
Gernulf Olzheimer
Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.
Es fing an mit der bröckelnden Decke, die große Teile der Eigentumshöhle unter sich zu begraben drohte. Die Wurzeln des Dachgeschossbaums bohrten sich unangenehm durch den Kronleuchter, die postdiluviale Vertäfelung warf erhebliche Blasen, der Grundstückspreis sank auf einen Feuerstein pro Quadratmeter. Jetzt war guter Rat teuer. Eine Zweitfeuerstelle leasen, um die Säbelzahntigerbrühe ohne Plafondgeriesel zuzubereiten? Das Penthouse erfinden? Die kluge Hominidin hatte einen Rat von bleibendem Wert. Sie empfahl den Standortwechsel in das Felsensemble schräg gegenüber (Abendsonne, Fließwasser hinter dem Busch, Feuerstelle auf ebenerdiger Terrasse). Geboren ward die Geißel des sesshaften Menschen, der Umzug.
Wer würde freiwillig sein Biotop verlassen? Als Zierfisch auf dem Flokati überwintern? Opfer zu kleiner Balkone sein, da man zufällig eine Kuh ist? Ein Radieschen in der Tiefgarage? Der Mensch als solcher ist den Gegebenheiten unterworfen, fügt sich den Forderungen, die er aus Jobwechsel, Eheschließung und dem Ende entscheidender Lebensabschnitte wie Kindheit, Hochschulbesuch oder Bewährungsfrist schöpft, und wechselt sein persönliches Umfeld. Manchmal foppt ihn die Gewohnheit, er läuft westwärts zum Bäcker, obzwar er in der neuen Bleibe ostwärts zum Büro müsste. Neue Behausungen erzeugen ein neues, nicht immer mit der Wirklichkeit kompatibles Bewusstsein.
Der Abschied aus dem Loch mit Kochnische vollzieht sich meist in den fünf Stufen, die auch den Übergang zwischen gesellschaftlicher Unverträglichkeit und biologischem Abbau markieren. Nichtwahrhabenwollen und Isolierung: der Delinquent hadert mit der Kündigung, er wäre so gerne noch in diesem Plattenbau geblieben, auch ohne Heizung, auch mit gesprungenen Fenstern. Er flieht sein Gehäuse und wird vornehmlich in den Schnapsläden des Quartiers gesichtet. Zorn: diese verdammte Garderobe passt nicht in den Flur der neuen Wohnung, weil man dann die Tür nur noch halb öffnen kann. Außerdem hat der Makler den Behämmerten übers Ohr gehauen, die flüsterleise Dunstabzugshaube ist in Wahrheit Vollschrott. Verhandeln: das mit dem Kabelanschluss ist schon okay, dann spart der Bescheuerte die Kohle eben beim Warmwasser wieder ein. Nur noch einmal pro Woche waschen, nur noch einmal pro Monat duschen. Und ein Job muss auch her. Depression: ohne zwölf Meter Schlagerplatten wird das Leben eine Qual sein, die sich grausam lange dem Ende entgegenschwiemelt, und wer konnte schon ahnen, dass ein Neubau statisch nicht einmal für einen Konzertflügel ausgerichtet ist. Der Blick auf die Alpen wird auf Mallorca nie wieder derselbe sein. Und die Gartenzwerge gehen ganz sicher verloren. Akzeptanz: unmittelbar nach dem Klingeln der Möbelpacker wird klar, dass die Sache nicht mehr zu ändern ist. Wobei die Möbelpacker optional sind.
Der durchschnittliche Bekloppte betreibt natürlich die Zwangsverpflichtung sämtlicher seit Sandkastentagen bekannten Opfer im Bekannten-, Familien- und Kollegenkreis, gerne schreibt er ausgewanderte Mitschüler an oder überzeugt in der Fußgängerzone durchreisende Panflötenspieler von der Notwendigkeit, seine Habe in Pappkuben vom dritten in den fünften Stock zu schleppen, ohne Fahrstuhl, aber mit zwei Urstromtälern dazwischen. Gerne übertreibt es der Projektmanager, indem er eine Hundertschaft rekrutiert, die beim Verlasten einer möblierten Wohnküche größtenteils das Treppenhaus verstopft und die Arbeitszeit um das Dreifache verlängert. Profis hätten in dieser Zeit den Louvre entkernt, das Bernsteinzimmer im Lager aufgespürt und nach Peru expediert.
Aischyleische Ausmaße nimmt der Akt der Trennung ein. Wie ohne eine der siebzehn Socken, die ohne Gegenpart, wie ohne die Fotoalben, wie ohne Fußballsammelbilder, Nippes und die gelben Eierbecher aus dem Bulgarienurlaub 1974 in die Doppelhaushälfte ziehen? Wie wird es sich anfühlen, die Bücherkartons zu öffnen in der festen Annahme, irgendwo doch noch das lang gesuchte Zweitexemplar der Broschüre Originelle Geschenke aus Pfeifenreinigern zu finden? Kann man das hornhautfarbene Teeservice von Tante Irmintrud en bloc fallen lassen oder muss man einen Transportschaden simulieren? In der neuen Bude gibt es sowieso jede Menge Stress, die Steckdosen sind weltfremd angebracht und die Kippfenster nur mit Brachialgewalt zu öffnen, die Nachbarn betreiben eine Nashornzucht, aus dem Ho riecht es nach Gebrauchtbier und die Tür lässt sich nicht einmal öffnen, wenn die Garderobe nicht im Flur hängt. Nachts rumpelt der Beknackte drei Monate lang in Schrankwände und Glastüren, bolzt gegen Tischecken und knickt sich Zehen an den dazu angebrachten Türschwellen. Die neue Bleibe ist Vertreibungsbetreuung. Aber der Umgezogene redet sie sich schön, weil sie eine neue Existenz ermöglicht. Vielleicht sogar die endgültige.
Vermutlich hofft er, nach dieser Inkarnation dasselbe vorzufinden: eine bleibende Statt, die in sich das Nötige birgt, ein sorgenfreies Refugium, wo der Bekloppte nachts raus kann, ohne sich Muster in die Birne zu rammen, ein süßes Heim für die mühselig Beladenen. Und dass dieses dämliche Pfeifenreinigerheft wieder da ist. Wofür sonst hat man Metaphysik.
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