Am Boden zerstört

18 04 2013

Breschkes Finger deutete auf das schwerlich Übersehbare. „Das ist ein Fleck“, erläuterte er. Ich hätte die Verfärbung auf dem Teppichboden mit einem schwarzen Loch verwechseln können, aber nun herrschten Frieden, Sicherheit und allgemeines Einverständnis. Es handelte sich um einen Fleck. Das erforderte sofortiges Handeln.

Horst Breschke strich sich bedächtig durch den Schnurrbart. „Da in der Ecke sind sowieso noch zwei so kleine Stellen, aber das waren die Flecken von dem Holzleim.“ Sein Gedächtnis mochte ihm wohl einen kleinen Streich gespielt haben, denn die ominösen Stellen stammten vom vorletzten Winter, als der Pensionär den Versuch unternommen hatte, seine maroden Cocktailsessel wieder in Schuss zu bringen. Pummke & Bröhrmeyer hatten ihm darauf ein reizendes Sitzensemble zum Vorzugspreis geliefert, bordeauxfarbener Breitcord, wie geschaffen für ein Arbeitszimmer im zweiten Stock. „Jedenfalls kriegt man die nicht mehr raus“, erläuterte er. „Ich habe ja schon gerieben, aber das war nichts.“

Bismarck, der dümmste Dackel im weiten Umkreis, lagerte schläfrig auf dem weinroten Sessel und beäugte uns kritisch. Kein Grund zum Einschreiten, doch wachte er mit äußerster Genauigkeit über den Teppich. Schließlich kannte er die Auslegeware aus direktem Kontakt, und wer weiß, was er alles hätte erzählen können. Man soll Hunde nie unterschätzen.

„Wir haben es mit Kernseife versucht, mit Erfrischungstüchern, und schließlich hat meine Frau reinen Alkohol besorgt aus der Apotheke.“ Ich besah die Verfärbungen. „Und Sie haben es sicher zuvor gründlich abgesaugt?“ Er schüttelte heftig den Kopf. „Aber nein! Man weiß doch, dass diese modernen Geräte viel zu stark sind für die glatten Teppiche. Man ruiniert sich doch den Boden damit.“ Ich schüttelte den Kopf, doch er musste es gesehen haben. „Natürlich werden wir mit den neuesten technologischen Mitteln vorgehen, aber immer im Rahmen der Verhältnismäßigkeit.“

Den Teppich im Flur, ehemals altweiß mit luftiger Schlinge in reiner Schafschurwolle, hatte bereits die Gelegenheit, sich auf die neuesten technologischen Mittel einzustellen. „Meine Frau war ja erst dagegen.“ Bismarck rümpfte erkennbar die Nase, so weit ging seine Erinnerung doch noch. „Wir haben ihn mit zwanzig Pfund Sauerkraut abgerieben. Nicht ganz einfach, aber dafür war er hinterher weißer als zuvor.“ Die kleinen braunen Verfärbungen waren sicher der Tatsache geschuldet, dass es sich um Weinsauerkraut gehandelt haben musste. Oder hatten sie es mit Kernseife kombiniert? Ich wagte nicht zu fragen.

Stolz hielt er mir eine grellbunte Sprühdose ins Gesicht. „Meine Tochter hat da etwas gefunden.“ So fingen die meisten unheimlichen Geschichten an. Sicher würde seine Tochter bei einer ominösen Quelle aus dem Morgenland, bei den sieben Zwergen oder im Internet ein Bernsteinzimmer in Pulverform finden – bis dato hatte sie noch immer Dinge aufgestöbert, mit denen sich ein durchschnittlicher Haushalt innerhalb weniger Augenblicke in rauchende Trümmer verwandeln ließ. Bis auf die Veilchenpaste aus Gibraltar, die aber aus Zollgründen einen arabischen Aufdruck hatte, weil sie über Marokko aus Taiwan importiert wurde. Die Waschmaschine roch schon einen Waschgang später nicht mehr nach alten Handtüchern. Allerdings mochte dies auch daran liegen, dass es sich schon einen Waschgang später um eine neue Waschmaschine handelte.

„Dem Sprüehen isst gleichmäsig“, buchstabierte der pensionierte Finanzbeamte, während Bismarck bereits die Ohren spitzte. „Wenn die gleich Mässig, dann Flasche ist waagerecht und Presse auf kleines Knopff.“ Zur Vorsicht schüttelte er die Pulle ordentlich. Sicher ist sicher. Man will nicht ausschließen, dass sich die Flecklöser sonst in den Ecken der Flasche verkrochen hätten. „Und jetzt werde ich die Sprühspitze mit den roten Ventil – haben Sie ein rotes Ventil an der Flasche gesehen?“ Doch dafür war es schon zu spät. Wie aus einem Schaumlöscher quoll eine dickliche Masse auf den Boden. Bismarck schoss wie ein Berserker vom Sessel und verschwand durch den Türspalt. Er hatte recht, denn er hätte nicht unter dem Sprühschwall sein sollen, wie sich herausstellte.

„Es zieht verhältnismäßig schnell ein in den Teppich“, befand Breschke. „Dies Zischeln stört etwas“, antwortete ich, „allerdings stört mich dieser stechende Geruch doch noch etwas mehr.“ Er schüttelte den Kopf. „Wir sollten einmal kräftig durchlüften“, beschloss er und hakte die Fensterflügel auf. Unter dem Schaum, der sich langsam verzog, sah es bräunlich aus. „Keine Sorge“, beruhigte mich der Alte. „Ich hole nur rasch den Staubsauger. Das ist im Nu erledigt.“

Ein paar Bahnen mit dem Sauger, und die Schlinge löste sich schnell und spurlos. „Aber ich habe doch gleichmäßig gesprüht“, stöhnte Breschke, „woher kommen denn jetzt diese Löcher?“ „Sehen Sie es positiv“, ermunterte ich ihn, „nichts stört mehr den Blick – endlich sieht man das naturbelassene Gummi. Noch drei bis vier Dosen, und Sie haben hier oben einen hervorragend rutschfesten Bodenbelag.“ Breschke blickte mich an wie ein waidwundes Reh. Aber schließlich hatte er nicht einmal verkehrt gelegen, es war im Nu erledigt. Dieser moderne Staubsager leisten eben ganze Arbeit.