Gernulf Olzheimer kommentiert (CXCVIII): Die Kantine

31 05 2013
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Schon seit Jahren regnete es, und die kurz vor dem Erscheinen des Hominiden auf der Erdkruste einsetzenden Temperaturmessungen wiesen klar nach unten. Eiszeit. Scheißwetter. Wie angenehm, dass Nggr und seine Brüder, seine Söhne und der Rest der Sippe, von dem niemand so recht wusste, wer da von wem abstammte, bei Einbruch der Dunkelheit die Höhle erreichten, in denen die Frauen brutzelten und brieten: Stachelschwein am Spieß, Säbelzahntiger im Speckmantel, Mammut auf Toast. Schon am Eingang der Kaverne setzte bei den Jägern und Sammlern Speichelfluss ein, der Pawlow in Ekstase gebracht hätte. Angesichts der Tatsache, dass es sich um Protein mit Brandspuren handelte, war doch die Auswahlmöglichkeit von ungleich größerer Bedeutung, verbunden mit der Aussicht auf ein kulinarisches Erlebnis im Kreise der Lieben. Kein Zweifel, das gibt es heute nicht mehr. Fast nicht. Höchstens in der Kantine.

Die gemeine Kantine – dem Wortsinn nach ein Flaschenkeller, und damit wäre auch geklärt, wer in diesem Betrieb arbeitet – begrüßt den eintretenden Gast mit einem ästhetischen Potpourri aus brackig angestauter Warmluft mit Kopfnoten aus porösem Schuhwerk und ungepflegter Epidermis sowie den Kreationen des Tages: frittierte Fauna mit Grün aus Grufthaltung und auferstehungsunwilligen Knollenresten, gesottener Ex-Säuger mit Zombievegetation und mehligem Matsch, koagulierte tierische Eiweiße mit rottender Feldfrucht und krustig verkochtem Stärkekonvolut. Eine Mixtur, die ansonsten nur als Rausschmeißer für die Geisterbahn taugt, soll hier den Atzung suchenden Bekloppten seelisch auf sein letztes Gefecht vorbereiten. Lasciate ogni speranza, voi ch’entrate. Hat er sich dann ins Unvermeidliche geschickt, reiht er sich ein in die Schlange, die geradewegs zum Jüngsten Gericht führt – heute wird’s Schalter B sein, wo ihn für Dreifuffzich Kohlfischpamps erwartet, leicht von in Bratfett gebratenem Bratfett (Schalter A) und der Knoblauchapokalypse am Reisrand (Schalter C) gestört, schwerstens jedoch von der Resterampe an Schalter D gekontert, deren staubiges Aroma in Schleiern durch den Raum wabert, als hätte der Koch gut abgehangene Mumien aus dem Alten Reich über die Sättigungsbeilage geraspelt. Voll selbstquälerischer Inbrunst wandert der Blick auf die in kühler Perfektion exekutierte Mechanik, auf die Materialschlacht an der Tablettausgabe, wo mit einem wesenlosen Blick ein geschlechtsloses Ding in fleckiger Kittelschürze einen Klotz warmweichen Schmadders aufs Speisefach spachtelt, das ohne nennenswerte mechanische Reaktionen auch ein ansatzfrei eingesprungenes Kippen der Unterlage um 90 Grad hinnimmt; der Kenner weiß, es handelt sich nicht um experimentelle Festkörperphysik, sondern um die als Bandnudeln angeschlagene Kohlenhydratkomponente, die neben einem in Schiffsdiesel marinierten Neunauge die Belegschaft an die schicksalhafte Sterblichkeit der Kreatur gemahnen soll. In diesem Fall übernimmt es die frappant an Fäulnis erinnernde Konsistenz der über einem intermittierend funktionsfähigen Heizlüfter gelagerten Meerestiere; Fernweh kommt auf nach dem Mittelmeer, nach der Sardinenlagerhalle eines gottverlassenen Kaffs, die versehentlich eine Woche im August lang nicht geputzt wurde und aus zwei Grüntönen besteht, der eine läuft an der Wand herunter, der andere läuft schon wieder hoch. Dazu reicht die Servicekraft Gurkensalat.

Das Ambiente tut ein Übriges. Nach beißender Lauge duftende Tischkolonnen erwecken fälschlich den Eindruck, die sanitären Einrichtungen seien in identischem Status. Tatsächlich gibt es, je nach Verhältnis zur örtlichen Gesundheitsbehörde, entweder nur einen Reiniger oder nur einen Lappen, und es wäre noch zu fragen, was besser ist. Das Besteck ist den Utensilien des Maurerhandwerks nicht unähnlich, das für Teller- und Terrinengerichte verwendete Geschirr entstammt der Serie Herbstdepression und hinterlässt bei unsachgemäßer Verwendung unangenehme Dellen im Betonboden, kurz: der Grobmotoriker fühlt sich spontan wohl, die übrigen Mehlmützen fallen auch nicht weiter auf. Das Personal besteht aus Brezelbiegern, die im dritten Anlauf ein Praktikum im Wasserkochen nicht nachweislich versemmelt haben, billige Kräfte, die mit billigen Zutaten Substanzen anfertigen, für die ein Endlagergesetz längst zu spät käme.

Denn daran liegt es, dass der Bescheuerte sich auf Geheiß ökonomisch hysterisierter Knalltüten Gewölle hinters Zäpfchen schwiemelt, statt in der Pause eine Mahlzeit zu verzehren. Längst wird das Pockenpüree in der globalen Großküche produziert, in untotem Zustand verlastet und in der Werksküche wieder hochgejazzt. Längst sind die chinesischen Erdbeeren als Dessert zu Darmkeim Hausfrauenart billiger als die frischen Früchte der Region, längst läuft das wienerartige Schnitzel unter Thaifood, da in Bangkok von der Sau gesäbelt, längst kann der Kinderarzt bei drohender Grippe die Extraportion Antibiotika verschreiben in Form von Seelachs mit Spinatimitat. Hauptsache, der Rotz an Schalter B kostet eben nur Dreifuffzich, begeht vor Selbsthass keinen Suizid unter der Gabel und hinterlässt den nässenden Hautausschlag erst nach dem Verlassen der Kantine. Wir regen uns nicht auf, dass diese Kollateralschäden vom Löffel herunterweinen, wir regen uns erst auf, wenn das Wolpertingerfilet auf gedünsteter Laubsägearbeit plötzlich zehn Cent mehr kostet, nicht, weil die prekär beschäftigten Pfannenschwenker uns dauerten, sondern nur, wenn der mehrfach wegen Blasenwurf im Gammelfleisch aufgekippte Futtermittelerzeuger seine Geldbußen nicht mehr einpreisen kann. Wir wundern uns nur über Hufspuren in der Lasagne, aber nicht, wie man mit Minijobbern und Kitt in einer osteuropäischen Kaschemme Wildgulasch herstellt zu einem Preis, für den man in zivilisierten Ländern nicht einmal die Rohware bekäme.

Immerhin hockt der Bekloppte im Trockenen und muss nicht übers Wetter reden. Gemeinsam verarbeitet er den täglichen Ekelschock besser und entlastet den Betriebsarzt. Das stiftet Gemeinschaft. Das und die Schirmchen, wenn es Aas Hawaii gibt.


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6 responses

31 05 2013
lamiacucina

wäre zynaesthesie ein foodblog, würde ich mit „lecker !! “ kommentieren.

31 05 2013
bee

Mir schwebte da eher vor: „Ich hatte keinen Estragon im Haus und habe stattdessen Tomatenketchup genommen. Was für ein widerliches Rezept, seid Ihr alle geschmacksamputiert!?“

31 05 2013
Shhhhh

Nach einer ganz einfachen Formel habe ich hier einmal etwas berechnet:
bei hoher Smalltalkperspektive unter Berücksichtigung des geringen Ausweichkoeffizienten besteht ein erhebliches Risiko in ein Gespräch über das Wetter verwickelt zu werden.

31 05 2013
bee

Wer mit einer Separatorenfleischzubereitung im Silikonmantel kämpft, wird sich nicht einmal über das gerade stattfindende Erdbeben austauschen wollen.

4 08 2013
Low

Danke für die wertvolle Einführung in die Feinkost. Leider blieben alle die schönen Zusatzstoffe, gesegnet von Eurokraten in Brüssel, unerwähnt.

4 08 2013
bee

Dafür stehen sie auch nicht auf der Speisekarte.

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