
Gernulf Olzheimer
Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.
Es war im Pleistozän, wenige Jahrhunderte zuvor hatte es zu schneien begonnen, und Uga hockte mit dem Werkzeug am Feuer. Wenige Schritte entfernt unternahm ein Hominide die ersten Versuche in Richtung Metallurgie. Rechts davon schnitzte Rrt seine dreizehnte Knochenflöte, nicht, ohne sie einem ausführlichen Praxistest samt rhapsodischen Intermezzi in freien Rhythmen zu unterziehen. Der Nachwuchs wuchs nach und testete unterdessen die akustischen Variablen der Umwelt. Es war schließlich nur noch eine Frage der Zeit, bis die arbeitsteilige Gesellschaft entstand, in der die Weber in der Weberei woben, während die Töpfer in der Töpferei töpferten. Ansonsten hätten die Beknackten, abgesehen von einer drohenden Unterversorgung mit so gut wie allen Erzeugnissen des täglichen Lebens, sich schnell einen kollektiven Knall eingefangen. Nur einmal noch haben sie sauber danebengegriffen, und das absichtlich. Sie erfanden das Großraumbüro.
Elf bis zwanzig Reihen zu je neun bis drölfzig Tischen mit mindestens zweieinhalb Stück Mensch hocken auf- und umeinander, tippen, wühlen im Papier, knödeln in ihre Hörsprechschädelklemmen und zucken im Sekundentakt zum Gefiepe der Telefone. Hektisch hacken die Tacker, schwabbern Callcenterfuzzis gegen den Lärmpegel an, der beständig wächst, so dass sie lauter reden, so dass der Pegel steigt, so dass sie lauter reden, so dass der Pegel steigt, und wenn sie nicht gestorben sind, dann rieselt zwischendurch die Wand unter dem Putz weg. Das wäre nur logisch.
Gäbe es jenes höhere Wesen, das wir verehren, es hätte sich das Großraumbüro nicht ausgedacht, eher sein Widerpart, der Vegetarier (Hörner, gespaltene Hufe und Quastenschwanz passen nun mal physiologisch nicht zu einem Fleischfresser) muss sich diese Foltermethode aus der trüben Fantasie geschält haben. Denn Arbeit kann nicht der Zweck dieser sozialen Zusammenrottung sein. Wer ansatzweise weiß, dass auch qualifizierte Kräfte im Meeting höchstens die geistige Leistung komatöser Klappstühle liefern, hat eine realistische Schätzung dessen, was die Fortsetzung der Krabbelgruppe mit anderen Mitteln einbringt. Man lernt seine Kollegen schneller kennen, vulgo: jeder Halbaffe geht einem sofort zielgerichtet auf die Plomben. Jede Idee wird zeitnah aufgegriffen, heißt im Klartext: es gibt nicht den Ansatz von Privatsphäre, was im Umkehrfall auch bedeutet, dass die extrovertierteren Teile der Belegschaft durch ihre pure Existenz den Rest der Räumlichkeit in die Nähe der Hirnembolie treiben. Jeder mischt sich ungefragt in jeden Mist ein, erklärt freihändig undokumentierte Funktionen der Buchhaltungssoftware, bringt damit en passant die ganze EDV eines Großkonzerns zum Abschmieren und erfreut sich damit ungeteilter Aufmerksamkeit. Was es an Körpergeruch zu erzählen gäbe, fällt ebenso in dies Ressort. Doch das ist es nicht.
Um die Gruppendynamik der Laborratten vor der Tastatur zu untersuchen, empfiehlt es sich, den Flüssigkeitshaushalt der Probanden in den Fokus zu rücken. Holt einer sich einen Kaffee, holt sich die ganze Reihe einen Kaffee. Benutzt einer die Getränkerückgabestelle, entwässert binnen einer Viertelstunde das ganze Rudel. Wer noch immer Mietkosten und ähnliches Effizienzgefasel als Ausrede für die Hallenhaft nimmt, wäre rein buchhaltungstechnisch mit dem Home Office besser beraten. Warum lässt man die Arbeiter jeden Tag ein paar Kilometer durch die Landschaft rödeln, um sie am netzwerkfähigen Endgerät acht Stunden lang Dusselaufgaben erledigen zu lassen?
Der Gesindegulag ist nicht weniger als der Beweis, dass Foucaults Idee vom Überwachen und Strafen längst realisiert wurde, inklusive des idealen Panoptikums – um Kohle zu sparen, wird der Part der Aufseher wechselseitig von allen Kollegen übernommen, die einem bis auf die Knochen gucken, während der Chef seine pastorale Macht mit der Knute zärtlich unterstreicht. Es bedarf weder eines Wachdienstes, um die Faulen auszusortieren, noch kontinuierlicher Propaganda, die die Gehörgänge der Untertanen zuschwiemelt. Die kostengünstige Eigendressur macht die Knochen morsch, um sich besser unter das Joch des Produktivmantras biegen zu können, und fertig ist eine Population hirnloser Flusenlutscher, die sich das Bewusstsein ständiger Unterwerfung mit der Verlockung schöndenken, auch alle anderen im Visier zu haben. Dass sie billige Vollstrecker des normativen Zwangs sind, haben sie nicht auf dem Schirm. Hauptsache, sie können herumtrampeln, notfalls auf ihresgleichen. Das Wort Selbstdisziplin bekommt da einen Beigeschmack von Wahrheit.
Doch es rächt sich, und das ist nicht einmal schlecht. Nirgends, wo viele Kulis hocken, bleibt man verschont von Übersprungshandlungen, in diesem Fall jene der Viren. Die Gruppendynamik gilt auch bei Infektionen, hustet einer, liegt alsbald die halbe Belegschaft fiebernd, da die Klimaanlage in der Legehennenzone den Schmadder optimal verteilt und auf vorgetrocknete Schleimhäute einwirken lässt. Die seelisch verursachte Disposition zur Flucht ließe sich leicht errechnen, mit ihr auch der volkswirtschaftliche Schaden, den die Controllingkasper gerne unter den Tisch fallen ließen. Das Diktat zur uniformen Fließbandarbeit lässt sich außerhalb des Fließbandes nicht in die Tat umsetzen. Somit war der Pleistozänmensch klüger als der durchschnittliche Personalschlumpf der postindustriellen Ära. Und er hatte vermutlich seltener einen Burnout. Was für eine vorsintflutliche Gestalt.
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