Passiv bewaffnet

5 06 2013

„Was ist eigentlich passive Bewaffnung?“ „Wir sagen ja lieber Schutzwaffen.“ „Verstehe, man sagt ja auch Schutzhaft.“

„Der Fall ist doch juristisch ganz klar: eine Schutzwaffe ist ein Gegenstand, der eine Person vor der Wirkung von Waffen schützt.“ „Das klingt jetzt logisch. Dann ist eine Feuerversicherung also ein Feuer, das einem die Versicherungen vor der Nase abfackelt.“ „Was reden Sie da für einen Unsinn!“ „Pardon, ich hatte Sie gerade ernst genommen.“ „Unterlassen Sie diese Späße, hier geht es um die Demokratie. Da dulde ich keine Zweideutigkeiten.“

„Was ist denn jetzt der Unterschied zwischen der passiven und der aktiven Waffe?“ „Wenn man eine Waffe besitzt, muss man sie nur besitzen – das ist aktive Bewaffnung.“ „Also im Prinzip rechtlich viel eindeutiger.“ „Genau, die ist okay, die kann man gesetzlich regeln.“ „Das ist relativ einfach zu merken, das sollte sogar ein Polizist schaffen.“ „Aber ein Halstuch einfach so herunterhängen lassen – vom Hals oder aus der Hosentasche, oder noch schlimmer: in der Innentasche, wo man gar nicht sieht, dass es sich um eine passive Waffe handelt, das ist gefährlich.“ „Lassen Sie mich raten, das übersteigt den intellektuellen Horizont eines Polizisten?“ „Unsinn, das ist eine Waffe, die gegen legale Waffen schützt, also ist sie illegal.“ „Warum ist sie illegal?“ „Weil jede Waffe von Polizisten nun mal legal ist.“ „Das ist nicht der Grund, es geht doch um den Einsatz der Waffe.“ „Eben, der ist illegal. Weil ja jede Waffe von Polizisten legal ist, und daher ist ja auch jeder Waffeneinsatz von Polizisten immer legal. Und daher ist ja auch jeder Einsatz von illegalen Schutzwaffen immer illegal, weil die illegal sind, diese passiven Waffen.“

„Das gilt generell für alle Gegenstände, die man als passive Bewaffnung verstehen könnte?“ „Aber ja, wir brauchen schließlich Rechtssicherheit.“ „Für den Bürger?“ „Der Bürger ist mir doch scheißegal, ich bin Beamter.“ „Und damit rechts, sicher?“ „Wie soll ich das jetzt verstehen?“ „Beispielsweise eine Sonnenbrille.“ „Was ist damit?“ „Die ist als passive Bewaffnung ausgewiesen.“ „Selbstverständlich, man spricht seit jeher von: mit dem unbewaffneten Auge sehen.“ „Und wenn ein Teilnehmer einer Versammlung eine Sonnenbrille aufsetzt, ist das ein bewaffneter Angriff auf die Staatsmacht?“ „Wir lassen uns nicht auf der Nase herumtanzen.“ „Und diese Sonnebrille schützt noch mal genau wovor?“ „Sie ist verboten.“ „Sie schützt wovor, bitte?“ „Gegen Videoaufnahmen.“ „Ich bin unsichtbar mit einer Sonnenbrille? Gut, dass Sie das sagen, ich gehe nie mehr ohne aus dem Haus.“ „Lassen Sie diesen Unsinn, gegen die Identifizierung auf den Videoaufnahmen natürlich.“ „Sie meinen die nicht richterlich genehmigten Identifizierungen auf den nicht richterlich genehmigten Videoaufnahmen, richtig?“ „Verschonen Sie mich gefälligst mit Ihren Spitzfindigkeiten.“ „Und deshalb ist also eine Sonnenbrille generell eine passive Waffe?“ „Ich muss das nicht beantworten.“ „Und eine lila Perücke ebenfalls?“ „Ich muss das hier nicht beantworten!“ „Das ist richtig, Sie haben es ja bereits getan.“

„Jetzt müsste man nach der Bewaffnung der Polizei fragen.“ „Wieso Bewaffnung? Seit wann ist denn die Polizei bewaffnet?“ „Das fängt ja mit der Schusswaffe an und…“ „Unsinn, die wird doch nie benutzt, es sei denn im äußersten Notfall.“ „Also nicht aktiv?“ „Selbstverständlich nicht!“ „Dann ist es also keine aktive Bewaffnung?“ „Das habe ich Ihnen doch schon…“ „Die Polizei ist also auch passiv bewaffnet?“ „Sie drehen mir nicht das Wort im Mund herum, Sie nicht!“ „Die Polizei trägt doch die Waffen nur, um sich vor der Einwirkung anderer Waffen zu schützen?“ „Sie nicht!“ „Dann verstößt also die Polizei zumindest passiv gegen das Versammlungsrecht?“ „Sie nicht, Freundchen! Sie nicht!“ „Und falls das für Helme oder Schilde gilt, dann müsste das doch auch passive Bewaffnung sein, oder?“ „Sie nicht!“

„Wenn Sie also der Meinung sind, dass eine Sonnenbrille anlassunabhängig eine Bewaffnung darstellt, dann sollten Sie doch wissen, dass man eine Sonnenbrille auch absetzen kann.“ „Die Tatsache, dass eine passive Waffe aktiv mitgeführt wird, reicht aus, um eine aktive Bedrohung zu erzeugen.“ „Man kann durch das Mitführen einer Sonnenbrille, die man während einer Demo nicht trägt, dennoch zum Sicherheitsrisiko werden?“ „Natürlich. Wir würden ja auch keine Schusswaffen erlauben, nur weil wir rein theoretisch davon ausgehen könnten, dass sie vielleicht nicht zum Einsatz kommen.“ „Nur tragen nicht so viele Demonstranten Schusswaffen, wie es Träger von Sonnenbrillen gibt.“ „Man muss den Anfängen wehren – heute erlauben wir den Leuten Halstücher, und morgen haben wir dann lauter atheistische Veganer, die mit einer Panzerabwehrkanone auf unschuldige Bereitschaftspolizisten zielen.“ „Und die lila Perücken?“ „Sie wissen nie, ob sich nicht so ein schwarzer Block unter den Dingern versteckt.“ „Das heißt, eigentlich ist jeder, der eine lila Perücke trägt…“ „Tragen könnte!“ „… bereits zum antikapitalistischen Widerstand gehört?“ „Solange wir nichts ausschließen können, können wir nichts ausschließen.“

„Meinen Sie nicht, dass man diese Bezeichnung noch einmal gründlich überdenken sollte?“ „Wozu denn, Sie sehen doch, dass sich die Polizei in höchster Gefahr befindet. Wir sind ja praktisch ständig Gefahren ausgesetzt, die wir noch nicht einmal einschätzen können, weil wir gar nicht wissen, ob sie existieren.“ „Und wenn sie gar nicht existieren?“ „Dann lässt es sich womöglich nicht ausschließen, dass sie rein theoretisch existieren könnten, und damit stellen sie eine reale Bedrohung dar.“ „Und damit ist natürlich jeder Gegenstand ohne Berücksichtigung seiner Funktion und seines Einsatzes eine Waffe.“ „Natürlich.“ „Wie zum Beispiel Schnürsenkel.“ „Man kann damit Kampfstiefel zuschnüren, mit denen man Polizisten in Ausübung ihres Dienstes gefährliche Verletzungen zufügt.“ „Man kann sie auch einfach für Turnschuhe benutzen.“ „Lebensgefährliche Verletzungen!“ „Oder sie um die Handgelenke binden.“ „Kampfstiefel!“ „Wie sie die Polizisten tragen.“ „Das sind keine Schutzwaffen, das ist Schutzausrüstung gegen Waffen! Wir wurden in Frankfurt beworfen!“ „Mit Konfetti.“ „Haben Sie schon einmal so ein Papiergeschoss ins Auge bekommen? Ich möchte Sie mal sehen, wenn Sie da am Boden liegen und sich vor Schmerzen winden!“ „Aber haben Sie keine Helme mit Sichtschutz getragen?“ „Die gehören zur friedenssichernden Standardausrüstung.“ „Und wie konnte dann unter diesen Sichtschutz Konfetti…“ „Am Boden! vor Schmerzen schreiend! Mehrere Kameraden waren schon tot, die haben sich erst auf dem Weg ins Krankenhaus als unverletzt herausgestellt!“

„Wenn Sie jetzt so generell gegen Konfetti und lila Perücken sind, dann hätte ich da etwas für Sie. Warum verbieten Sie nicht einfach den Karneval?“ „Was soll das denn? Sind Sie noch ganz bei Trost?“ „Schauen Sie sich doch mal den Kölner Rosenmontagszug an, bei dem Anteil komplett vermummter anonymer Personen und der Menge an Wurfkamelle sollte es doch möglich sein, den ratzfatz als terroristische Aktion präventiv zu verbieten.“ „Sind Sie übergeschnappt? Gar nichts wird hier verboten, das wäre doch wohl noch schöner!“ „Sie setzen sich wirklich für solche anarchischen Straßenveranstaltungen ein, die man einfach so ohne polizeiliche Anmeldung und Personenvereinzelung und Videovollüberwachung durchführen darf?“ „Ja sicher doch, das Verbot bringt uns doch gar nichts. Nicht verbieten, einfach laufen lassen – und dann jeden einzelnen Teilnehmer rausholen und erkennungsdienstlich behandeln.“ „Wozu das denn?“ „Je mehr von diesen angeblich unbescholtenen Bürgern irgendwann einen Eintrag in seine persönliche Akte hat, desto besser. Man weiß ja nie, wozu man es noch mal wird brauchen können. Rein theoretisch.“ „Also eine Art von passiver Bewaffnung gegen diese Wutbürger, richtig?“ „Wir machen das ja ohne Ansehen der Person, verstehen Sie? ohne Ansehen der Person!“ „Dann würde ich beim Innenminister anfangen.“ „Der ist passiv bewaffnet!?“ „Er besitzt ein Gehirn, das er rein theoretisch sogar benutzen könnte. Aber praktisch…“


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