Zugegeben, er sah ein bisschen komisch aus, wie er in diesem sandfarbenen, hauteng geschnittenen Sakko vor dem Spiegel balancierte. Und er fühlte sich in dem Kleidungsstück auch nicht besonders wohl. Aber wann kaufte Breschke sich schon einen neuen Anzug.
Ich hatte ihm fest versprochen, zu Motschmann und Korbsiepler mitzukommen. Das heißt, ich hatte ihm versprochen, ihn in die Stadt zu begleiten. Ihn daran zu hindern, das Warenhaus mit den billigen Polyesterlappen zu betreten, das war allein meine Idee gewesen. „Was meine Frau wohl sagen wird“, jammerte der Alte. „Sie wird überrascht sein“, gab ich ungerührt zurück, „seit über fünfzig Jahren sieht sie Sie in etwas anderem als in einer Strickjacke mit aufgenähten Ellbogen.“ Der pensionierte Beamte grantelte; einerseits wusste er, dass ich recht hatte (und er wusste, dass ich wusste, dass er es wusste), und dazu wurmte ihn andererseits der Gedanke, in dieses höchst elegante, möglicherweise auch recht verschnöselte Geschäft zu gehen, das in gewissen Kreisen als erste Adresse der Stadt galt. „Angeblich trägt ja der Bürgermeister diese Anzüge“, knurrte Breschke und würdigte die Frühjahrskollektion in der Vitrine keines Blickes. Ich muss ihm wohl geschickt verschwiegen haben, dass ich selbst mehrere Anzüge von Motschmann und Korbsiepler besaß. Und dass ich gerade einen trug.
„Welche Art Hemden bevorzugt denn der Herr?“ Der junge Verkäufer war adrett gekleidet und ordnungsgemäß gescheitelt, keine Spur von Langhaarigkeit oder aufsässigem Benehmen, und doch beäugte Horst Breschke ihn äußerst kritisch. „Meistens braun“, teilte er ihm mit. „Dann muss man bei der Gartenarbeit nicht jeden Tag ein neues anziehen.“ Der Angestellte verzog keine Miene; nicht einmal ein angedeutetes pflichtbewusstes Lächeln kam ihm über die Lippen. Ich hatte nicht geahnt, dass dieser Laden inzwischen so gut geworden war. „Er meint, ob Sie gerne taillierte Schnitte tragen.“ „Bloß nicht“, wehrte er ab. „das kneift immer so in der Mitte. Haben die hier denn nichts Bequemes da?“
Man muss natürlich wissen, dass die Tuchwaren in diesem Haus einen gewissen Charme versprühen. Das Haus selbst stand dem nicht nach: Mozart säuselte durch die Luft, Champagnerkelche klimperten im Hintergrund, das Interieur sah aus, als hätte sich eine Herde Innenarchitekten vorsätzlich daran totgearbeitet. „Wollen der Herr nicht die neue Mailand-Kollektion probieren?“ „Die ganze!?“ Breschke fielen fast die Augen aus dem Kopf. „Bei Ihren vielen Schnitten, Mustern und Farben kann man sich sowieso kaum entscheiden, und da kommen Sie mir mit einer ganzen Kollektion? Nichts da, ein Anzug! Nicht mal einer mit zwei Hosen!“ Die Fronten waren also geklärt, als der Verkäufer mit dem silbergrauen Zweireiher kam.
Er passte noch nicht einmal; Breschkes Arme mussten von den Dehnübungen vor dem Spielgel etwas nachbehalten zu haben. „Das trägt man jetzt etwas kürzer“, informierte der Verkäufer. „Noch weniger Stoff“, meckerte der alte Herr, „und immer höhere Preise! Das ist doch alles – “ „Und wenn Sie es einfach mal eine Größe höher anprobieren?“ Mit solchen Anschlägen auf sein Weltbild hatte er nicht gerechnet. Ich hatte meine liebe Mühe, ihn zum Bleiben zu bewegen. „Jetzt gucken Sie sich bloß mal diese ganzen neumodischen Farben an“, nörgelte Breschke, „wer soll denn das tragen?“ „Das ist beige“, befand ich. „Aber ich habe vollstes Verständnis, wenn Ihnen der Ton schon zu jugendlich erscheinen sollte.“
Zwei Kollektionen später, Eierschalenfarbe sowie ein besonders undefinierbares Mittelgrüngrau, trumpfte der Verkäufer plötzlich mit einem ungewöhnlichen Vorschlag auf. „Ich würde Ihnen ja gerne auch einige gemusterte Stoffe zeigen.“ Horst Breschke schnappte sofort zurück. „Damit ich aussehe wie eine Schlafzimmergardine? Keinesfalls, sage ich Ihnen. Keinesfalls!“ Ich versuchte, ihn wenigstens versuchsweise für einen leichten Nadelstreif zu interessieren, doch er ließ sich nicht zureden. „Keinesfalls!“ „Und wenn wir“, brachte sich der Verkäufer in Erinnerung, „vielleicht eine Kombination versuchen? Eine dunkel gestreifte Jacke zu einem steingrauen Beinkleid, das steht Ihnen doch bestimmt ganz ausgezeichnet.“ „Ach was.“ Der Alte war nicht zu bremsen. „Ich will das alles nicht, verstanden? Diese modernen Sachen passen nicht zu mir, und ich brauche das auch nicht. Hören Sie, ich brauche das nicht, es passt einfach nicht in meinen Kleiderschrank. Das ziehe ich nicht an. Das ist nicht meine Kragenweite. Nicht mein Stil. Ich glaube, ich werde mich an diese Mode nicht mehr gewöhnen, verstehen Sie? Tragen Sie das doch selbst, wenn Sie Wert darauf legen, aber bitte verschonen Sie mich mit Ihren – oh, der sieht aber gut aus. Was kostet das?“ Galant öffnete der Verkäufe das Sakko und ließ Breschke hineinschlüpfen. Ein leichtes Grau, Mischgewebe mit sehr viel Kunststoff, und es passte gerade eben so gut, dass es schlecht saß. „Hervorragend“, schwärmte er, „großartig – schauen Sie mal, dieser Schnitt, dieser Stoff, es passt wie angegossen!“ Ich lugte verstohlen auf das Etikett in der Hose. Erschüttert hielt ich es dem Verkäufer unter die Nase, doch er lächelte diesmal nur ein angedeutetes pflichtbewusstes Lächeln. Er nahm mir das Kleidungsstück aus der Hand und faltete es mit geübtem Griff. „Dass Sie ausgerechnet hier die Stangenware von Kastrat verscherbeln? Direkt aus dem Kaufhaus!?“ „Motschmann und Korbsiepler lässt keinen Kunden allein.“ Ich stutzte, begriff das Marketingkonzept schlagartig und äugte verstohlen ins Innere meiner Sakkotaschen. Wo war nur das Etikett?
„Meine Frau wird zufrieden sein“, sagte Breschke vergnügt. „Dafür lohnt es sich doch, ein bisschen mehr auszugeben. Sie hatten wirklich recht, man sollte sich viel mehr mit der aktuellen Mode beschäftigen. Wissen Sie was? Morgen begleiten Sie mich. Ich brauche ein Paar Schuhe.“
Ältere Männer sieht man hier den ganzen Tag in vegammelten Trainingsanzügen mit Balkanstreifen herum laufen. Dann doch lieber einen Anzug aus Polyester Mischgewebe.
Wenn die Sportkleidung aus reiner Baumwolle besteht, ist doch ökologisch nichts dagegen einzuwenden 😉