Störfall

10 04 2013

„Also nur, damit ich das jetzt auch kapiere: eine pflegebedürftige Rentnerin ohne Computer wird wegen eines illegalen Downloads vor Gericht gestellt?“ „Sie müssen bedenken, wir leben in einem Rechtsstaat. Deshalb wurde sie schließlich doch noch freigesprochen.“

„Was ist das bloß für eine Rechtskonstruktion?“ „Störerhaftung.“ „Störer?“ „Sie sind nicht direkt an einer Straftat beteiligt, und deshalb sind sie schuldig.“ „Diesen Blödsinn kann sich doch kein geistig gesunder Mensch ausdenken.“ „Das würde ich unterschreiben. Christdemokratische Politiker sehen das naturgemäß etwas anders.“ „Weil man bei denen automatisch schuldig ist?“ „Richtig. Die Rechtsphilosophie dieser Leute enthält immer noch einen recht hohen Prozentsatz an Erbsünde.“ „Man kann doch nicht davon ausgehen, dass jemand, der vielleicht nicht schuldig sein könnte, doch schuldig ist.“ „Nein, Sie haben das nicht verstanden. Man geht davon aus, dass Sie rein theoretisch unter Umständen schuldig sein könnten, also sind Sie es auch.“ „Also ist das nichts anderes als ein totaler Generalverdacht.“ „Nein, das wäre ja völlig überzogen. Das geht in einem Rechtsstaat nicht.“ „Dann bin ich ja beruhigt.“ „Es ist vielmehr die Beweislastumkehr.“ „Das heißt, ich muss dem Gericht beweisen, dass ich möglicherweise und rein theoretisch doch unschuldig sein könnte?“ „Nein, so weit geht’s ja nun doch nicht.“ „Das klingt ja auch wieder nicht so…“ „Sie müssen halt nur beweisen können, dass Sie definitiv und unter gar keinen Umständen schuldig sein können.“ „Und wie beweise ich das?“ „Ist das mein Problem?“

„Es gibt doch aber immer noch einen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.“ „Das stimmt.“ „Wie ist der hier zu bewerten?“ „Es ist verhältnismäßig egal, was Sie denken, wenn es dem Gericht in den Kram passt, werden Sie verknackt.“ „Es genügt eine mehr als unwahrscheinliche Annahme?“ „Wenn Sie es schon annehmen können, wird es so unwahrscheinlich ja nicht sein.“ „Eine Rentnerin ohne Computer und Router lädt einen Gewaltfilm herunter?“ „Ist das nicht technisch ohne Schwierigkeiten möglich?“ „Ich würde sagen, ja.“ „Und wie wird dann das angebliche Verbrechen überhaupt bewiesen? Ich meine, außer mit Beweislastumkehr?“ „Ich schätze, mit einer IP-Adresse.“ „Wissen Sie, wie leicht die manipuliert werden kann?“ „Das müssen Sie aber erst mal beweisen.“ „Wieso, immerhin ist es doch denkbar.“ „Aber doch nicht unter Umkehr der Beweislast!“

„Nehmen wir einmal an, mein Auto wird aufgebrochen.“ „Dann wäre derjenige, der das Auto aufgebrochen haben könnte, als Täter in Betracht zu ziehen.“ „Unterbrechen Sie mich nicht. Mit dem Auto wird ein Bankraub begangen.“ „Ja und?“ „Dann wäre ich als Halter des Fahrzeugs doch automatisch mitschuldig, oder?“ „Wie kommen Sie denn darauf?“ „Es ist dieselbe Rechtskonstruktion.“ „Nein, das verwechseln Sie.“ „Aber wieso denn? Ich habe mir ein Auto gekauft, eine Sache, mit der man Straftaten begehen kann, Ordnungswidrigkeiten oder…“ „Das ist hier unerheblich.“ „Wenn ich dieses Auto nun stehen lasse, beispielsweise in meiner Garagenauffahrt, während ich gerade den Kofferraum auslade, und dann kommt ein Bankräuber und sieht es, und dann bin ich für einen Augenblick im Haus, und dann steigt er ein und fährt damit weg und begeht einen Bankraub.“ „Das ist doch nun völlig unerheblich. Außerdem ist das ein derart zusammenkonstruiertes Beispiel, das würde doch im täglichen Leben nie so passieren.“ „Wie beispielsweise eine Rentnerin, die ohne einen Computer illegal Filme herunterlädt?“ „Das ist aber auch etwas komplett anderes. Das hat mit dem normalen Leben überhaupt nichts zu tun.“ „Warum nicht?“ „Naja, es handelt sich um dieses Internet.“

„Dann noch anders. Denken Sie mal an Geld.“ „Was soll damit sein?“ „Diese Offshore-Konten, die rein zufällig immer mit Schwarzgeld gefüllt sind.“ „Das ist natürlich ein Problem.“ „Eben, und genau das verstehe ich jetzt nicht.“ „Was verstehen Sie daran denn nicht?“ „Wenn Sie Ihr Geld in einer dieser Steueroasen anlegen, warum tun Sie das?“ „Keine Ahnung. Vielleicht ist es in dem Land schön warm, da wachsen die Geldscheine schneller.“ „Blödsinn, Sie wollen Steuern hinterziehen.“ „Aber das lässt sich doch bestimmt nachweisen.“ „Wozu? Man kann doch einfach annehmen, dass Sie Steuern hinterziehen wollen, weil es möglich ist, und schon sind Sie schuldig.“ „Das ist jetzt aber alles ein bisschen simpel.“ „Mag sein, allerdings wissen Sie meistens genau, was mit dem Geld passiert. Sonst würden Sie es nicht in diesen Steueroasen anlegen.“ „Das kann auch passieren, weil Sie beispielsweise bei einer Bank sind, die das Geld für Sie anlegt.“ „Sie müssen erstens bei einer Bank sein, die nichts anderes tut, als Ihr Geld in einem dieser Offshore-Schlupflöcher anzulegen, und zweitens weisen die Banken Sie vorher darauf hin, dass Sie das gar nicht dürfen.“ „Und dann lassen die es trotzdem zu, dass Sie Ihr Geld von denen anlegen lassen?“ „Nicht, ohne Sie darauf hingewiesen zu haben, dass Sie die alleinige Verantwortung tragen für das, was die Banken da tun, obwohl die Ihnen auch sagen, dass das alles vollkommen legal ist.“ „Jetzt nehmen wir mal an – rein theoretisch – es kommt nun doch mal zu einem Steuerbetrug.“ „Das wird schon deshalb nicht passieren, weil es kein Betrug sein wird.“ „Warum nicht? Ist das nicht zumindest rein theoretisch denkbar?“ „Dazu müssten Sie schon eine klare Betrugsabsicht zeigen.“ „Und die ist nicht denkbar dadurch, dass man den Verdacht nicht ganz ausräumen kann?“ „Weil man bei dieser Bank ist, die auch sonst bei Steuerhinterziehungen behilflich ist? Nein, sicher nur ein Zufall.“ „Weshalb macht dann die Bank alleine den Kunden haftbar?“ „Möglicherweise fühlt sie sich gestört.“ „Und der Kunde kann die Bank überhaupt nicht in Haftung nehmen?“ „Nein, er muss von vornherein darauf verzichten, jemand anderen haftbar zu machen für das, was die anderen mit dem Geld anstellen. Aber trösten Sie sich, die Bank macht das auch so.“ „Gut, und was würde jetzt passieren, wenn man diese ganzen Verbrecher vor Gericht stellen würde?“ „Sie müssen bedenken, wir leben in einem Rechtsstaat. Deshalb werden sie schließlich so gut wie immer freigesprochen.“


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4 responses

10 04 2013
George

Ach deshalb spricht man auch in der Seefahrt vermehrt von Störfällen und nicht mehr Unglücken. Weil es ja auch heißt, vor Gericht und auf hoher See… Sie wissen schon.

10 04 2013
bee

Unter Juristen gilt der Störfall ja schon als Kaviar des kleinen Anwalts.

10 04 2013
George

Aber muß doch nicht immer, oder? Und es gibt ja auch den von Forellen, oder den ganz leckeren vom Seehasen. Aber dann muß man wieder auf See, und da ist es wieder wie vor Gericht. Wobei Kaviar ja nur ein Horsd’œuvre sein soll, also vor dem eigentlichen Gericht kommt. Wo war ich? Oh, ein alter Schokoladenosterhase…

10 04 2013
bee

Als Verbraucher oder vor Gericht, es ist doch immer dasselbe. Zum Schluss kann man sich nur für den Fisch bedanken.

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