgen, der Tumor der späten Jahre wird sich des milden Irrsinns nicht mehr entsinnen, da wir quasi physislos zu essen gedachten, ganz erstaunt, dass unten immer noch etwas rauskommt. Dafür dreht die Veralberungsindustrie völlig frei und schmeißt Light-Wasser auf den ahnungslosen Konsumenten. Was schweres Wasser anrichtet: geschenkt, was aber wäre leichter als Wasser? Vermutlich Helium. Und wer trinkt das schon.