Innere Unsicherheit

18 03 2013

„Die Putzfrauen?“ „Und die Hausmeister. Und die Krankenschwestern.“ „Meine Güte, das darf doch nicht wahr sein!“ „Ist es aber.“ „Aber das ist doch – das ist doch gefährlich. Das ist ja Terrorismus!“

„Wir sind von höchst gefährlichen Menschen umgeben.“ „Es ist nicht auszudenken, welche Risiken sich dadurch für uns ergeben.“ „Sie sehen, die Hysterie, die um Bombenanschläge geschürt wird, ist völlig übertrieben.“ „Wenn man sich das mal ausmalt!“ „Wir sind ständig von Risiken umgeben, das ist wahr.“ „Aber wir sind doch noch nie darauf aufmerksam gemacht worden, das ist ja geradezu skandalös!“ „Unsere Sicherheitsbehörden sind eben auch nicht vollkommen, sie finden weder das Naheliegende noch das, was man mit gesundem Menschenverstand eigentlich sofort finden müsste.“ „Und der Verfassungsschutz?“ „Ist auch nicht besser, aber weshalb sollte man jede Putzfrau vom Verfassungsschutz überwachen lassen?“ „Es könnte doch immerhin sein, dass sich eine Putzfrau bei mir einschleicht, und die lässt dann die Fenster offen stehen für Einsteigediebe – ich werde in eine geschlossene Wohnanlage umziehen, da gibt es wenigstens einen Wachschutz!“ „Und Sie denken, diese Wachmänner seien ungefährlich?“ „Wieso, sind die etwa – Sie meinen, auch Wachmänner?“ „Warum gerade die nicht?“ „Das ist doch ein Beruf mit einer besonderen Vertrauensstellung.“ „Und was erwarten Sie von einer Krankenschwester?“

„Die Vorstellung, dass ich in meinem eigenen Haus von meinem eigenen Wachpersonal angegriffen werde – nein, das ist doch absurd.“ „Die Vorstellung, dass sich ausländische Terroristen als Wachpersonal oder Rettungssanitäter oder Krankenschwestern verkleiden, ist die auch absurd?“ „Natürlich nicht, sicher sind die Geheimdienste schon längst hinter uns her.“ „Weil man als Putzfrau eben leicht in Ihre Nähe kommt. Oder als Hausmeister. Und dann haben Sie ein Problem.“ „Nicht, wenn ich ausreichend Wachleute in meinem – wie war noch mal die Frage?“

„Stellen Sie sich vor, Sie müssten in ein Krankenhaus eingeliefert werden.“ „Das dürfte doch zu verhindern sein.“ „Fragen Sie Ihre Putzfrau, die Ihre Kellertreppe mit Schmierseife präpariert, am Ihren Bürostuhl die Schrauben lockert und Ihren Wasserhahn unter Strom setzt.“ „Das muss man doch verhindern können! Wir werden die Krankenschwestern in Zukunft viel genauer durchleuchten müssen, damit wir nicht plötzlich von einer Welle der Gewalt überrollt werden!“ „Und das wird helfen?“ „Was können wir denn sonst tun?“ „Fällt Ihnen nichts ein?“ „Aber natürlich, man könnte das ganze Personal einfach austauschen. Aber dazu müsste man dann wieder eine Menge ausländischer Arbeiter ins Land holen, man müsste die Abschlüsse hier anerkennen, und dann braucht man ein Amt, das die ganzen Leute überwacht, und dann…“ „Und Sie wissen genau, dass Sie damit das Problem gelöst kriegen?“ „Haben wir dann nicht mehr innere Sicherheit?“ „Wir haben vor allem mehr innere Unsicherheit. Jeder Hausmeister, der Ihnen Sprengsätze unter den Tisch basteln kann, wird seinen Grund dafür haben. Es ist vollkommen gleichgültig, wen Sie einstellen, solange Sie die Gründe nicht beseitigen.“

„Wir leben in einer ständigen Gefährdungslage, das ist doch nicht hinzunehmen!“ „Was würden Sie vorschlagen?“ „Die Gefahr beseitigen. Aufspüren und einfach beseitigen.“ „Sie haben das Problem erkannt. In diesem offiziell als Demokratie deklarierten Marktsystem gibt es einen störenden Einfluss: das Volk hat die Macht. Auch dann, wenn man es beschissen bezahlt, wenn man es ständig unter Druck setzt, dass es arbeitslos wird, wenn man die Steuern und Abgaben vor allem für die Kleinen erhöht, seine Ersparnisse verpulvert, seine Bildung verjuxt, seine Altersvorsorge verplempert und jedem von ihnen täglich klarmacht, dass er ein überflüssiges Stück Dreck ist. Das Volk hat die Macht, nicht, weil es alle paar Jahre ein bis zwei Kreuzchen macht oder demonstriert oder streikt, weil ihm Selbstverständlichkeiten vorenthalten werden wie der Umstand, dass man von einer Vollzeitarbeit seinen Lebensunterhalt bestreiten kann, ohne sich zusätzlich auf einem vollkommen maroden Amt bis auf die Knochen zu entblößen, fern jeglicher Vorschriften für Datenschutz, fern aller Menschenrechte oder der Grundrechte, die selbst für Strafgefangene gelten. Das Volk hat die Macht, weil einer von ihnen Ihre Wohnung putzt und das Taxi fährt, in dem Sie sitzen, weil einer von ihnen die Pizza liefert, die Sie bestellt haben, einer von denen beschützt Sie, wenn Sie wichtig genug sind, vor den anderen, ein anderer repariert an Ihrem Auto die Bremsen, und wenn Sie Glück haben, macht er das ordentlich, weil er nicht gehört hat, dass Sie ihn ein paar Tage zuvor als dekadentes Arschloch bezeichnet haben, weil er für seine Kinder genug zu essen kaufen will. Jeder von ihnen hat eine Waffe, und ein Schraubenschlüssel, eine Spritze, eine Rasierklinge, Toilettenreiniger, das kann so wirksam sein wie eine Pistole.“ „Und man kann da nichts machen?“ „Sie könnten anfangen, das Volk wie Menschen zu behandeln.“ „Ich diskutiere nicht mit Terroristen!“