05:59 – Der Wecker hat noch nicht geweckt. Thomas de Maizière springt wenige Sekunden zuvor auf und drückt den Knopf der Uhr. Einmal am Tag möchte er umfassend informiert sein und dementsprechend handeln. Einmal am Tag möchte er dem Alarm zuvorkommen. Er hat es hinter sich.
06:01 – Die Zahnpastatube ist aufgebraucht, genauer: seit einem Vierteljahr ist keine Zahnpasta mehr im Haus. De Maizière ignoriert das Problem, wie er es schon seit gut drei Monaten ignoriert. Es wurde ihm nicht schriftlich mitgeteilt.
06:09 – Auch der Frühstückskaffee gestaltet sich schwieriger als sonst, da außer einem bereits benutzten Kamillenteebeutel aus Heeresbeständen (Mindesthaltbarkeitsdatum Januar 1982) keine Zutaten für Heißgetränke zur Hand sind. Der Minister weist jede Verantwortung zurück, da die Bevorratung nicht in seinen Zuständigkeitsbereich fällt.
06:27 – Der Stabs-UvD unterbreitet seinem Minister nach einer kurzen Analyse der Lage einen Expertenvorschlag zur Bewältigung anstehender Probleme: erst die Hose, dann die Schuhe.
06:54 – De Maizière klagt über Gedächtnislücken. Sollte es sich zu einem Blackout ausweiten, ist eine Kanzlerschaft für ihn nicht mehr auszuschließen.
07:10 – Endlich Kaffee. Der Verteidigungsminister bemerkt, dass ein zusätzlicher Becher die Kasse des Hauses erheblich belastet, und erhöht den Wehretat um knapp 50 Millionen Euro.
07:37 – Das ARD-Hauptstadtstudio ruft an und verlangt ein Interview für das Morgenmagazin. Der Minister lehnt jede Stellungnahme ab und droht mit personellen Konsequenzen.
07:52 – Der Generalinspekteur der Bundeswehr räumt erstmals Fehler bei der Beschaffung der Aufklärungsdrohne Euro Hawk ein. Er spricht von einer Mitverantwortung. Der Verteidigungsminister widerspricht dem entschieden; die alleinige Mitverantwortung trage nach seinem jetzigen Kenntnisstand der Generalinspekteur.
08:14 – Auf dem Korridor wird der Minister von einen Abteilungsleiter darauf angesprochen, dass es nach Angaben des Bundesamtes für Infrastruktur, Umweltschutz und Dienstleistungen der Bundeswehr zu Verzögerungen bei der Soldauszahlung gekommen sei. Er verspricht dem Mitarbeiter, sich umgehend darum zu kümmern.
08:17 – De Maizière erteilt sich selbst die Dienstanweisung, dass Gespräche auf dem Behördenflur keine offizielle Information ersetzen. Er faxt sich das Dokument selbst zu; damit hat er erstens sofort die Amtsspitze benachrichtigt und kann sich darauf berufen, von höchster Ebene an weiteren Maßnahmen gehindert worden zu sein. Er zieht umgehende Konsequenzen und versetzt den Abteilungsleiter in den Ruhestand.
08:29 – Das Bundesfinanzministerium fragt an, da die Steuererklärung für das vergangene Jahr fällig ist. Thomas de Maizière greift reflexhaft in seine Schreibtischschublade. Seine Bürovorsteherin macht ihn geistesgegenwärtig darauf aufmerksam, dass er nicht mehr Innenminister ist.
08:40 – Die vom Ministerium bestellten beschusssicheren Helikopter sind eingetroffen. Die Panzerung stellt sich als nicht geeignet heraus, da man sie bereits mit einem Taschenmesser durchlöchern kann. De Maizière lehnt eine Nachbesserung strikt ab, da sie ungefähr ein Viertel teurer würde. Mehr als ein Drittel will er nicht ausgeben.
09:09 – Bei der routinemäßigen Kontrolle, ob sein Anzug noch sitzt, sieht der Verteidigungsminister, dass ein Hemdzipfel ihm aus dem Reißverschluss seiner Hose ragt. In einer eilig einberufenen Pressekonferenz erklärt er, dies sei der Beweis für die ungebrochene Tradition im Bendlerblock: unangenehme Tatsachen werden nach Möglichkeit von der Behördenspitze ferngehalten.
09:21 – Merkels Vorzeigeminister kleckert sich Kaffee auf die Krawatte. Er beschließt, dies nicht zur Kenntnis zu nehmen, solange es ihm nicht auf dem Dienstweg mitgeteilt wurde.
09:35 – In einer Hausmitteilung gibt der Minister bekannt, er wolle künftig über sämtliche großen Rüstungsprojekte informiert werden. Was als ein großes Rüstungsprojekt gelte und was die zuständige Stelle unter Information verstehe, bleibe damit aber in der alleinigen Verantwortung der zuständigen Stelle.
10:19 – Telefonkonferenz mit dem Amtsvorgänger. Guttenberg rät ihm zu einem Blitzbesuch in Mazār-i Scharif. De Maizière ist begeistert und sagt sofort zu.
10:33 – In der Kaffeeküche löst sich ein Geschirrschrank von der Wand. Der oberste Behördenleiter nimmt den Ort in Augenschein, schmeißt auch das verbliebene Geschirr auf den Boden und gibt zu Protokoll, trotz eines möglicherweise vermeidbaren Schadens hätte der tatsächliche Verlust unter Umständen noch wesentlich schlimmer ausfallen können.
10:49 – Das Büro von Johannes B. Kerner ruft zurück. Der Moderator hat keine Lust, den angeschlagenen Minister in der afghanischen Wüste zu interviewen. De Maizière schäumt vor Wut. Das wird personelle Konsequenzen haben.
11:12 – Der Minister inspiziert den gelieferten Helikopter nochmals in Ruhe. Einer anwesender Oberstleutnant der Luftwaffe macht ihn darauf aufmerksam, dass der Transportraum zu gering bemessen ist, um die nötige Anzahl an Soldaten auszunehmen, die Mitnahe von Waffen und Ausrüstung sei gar nicht in Betracht gezogen worden. De Maizière versetzt den Oberstleutnant nach Peschawar und diktiert einen Bericht, in dem der neue Hubschrauber als reines Fluggerät zur Friedenssicherung bezeichnet wird.
11:34 – Rechtzeitig gibt der Minister die tägliche Order heraus. Sie besteht heute aus einer Pizza Salami und einem taktischen Salat.
11:48 – Der hinzugezogene Stabsarzt begutachtet de Maizières Handrücken: es handelt sich keineswegs um chronische Dünnhäutigkeit, sondern um die Folgen des ständigen Händewaschens. Die als Morbus Pontius Pilatus bekannte Reaktion erfordere starke Gegenwehr. Der Mediziner verordnet mildernde Umschläge.
12:01 – Eine NATO-Delegation wird dem Minister vorgeführt. Die vollkommen verstörten Militärs irren bereits seit den frühen Morgenstunden im Behördenbau herum, da sie den widersprüchlichen Beschilderungen an den Durchgangstüren geflgt waren. De Maizière gibt zu, dass er sein Haus früher hätte ordnen müssen, da selbst er mitunter tagelang nicht aufzufinden sei auf dem Weg zwischen den Abteilungen. Er schließt personelle Konsequenzen nicht aus.
12:12 – Der Pizzaservice steht vor der Tür. Die Lieferung kostet einschließlich Anfahrtspauschale 20 Euro. Der Minister nimmt die Pizza entgegen, weigert sich aber, die Bestellung zu bezahlen, da sie kostenpflichtig ist. Die Entscheidung, für eine gelieferte Pizza Geld auszugeben, sei richtig, sie sei nur unter falschen Umständen, durch Nichtwissen, Ignoranz und die vollständige Verkennung der Lage zustande gekommen.
12:22 – Der Minister widerspricht dem Urteil einer deutschen Tageszeitung, er sei als Minister mit der höchsten Entscheidungsbefugnis für die Fehlleistungen der subalternen Beamten haftbar zu machen. Das Gegenteil sei der Fall.
12:32 – Die Pizza war zu groß. De Maizière verzeiht sich das schweren Herzens.
12:53 – De Maizière übt harsche Kritik am völlig überzogenen Anspruchsdenken der Bundeswehr. Wenn Soldaten sich unbedingt erschießen wollten, könnten sie es auch zu Hause in Deutschland tun, anstatt durch den Rücktransport der Leiche den Bundeshaushalt mit unnötigen Mehrkosten zu belasten.
13:18 – Der Bundesverteidigungsminister lehnt die Vorstellung beim Hautarzt strikt ab. Er teilt mit, dies sei nicht der richtige Zeitpunkt für Untersuchungen, außerdem habe er nichts falsch gemacht.
13:24 – Die Ablehnung des Bundeswehrverbandes stößt bei de Maizière auf entrüsteten Widerstand. Der Minister weiß zwar nicht, worum es gerade geht, könne aber mit Sicherheit sagen, dass er völlig falsch verstanden worden sei.
14:03 – Das Ressort Rüstungsbeschaffung setzt den Minister in Kenntnis, dass durch eine versehentlich getätigte Fehlanweisung eine Unterdeckung von mehreren Millionen Euro besteht. Der Abteilungsleiter beruhigt de Maizière; er selbst wisse auch nicht, wofür das Geld eigentlich gedacht sei.
14:04 – In einer Pressemitteilung gibt der Verteidigungsminister bekannt, bis vor wenigen Wochen nichts von einem Finanzloch gewusst zu haben. Auch wenige Tage später nach den wenigen Wochen habe er nichts gewusst, außerdem habe er nicht gewusst, dass er nichts gewusst habe. Dies sei damit gleichzusetzen, dass er alles gewusst habe, wovon der nichts hätte wissen können, wenn er nicht gewusst hätte, dass er etwas hätte wissen sollen. Personelle Konsequenzen sind nicht ausgeschlossen.
14:19 – Der Selbstverteidigungsminister verlegt sich auf die Offensive. Ohne auf einen konkreten Anlass einzugehen stellt er klar, dass er den Rücktritt aller fordert, die seinen Rücktritt fordern.
14:36 – Der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages fragt an, warum de Maizière den Soldatinnen und Soldaten die Suche nach Anerkennung zum Vorwurf mache. Für den gerade verhinderten Minister spricht die Stabsstelle, die erläutert, man wünsche sich Berufssoldaten, die einen Kampfeinsatz vor Somalia wegen des guten Teamworks und der gesunden Seeluft erhofften. Ansonsten sei jeder Staatsbürger in Uniform willkommen, der sich für den Rohölnachschub und stabile deutsche Rüstungsaktien in die Luft jagen lassen wolle.
14:44 – Die Polizeibehörde sendet ein Strafmandat, da der ministerielle Dienstwagen beim Überfahren einer roten Ampel geblitzt wurde. De Maizière lehnt die Verantwortung ab wie auch die personellen Konsequenzen. Er habe an dem Tag hinten gesessen und könne nicht mehr aussagen, ob sich außer ihm weitere Personen in dem Fahrzeug befunden hätten.
15:07 – Versehentlich unterschreibt de Maizière einen Sachstandsbericht mit Hase.
15:22 – Das Strafmandat ist ärgerlich. Der Minister steckt es in den Schredder. Problem gelöst.
15:32 – Die Erhöhung des Wehretats um 50 Millionen Euro hat anstandslos das Kabinett passiert, da die Kanzlerin wie immer ohne Ansehen der Sache zustimmt. Ohne Vorwarnung entlässt de Maizière den Büroboten, da ihm die Erhöhung der Haushaltsmittel nicht mitgeteilt worden wurde, bevor sie von ihm angeordnet worden war.
16:05 – Der Verteidigungsminister erhält eine Einladung zum NATO-Ball. Er sagt frühzeitig ab, da er an diesem Abend leichte Kopfschmerzen haben wird. Er erklärt, er würde an dem Tag entschuldigt fehlen.
16:28 – Bei der Teestunde mit den freundlichen jungen Leuten schließt der Minister ein Haustürgeschäft ab. Neben einem Zeitschriftenabonnement ersteht er mehrere nicht genauer bezeichnete Flugkörper, von denen er nicht weiß, was sie können und wann sie geliefert werden. Aus Gründen der Kulanz lässt er die Vertreter des Rüstungskonzerns den Preis selbst bestimmen, da er keine ausreichenden Kenntnisse über Wehrtechnik hat.
17:02 – Das Bundesumweltministerium fragt an, ob die Bundeswehr sich schnell und unbürokratisch mit Spitzentechnologie an der Bekämpfung des Hochwassers beteiligen könne. De Maizière verspricht, den Euro Hawk sofort auf seine Tauglichkeit als Wasserabwehrwaffe prüfen zu lassen.
17:30 – Auf einer Pressekonferenz wird de Maizière gefragt, ob er das Amt eines Bundesministers nur wegen der hohen Bezüge und des Ruhegehalts ausübe. Er verneint. Wichtig für ihn sei die Suche nach Wertschätzung.
17:47 – Im Verlauf des Pressetermins wird mehrmals gefragt, ob auf ministerieller Ebene auch Fehler gemacht worden sind. De Maizière erklärt, es seien durchaus viele Fehler gemacht worden, allerdings könne er zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht sagen, ob es auch nachweislich falsche Fehler gewesen seien, da die Entscheidungen so lange her sind.
18:09 – Thomas de Maizière gibt den Presservertretern zu verstehen, dass er auch weitere vier Jahre als Bundesverteidigungsminister amtieren wolle.
18:10 – Angela Merkel spricht de Maizière ihr vollstes Vertrauen aus.
19:07 – Der Hersteller einer atombombensicheren Schreibtischunterlage gibt bekannt, dass er das 1989 bestellte Modell endlich liefern kann. Der Preis hat sich in der Zwischenzeit von 280 Deutschen Mark auf 1,3 Milliarden Euro erhöht. Der oberste Behördenleiter sieht ein, dass durch eine derart lange Produktionszeit Mehrkosten entstehen. Er ordert noch zwei Stück.
19:33 – Die Zeitschriftenwerber überreichen dem Verteidigungsminister ein Dankesschreiben. Als frisch bestellte Sachgebietsleiter im Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr versprechen sie, Rüstungsgüter ab sofort deutlich eher einzukaufen, im Regelfall noch, bevor der Bedarf besteht.
20:00 – Beim Ansehen der Tagesschau stellt de Maizière fest, dass er noch im Amt ist. Er erwägt personelle Konsequenzen.
21:03 – Ein Anruf aus dem Koalitionsausschuss: die Liberalen streiten sich über den Minister. De Maizière ist sauer, weil die FDP bestimmen will, wer aus der CDU rausfliegt. Seiner Meinung nach sollte das genau andersherum sein.
21:32 – Nach einem kurzen Krisentelefonat mit dem Rüstungskonzern EADS, wo er einen der inzwischen zum Aufsichtsratsvorsitzenden aufgestiegenen Zeitschriftenverkäufer vorfindet, der ihm für wenige Millionen Euro und einen einzigen Sportwagen Protektion verspricht, ist de Maizière vorerst beruhigt. Er wird diese Krise durchstehen. Möglicherweise sogar einen ganzen Tag lang, aber vorher lässt sich das hinterher natürlich noch nicht sagen.
22:02 – Ruckartig verbeugt sich der Minister vor der antiquarischen Postkarte von Erich Ludendorff. Moralisch gestärkt tritt er seinen Gang ins Bad ein. Die Zahnpastatube ist aufgebraucht, genauer: seit einem Vierteljahr ist keine Zahnpasta mehr im Haus. Er ignoriert das Problem, wie er es schon seit gut drei Monaten ignoriert. Es wurde ihm nicht schriftlich mitgeteilt.
22:24 – Thomas de Maizière löscht das Licht. Nur Sekunden später sinkt er in tiefen, traumlosen Schlaf ohne Ahnung, was in der Wirklichkeit vor sich geht. Wie im Ministerium.
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