In der Hitze der Nacht

20 06 2013

Bismarck lag regungslos auf dem Ohrensessel. Es war unerträglich heiß. Herr Breschke blickte besorgt auf den Dackel. „Das Tier hat die ganze Nacht nicht geschlafen. Ich allerdings auch nicht, einer musste ja nach ihm gucken.“ Damit sollte nun Schluss sein. Nur ein Maßnahmenpaket schien noch Hilfe zu bieten gegen die Wüstenluft, die seit Tagen ins Obergeschoss strömte.

„Hier hilft Verdunstungskälte“, dozierte der pensionierte Finanzbeamte. „Ich werde vermittelst der Wäscheleine das Zimmer in eine Kühlkammer umbauen, die das Haus nachts viel stärker als sonst kühlen wird. Schließlich fällt ja die kalte Luft nach unten, richtig?“ Ich nickte beflissen; dass sich das Schlafzimmer der Breschkes gleich nebenan und damit ebenso im oberen Teil befand, hätte die Sache sicher nur unnötig verkompliziert. „Wir werden also diese Kunststoffleine so aufspannen, dass wir genug Platz haben für eine ausreichende Menge an Kühlkörpern.“ „Sie meinen diese Bettlaken?“ Er blickte anerkennend. „Gut mitgedacht, Sie scheinen ja in Physik aufgepasst zu haben.“

Die Schnur maß insgesamt zwanzig Meter, das waren je zweimal hin und zurück. „Ich will Ihnen das technische Verständnis nicht absprechen“, wandte ich ein, „aber wie wollen Sie denn das Ding befestigen?“ „An der Wand natürlich“, antwortete er. Das hätte mir auch spontan eingeleuchtet, wäre da nicht die geblümte Tapete gewesen, vollkommen frei von Haken und Nägeln. Das irritierte offenbar nicht nur mich.

Breschke knotete das Seilende umständlich an den Kommodenschrankschlüssel, dann entwirrte er die Kunststoffleine mit ein, zwei ruckartigen Bewegungen, und dann bückte er sich fluchend, weil er mit seinem höchst eleganten Schwung den Schlüssel aus der Kommodentür befördert hatte. „Das hatte ich viel einfacher vorgestellt“, grantelte der Alte. „Aber ich kann doch deshalb nicht Löcher in die Wände bohren, oder?“ Inhaltlich trieb mir die Frage den kalten Schweiß auf die Stirn, vom logischen Standpunkt allerdings war die Sache nicht von der Hand zu weisen. „Ich werde das Seil einfach an den Griff knoten“, verkündete er, „der kann nicht abfallen.“ Das tat er auch nicht; die Tür öffnete sich lediglich, da das Schloss offensichtlich nur zur Zierde angebracht oder nicht mehr korrekt schließend war. „Dann knote ich es eben an beiden Türen fest!“ Und das tat er denn auch, verbissen und denkbar gründlich. Das Seil hielt. Wenigstens auf einer Seite.

Auf der anderen Seite bot sich der Fenstergriff an, wenngleich ein kleines Manko augenfällig wurde. „Sie sollten die Tücher gut festklammern“, riet ich ihm. „Der Fensterhebel ist in Augenhöhe, der Kommodengriff ungefähr an der Hüfte. Die Laken werden bestimmt ins Rutschen geraten.“ Doch Herr Breschke winkte ab. „Sie haben den entscheidenden physikalischen Faktor nicht berücksichtigt. Die Tücher sind ja nass, also werden sie von selbst an der Leine haften. Ich werde es Ihnen mal demonstrieren.“ Selbstsicher lief er ins Bad, wässerte ein Handtuch und legte es, tropfnass, über die Leine, wo es, kräftige Spuren auf dem Teppich nach sich ziehend, einer triefenden Seilbahn gleich auf den Schrank zu rutschte und schließlich an der Tür hängen blieb. „Das verstehe ich nicht.“ Breschke kratzte sich am Kopf. „Das muss doch halten – wie soll ich den da die Bettlaken festkriegen?“ „Hier schon mal gar nicht“, befand ich. „Oder wollen Sie die Dinger einen halben Meter über dem Boden aufhängen?“ „Das muss doch…“

Weiter kam er nicht. „Horst“, scholl es empört aus dem Türrahmen. Frau Breschke war unbemerkt die Treppe heraufgekommen. „Horst, was hat das denn nun wieder zu bedeuten? Und die Flecken auf dem Teppich?“ „Das ist nur Wasser“, beeilte er sich. „Und was sollen diese Betttücher da – Du willst doch wohl keine Wäsche hier aufhängen?“ Ich kam gar nicht zu Wort, andererseits war vielleicht gerade dies meine Rettung. „Das kommt mir sofort weg“, entschied sie. „Auf der Stelle!“ Schon war sie verschwunden.

Ich überlegte eine Weile. „Haben Sie nicht von der letzten Gartenparty noch diese Tabletts im Keller?“ „Wollen Sie jetzt unbedingt Bier trinken?“ „Das gerade nicht“, klärte ich Breschke auf, „aber mir kam just die Methode in den Sinn, wie die Wüstenbewohner in Nordafrika der Hitze Herr werden: sie stellen große, flache Tongefäße im Haus auf, aus denen viel Wasser verdunsten kann. Probieren wir es einmal mit den Servierbrettern.“

Gesagt, getan. Herr Breschke ging in den Keller. Unterdessen hatte sich Bismarck, der dümmste Dackel im weiten Umkreis, nicht von der Stelle gerührt. Er macht keine Anstalten, seinem Herrn zwischen den Beinen herumzulaufen. Die Lage war nicht unernst. Draußen hörte ich es auf der Treppe schlurfen. Ich öffnete die Tür, genau in dem Moment, als die Stimme von unten wieder ertönte. „Horst!“ Der jedoch verlor vor Schreck das Gleichgewicht, hielt sich mit Mühe am Geländer fest und ließ das Tablett, bis zum Rand voll mit Wasser, polternd und platschend die Stufen herunterkollern.

Eifrig jappte Bismarck das Tragebrettchen leer. „Sehen Sie“, beruhigte ich Breschke, „das war gar keine schlechte Idee. Eins lassen Sie hier unten stehen, die anderen verteilen Sie im Schlafzimmer – möglichst so, dass Sie nicht aus Versehen reintreten. Auf den Schränken und auf dem Nachttisch.“ „Aber wird das denn auch kühlen?“ „Aber ja“, versicherte ich. „Schließlich fällt ja die kalte Luft nach unten.“