Gernulf Olzheimer kommentiert (CLXXXIX): Postmoderne Produktästhetik

29 03 2013
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Manchmal sehen wir auf alten Bildern, wie sie dort lebten, die alten Menschen. Sie toasteten in alten Toastern, die wie Toaster aussahen. Ihre Telefone erkannte man sofort als Telefone, die Staubsauger sahen aus, wie Staubsauger aussehen. Sie waren nicht unbedingt unglücklich, diese Alten, obzwar ihre Semantik simpel blieb und seltsam funktional. Doch wer würde es ihnen verdenken, die Verwechslungsgefahr zwischen Spucknapf und Neutronenbombe lag bei knapp unter ε, sie hatten nie Angst, versehentlich einen Toaster anzuschalten und plötzlich Marschmusik aus der drahtlosen Waschmaschine zu hören, die dort stand, wo man normalerweise das Schlafzimmer vermutet hätte. Sie lebten beschwerdefrei, denn ihrer war das Reich der Vernunft. Keiner von ihnen hatte zu leiden wie wir unter der postmodernen Produktästhetik.

Ein paar durchgeknallte Hurratüten, die den Fehlleistungen der Damenschuhmode nur noch ein komatöses Lächeln zollen können, zelebrieren ihr Kopfaua an schlagfestem Kunststoff. Ein schräger Klops, hinten unten mit abgerundeten Ecken, einem Ex-Luftballon nicht unähnlich in der Ausstrahlung, entpuppt sich jählings als Reisewecker; elf von neun Probanden, die damit auf der Straße belästigt wurden, entdeckten darin wahlweise eine fossile Schneckenart oder den präkolumbianischen Gott der Magenkrankheiten. Die aufstrebende Keilform gibt den Blick auf ein seitenverkehrt im Innern gelagertes Zifferblatt frei, wo ein einziger Zeiger rotiert. Das Ding weckt zwar nicht, kostet aber dafür so viel wie ein italienischer Sportwagen. Wer einen Wecker will, der weckt, so der intellektuelle Aufstocker aus dem Zentralrat der Geschmacksgestörten, soll irgendeinen Murks für unter tausend Euro kaufen.

Frühere Epochen haben sich meist mit der Wirklichkeit darauf geeinigt, dass sich das Design am Menschen orientiert; der Haartrockner war meist so konstruiert, dass der Verwender ohne ein abgeschlossenes Philosophiestudium Vorderseite und Handgriff des Objekts erkennen und es intuitiv verwenden konnte, ohne sich die Flossen mehr als nötig zu verkokeln. Dann aber klumpte es im Weltgeist, aus der Koagulation wuchs Quadratquark und aus dem Quadratquark der Blödsinn einer Zitronenpresse, die keine Zitronen presst, sondern deren Saft großzügig in die Gegend schmaddert – eine vergoldete Krüppelqualle, deren einzige soziale Semantik darin besteht, lauthals in die Fauna zu blöken, dass der Besitzer ein profilneurotischer Popelpriester ist.

So ist die äußere Gestaltung der Dinge nicht nur, aber auch und dabei in allererster Linie eine Beleidigung des Auges, der Organs mithin, das neben poetischer Klarheit auch die Möglichkeit zur Orientierung in dieser komplexen Umwelt schätzt. Die Sachen sind demnach im Mummenschanz gefangene Ideale, die aufs Höhlengleichnis pfeifen. Kameras, die wie Diktiergeräte aussehen, die wie Taschenrechner anmuten, sind in Wahrheit als Fernbedienung verkleidete Rasierer. Ein Paar zusammengeklebter Pappdeckel spielt Computer, doch der exorbitante Preis rechtfertigt die Chose: es ist so hässlich, dass jeder einen haben will. Wenn es wirklich widerlich ist, ist es Kult.

Schlagend zeigt sich das Phänomen an dem rollenden Missstand, der als zeitgenössische Autos die Gegend verschandelt. Jegliche Verwirrung der Urteilskraft kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich um untaugliche Versuche handelt, als hätte ein übermüdeter Primat einen Klumpen Plaste im Heißluftkanal verkleckert. Das verschwiemelte Zeug, das bei der Operation entsteht, ist nicht mehr als das rostige Schnarchen im Schlaf der Vernunft. Der Anblick einer Rotte Kleinwagen auf dem Parkplatz macht einem jählings klar, wie abstoßend dieser beschissene Planet auf Außerirdische wohl wirken mag.

Manchmal, wenn der denkende Hominide des Charmes einer Raststättentoilette im Gegensatz zur strukturierenden Funktion der postmodernen Materialklöße inne wird, besinnt er sich auf seine geistigen Wurzeln, die dem Gebrauchsgegenstand die Fähigkeit zum Gebrauch zubilligt, und heckt eine Retrowelle aus. Autos sehen dann aus wie Autos, Telefone wie Telefone, die Bauform des Toasters kommt ohne jegliche ironische Distanz aus und erfüllt ihren informativen Zweck, der Welt unmissverständlich zu kommunizieren: ich bin keine Pfeife. Dennoch schwingt ein leiser Zweifel mit, welchen Stellenwert die symbolische Form in diesem Produkt einnimmt. Der dialektische Knoten ist nicht lösbar, ob der Gegenstand, den wir teurer bezahlen als den industriellen Sondermüll, uns nun privilegiert oder stigmatisiert. Es mag durchaus eine Verschwörung geben, man weiß nur nicht genau, wer sich gerade gegen wen verschworen hat.

Wohl dem, der in Besitz eines Toasters ist, wie ihn die Alten entworfen, gebaut und benutzt haben. Mit gehässiger Langlebigkeit lehren sie die heutige Generation, einen ephemeren Scherz vom Wert der Dinge zu unterscheiden. Sie werden noch das Brot bräunen, wenn die Lückenfüller der Jetztzeit bereits recycelt sind. Möglicherweise mehrfach.