Leerstand

25 03 2013

„Wenn Sie bitte die Schuhe gründlich abtreten wollen, hier ist alles frisch renoviert. Nein, Sie haben sich nicht verhört. Seit der Instandsetzung hat hier im Kanzleramt nichts mehr stattgefunden.

Mit dem Preis werden wir uns schon irgendwie einig. Hauptsache, wir haben einen Käufer. Ist ja für so ein Gebäude nicht ganz einfach. Fast im Originalzustand. Einige Rollstuhlspuren hier ganz rechts, ganz weit rechts. Immer, wenn die Kanzlerin mal nicht da war. Dann hat einer Regierungschef gespielt. Aber sonst, wie gesagt: Originalzustand.

Beachten Sie bitte die trittfeste Auslegeware. Schmutzabweisend. Sollte die Kanzlerin hier einen FDP-Vorsitzenden erledigt haben, einmal mit der Bürste drüber, und gut. Natürlich kriegen Sie hier auch größere Brocken raus. Altmaier lässt hier immer wieder mal etwas fallen. Restbestände der Energiewende. Porentief rein, wie Sie sehen. Kein Stäubchen.

Ob hier regiert wurde? Kann ich Ihnen nicht genau sagen. Wir hatten ab und zu mal etwas Warenverkehr, da wurden Gesetze ausgeliefert, aber ob hier regiert wurde? Tut mir Leid. Dafür haben wir diese schmucken Fettnäpfchen überall. Falls Sie mal eins brauchen, die stehen immer bereit.

Das ist das Ankleidezimmer, da hat die Kanzlerin immer ihre Hosenanzüge aufgehängt. Oder Minister, je nachdem. Bitte den Mindestlohn nicht anzufassen, der ist nur eine Leihgabe. Ja, zur Dekoration. An sich wollte die Regierung den Klimaschutz noch ein Jahr länger mieten, aber der war dann schon vergriffen. Wir haben aber hier in der Putzkammer noch eine sehr gut erhaltene Frauenquote. Unbenutzt.

Sie wissen, die Mieten steigen. Da ist Kauf eine vernünftige Alternative, nicht wahr? Eben. Stolpern Sie bitte nicht, da hinter der Tür stehen ein Meldegesetz und eine – ich sagte, Sie sollten nicht stolpern. Reicht doch, wenn in dieser Regierung immer wieder einer über dieses Meldegesetz gestolpert ist. Sicher, das muss man doch mal feststellen. Und auf der anderen Seite ist das Wahlrecht. Das lehnt da nur so an. Seien Sie vorsichtig. Das kippt. Das sieht von hier schon aus wie ein Unfall.

Das wäre das Gästezimmer. Oben ist noch eins, das war für die Bundespräsidenten vorgesehen. Der letzte hat für seine Übernachtungen immer gezahlt, wissen Sie, deshalb ist das auch so gut in Schuss.

Deshalb ja auch der Leerstand. Die beste Regierung seit der Wiedervereinigung setzt auf Werte, in diesem Fall auf Werterhaltung. Die wissen, wie viel so eine Demokratie wert ist. Deshalb haben sie die auch so gut wie nie benutzt.

Ja, das hier sieht natürlich sehr repräsentativ aus. Große Fenster, Jalousien verkehrt herum – von hier aus sieht man nicht, was sich im Land abspielt, ein perfekter Realitätsfilter, aber man kann sehr gut hineinsehen und arbeitet für die Galerie. Unser Rentenzimmer. Drei Schreibtische, Buche furniert, unbenutzt. Den hier hat sich Frau von der Leyen extra in die Mitte rücken lassen. Doppelter Boden in den Schubfächern, für die Lebensleistungsrente. Ist noch originalverpackt, das Möbel. Schutzfolie mit Packband. Rechnung klebt an der Unterseite, adressiert an den deutschen Steuerzahler. Kostet Sie also extra.

Das Mobiliar wurde nach zwei Gesichtspunkten ausgewählt. Einerseits sollte es gut aussehen, andererseits sollte man immer den Eindruck haben, man könnte hier sogar arbeiten. Wir haben dafür sogar auf Kunst am Bau verzichtet. Wozu auch, hier wurde ja sowieso nicht mehr regiert.

Die Nachbarschaft? Angenehm, kann ich Ihnen versichern. Sehr angenehm. Irgendwo hier in der Nähe muss die SPD sein, aber von der hören Sie sowieso nichts. Kein Mucks. Seitdem Westerwelle in der Außenpolitik nichts mehr zu sagen hat, brauchen wir auch keine Lautsprecheranlage mehr. Die Nachbarn wissen das zu schätzen.

Das Elterngeld hier ist wetterfest. Können Sie sich also auch in den Vorgarten stellen, zwischen die Zwerge. Für die war’s ja auch ursprünglich mal vorgesehen, haha, aber seitdem steht das bei uns hier zwischen den letzten Gesundheitsreformen herum. Gut, hier ist Platz, aber man muss den ganzen Kram ja auch mal abstauben. Wie meinen? Ja, mehr als Abstauben war beim Elterngeld nie vorgesehen. Da haben Sie Recht.

Das Foyer wird so bleiben, das steht ja im Mietvertrag. Aus baulichen Gründen sehen Sie beim Betreten des Kanzleramts als erstes die Eurokrise. Das erweckt den Eindruck, also es soll den Eindruck erwecken, dass hier etwas ist, das den Eindruck erweckt. Sie müssten da schon eine Abstandszahlung, die genaue Höhe weiß ich nicht, aber dafür werden Sie die übernehmen, wenn Sie, und das war ja in Ihrem Interesse, oder?

Sehr gute Lage hier. Ruhig. An und zu kommt mal ein Industrievertreter. Bertelsmann ordert seine Gesetzentwürfe meist schon telefonisch. Gutes Hauspersonal, vier Euro die Stunde. Auch nachts. Mehr können Sie nun wirklich nicht erwarten.

Einziehen? Gut, da wir haben ein Problem. Nein, nicht mit dem Preis. Da werden wir uns schon einig. Nur, äääh… Sie wissen, dass die Kanzlerin das Vorkaufsrecht hat?“