Toter Mann

31 07 2013

„… in der Nähe von Kandahar abgestürzt sei. An Bord des Helikopters habe sich auch de Maizière sowie fünf weitere…“

„… lehne Merkel politische Konsequenzen ab. Derzeit könne die nur feststellen, dass …“

„… nicht zu eruieren, ob es sich um ein echtes Unglück gehandelt habe. Die US-amerikanischen regierenden Sicherheitsbehörden seien nicht bereit, der Bundesregierung Auskünfte über…“

„… müsse man abwarten, ob sich de Maizière vor der Wahl äußern wolle, falls er vor der Wahl wieder in Deutschland…“

„… wolle Merkel daher keinesfalls den Verteidigungsminister aus dem Kabinett entfernen, sondern zuvor dessen Unschuldsbeteuerungen von ihm selbst bewerten lassen, um eine objektive…“

„… laut Aussage Beemelmans’, dass Beemelmans de Maizière informiert habe, dass der Bundesverteidigungsminister die Drohne nicht kaufen wolle. Es sei absolut sicher, so Merkel, dass de Maizière, wenn er gewusst hätte, was er dazu gesagt hätte, auch gesagt hätte, ob er davon etwas gewusst hätte, weshalb als absolut sicher gelten muss, dass er nur nichts sage, weil er alles…“

„… erste Anzeichen dafür, dass die scheiternde Energiewende durchaus von de Maizière mitverantwortet sein könne, da er nicht rechtzeitig verlautbart habe, nicht daran beteiligt zu…“

„… habe vor dem Untersuchungsausschuss ausgesagt, man habe gezielt die Behördenspitze nicht informiert, um keine Diskussionen vom Zaun zu brechen. De Maizière sei davon allerdings in Kenntnis gesetzt worden, weshalb Merkel ihn als durchgehend ausreichend informiert…“

„… dass de Maizière zuvor verkündet haben solle, er wolle selbst ernten, was er gesät habe. Es handle sich zwar um pathologische Verweigerung der Realität, sie übersteige jedoch nicht das in der CDU übliche Maß von…“

„… sich das Präsidium der Union darauf geeinigt habe, Rücktrittsgründe erst im hohen zweistelligen Milliardenbereich zu formulieren. Schäuble habe daraufhin die Sitzung umgehend…“

„… damit bestätigt, dass Beemelmans die alleinige und umfassende Schuld an der Panne gehabt habe. Da er gar nicht falsch ausgesagt haben könne, so Merkel, könne er nun keine politischen Konsequenzen…“

„… mehrmals in der Regionalpresse berichtet worden sei, dass auf dem Parteitag Fähnchen entwendet wurden. Kauder sei der Meinung, er habe seinerzeit de Maizière deutlich identifiziert, so dass von dessen Schuld heute auszugehen…“

„… da der Staatssekretär nun die komplette Verantwortung für das Euro-Hawk-Debakel trage. Ein Rücktritt komme jedoch nicht in Betracht, da der nur vom Verteidigungsminister selbst…“

„… eine einstimmige Resolution verfasst, die den Anstieg an Personalkosten im Innenressort eindeutig de Maizière zuordne, da dieser bisher nicht gesagt habe, warum er nicht daran schuld sei. Ebenfalls wolle das Bundesfamilienministerium nicht länger hinnehmen, dass die zum 1. August angekündigten Kitaplätze…“

„… das Luftfahrzeug vor dem Aufprall einen 160 Meter tiefen Abhang hinuntergestürzt sei. Mit einer Aussage von de Maizière sei möglicherweise nicht vor der Bundestagswahl zu…“

„… dürfe die alleinige und umfassende Schuld Beemelmans’ nicht angezweifelt werden. Er habe ohne Wissen des Ministers fast eine Milliarde Euro verpulvert, was er nur ohne Wissen des Ministers getan haben könne, da er gesagt habe, dass er dies ohne Wissen des Ministers, der davon nichts…“

„… dennoch nicht zutreffend, dass der Verteidigungsminister zum Sündenbock gemacht werde. Der Vordruck des Formulars ‚Unbeliebtester Bundesminister 2013‘ sei nur aus organisatorischen Gründen mit de Maizière auf Platz 1…“

„… wolle Merkel in diesem Fall nicht von einem Bauernopfer sprechen, da weder der Verteidigungsminister noch dessen Staatssekretär die politische Verantwortung…“

„… müsse die Frage erlaubt sein, warum das Abschneiden der CDU bei der Landtagswahl in Hessen 1983 noch nicht aufgearbeitet worden sei, ohne die Rolle de Maizières einer kritischen…“

„… zeige sich die Kanzlerin optimistisch, dass für weitere Anschuldigungen aus dem Umfeld des Verteidigungsministers schnell und unbürokratisch verantwortliche Personen gefunden würden, denen die…“

„… habe Merkel der Opposition angeboten, die Verantwortung für die Euro-Hawk-Affäre zu übernehmen. Wegen eines Missverständnisses – sie habe die Übernahme der Schuld durch die SPD gemeint – sei es bedauerlicherweise noch zu keinen Absprachen über eine gemeinsame Regierung…“

„… juristisch zu klären, ob die Bezeichnung ‚Verteidigungsminister der Herzen‘ auch beamtenrechtlich in den…“

„… sei de Maizière dabei beobachtet worden, wie er im Konrad-Adenauer.Haus eine Maultasche…“

„… sich die Demokratische Volksrepublik Korea angeboten habe, Nachhilfe zu geben, wie de Maizière auch weiterhin als Ewiger Minister…“

„… im Internet der Entwurf einer Rede aufgetaucht, in der Merkel am Wahlabend den Verlust der Kanzlerschaft bekenne. Sie wolle zwar nur Gutes über Tote sagen, stelle aber fest, dass der alleinige Grund für diese Katastrophe der in den Drohnenskandal verwickelte Bundesminister für…“





Dolce far? Niente

30 07 2013

Die Männer in den weißen Anzügen fühlten sich unwohl. Dabei hatten sie alle Zeit der Welt, behagliche Korbstühle, frisches Obst und durchaus angenehmes Wetter. Die Sommersonne schien in den Hof, da gut ein Dutzend von ihnen unruhig hin und her über das Pflaster lief. Der Große blätterte fahrig in einem Buch herum, legte es wieder auf den Tisch und warf sich zurück in den Sessel. „Sie sind noch ganz am Anfang“, erläuterte Hummel. „Und es dauert erheblich viel länger, als ich es erwartet hatte. Sie können einfach nicht nichts tun.“

Das Barockschlösschen bot reichlich Platz für die Therapiegruppe. Der Salon war modern und behaglich eingerichtet, die Bibliothek im Westflügel gewährte einen Blick auf den üppigen Rosengarten. Dienstbare Geister schwirrten durch die Flure, so leise, als seien sie unsichtbar. Sandfarbene Läufer und honiggelbe Gardinen fingen das Licht ein, in den Fensternischen standen kunstvoll drapierte Sträuße aus frischen Wiesenblumen. „Völlig egal“, konstatierte der Leiter, „wir könnten Sandsäcke vor die Türen legen, keiner würde es bemerken. Sie sind alle so aufgedreht, dass sie keine Augen mehr für ihre Umwelt haben.“ Unten im Hof hatte sich nichts geändert. Ein Dicker mit kahlem Schädel strich die Wände entlang wie ein Raubtier im Käfig. „Warum geht er nicht einfach hinein, wenn er die Sonne nicht erträgt?“ Hummel zucke mit den Schultern. „Es ist keine Vorschrift, sich draußen aufzuhalten. Wir empfehlen es ihnen nur, weil heute so ein wundervolles Wetter ist. Aber keiner von ihnen muss dort bleiben.“ Er drehte ein bisschen am Fenstergriff; das Ding quietschte gemütlich vor sich hin. „Sie könnten jederzeit in den Rosengarten, wie Sie wissen. Oder sich aus der Schlossküche frisches Obst holen.“ Doch nichts dergleichen geschah.

Einer der Männer saß zusammengekauert in der Ecke. Ein anderer stand neben ihm und betrachtete ihn teilnahmslos. „Dies hier“, befand ich, „wäre doch der ideale Moment, ein zwischenmenschliches Gespräch zu beginnen.“ Hummel nickte. „Aber ja. Leider ist das bislang noch nicht vorgekommen. Sie sehen ja selbst, sie sind vollkommen selbstbezogen. Die anderen nehmen sie noch viel weniger wahr als Sandsäcke oder Blumenbuketts.“ Das Ensemble erweckte langsam den Eindruck einer Heilanstalt. „Das sagt man mir immer wieder“, antwortete mein Gastgeber mit einem milden Lächeln. „Wenn ich ihr Verhalten richtig deute, dann dürften sie sich auch so fühlen wie in der Klapsmühle. Aber Sie wissen ja, dies ist keine Korrekturanstalt.“ Ich sah versonnen auf die Gestalten in den weißen Sommeranzügen; sie waren hier, um sich mit nichts zu beschäftigen. Müßiggang, so lautete der Wahlspruch des Instituts, ist der Anfang aller Weisheit. Leider merkte man von dieser Weisheit noch herzlich wenig.

Hummel rührte umständlich ein Stück Zucker in seinen Tee. „Sie haben hier ein gesellschaftliches Problem ersten Ranges“, konstatierte er. „Wenn Sie heute von den Arbeitslosen sprechen, heult der Durchschnittsbürger sofort getroffen auf: Zu viel Freizeit! Die kriegen unser Geld fürs Nichtstun! Es ist eine der hässlichsten Eigenschaften, die man ihnen antrainiert hat: Neid. Der pure Neid auf eine Begleiterscheinung.“ Er schlürfte einen kleinen Schluck, denn der Tee war noch sehr heiß. „Und überflüssig dazu. Genauso kann man es den alten Römern neiden, dass sie fließend Latein sprachen.“

Die beiden Männer in der Ecke guckten einander flüchtig an, während der Kahlkopf inzwischen dazu übergegangen war, die Ziegel der Innenmauer zu zählen. Er suchte sich eine Beschäftigung. Doch so einfach war es nicht. „Er will unbedingt produktiv erscheinen“, stellte Hummel fest. „Es ist vollkommen sinnlos, aber er will sich nun mal nicht damit abfinden, dass er rein gar nichts zu tun braucht. Er ist hier aller Pflichten ledig, darf in den Tag leben – wir haben nicht einmal feste Frühstückszeiten, aber die Herren sitzen jeden Morgen um halb sieben in Reih und Glied, und wehe, sie müssen eine Minute warten – und alles tun, was ihm beliebt.“ „Es ist wohl“, fiel ich ein, „dass er es auch lassen darf, und gerade damit kommt er nicht zurecht.“ Hummel nickte. „Sie lassen nicht los. Es lässt sie nicht los.“ Ich schluckte. „Sie sollten froh sein, dass sie nicht reich sind. Sie könnten es nie genießen. Es würde sie viel zu sehr anstrengen.“

Ein anderer beschäftigte sich intensiv mit den Kieseln in dem Töpfchen mit dem Tulpenbaum; das Bestreben nach Beschäftigung schreckte in diesem Fall nicht vor blinder Zerstörung zurück. „Ein sehr unangenehmer Zeitgenosse“, verriet Hummel. „Er hat mich vor ein paar Tagen angeschnauzt, ich solle mein Haus seinetwegen ändern. Er fordert das Recht auf Arbeit.“ Ich hob erstaunt den Blick. „Und Sie haben ihm nicht nachgegeben? Ja, ich verstehe – sie sind ja alle freiwillig hier. Wobei ich das auch wieder nicht verstehe. Warum gehen sie nicht? Nur, weil sie dafür bezahlt haben?“ „Sie halten es für ihre Pflicht“, antwortete er lakonisch. „Aber sie sind im Grund genommen schon so weit, dass wir sie mit den Ergebnissen der Eingangsuntersuchung konfrontieren können.“ „Sie haben bei ihnen eine Untersuchung durchgeführt?“ Er schmunzelte. „Sie haben die Auffassung vertreten, der Mensch sei nun mal von Natur aus faul und müsse mit Gewalt zur Arbeit angetrieben werden, weil er sonst sittlich verrohe.“





Nicht zuständig

29 07 2013

„Die Frau Bundeskanzlerin ist nicht zu sprechen, tut mir leid. Sie ist auch gar nicht hier, und wenn sie hier wäre, wäre Sie in einem wichtigen Telefonat auf der roten Leitung, und dann – das ist die rote Leitung? Ich kann mal nachschauen, aber die Frau Bundeskanzlerin wird wegen Ihnen sicher nicht ihr Frühstück unterbrechen. Rufen Sie später noch mal an, Pofalla. Ihre Außerirdischen werden sich halt ein bisschen gedulden müssen.

Hören Sie mal, für Außerirdische ist die Frau Bundeskanzlerin sowieso nicht zuständig. Die sind von draußen gekommen, also wird das Westerwelle erledigen müssen. Ach so, den haben die schon erledigt? Dann hat das ja sogar noch seine guten Seiten. Ansonsten macht das halt der Innenminister, wie heißt der doch gleich, ist auch egal, der ist eh für nichts zu gebrauchen. Aber grundsätzlich ist in diesem Fall die Frau Bundeskanzlerin nicht zuständig. Und wenn sie zuständig wäre, dann –

Wie jetzt, den Reichstag zerstört? Den ganzen Reichstag? in Schutt und Asche? Ich sage doch, man sollte das ruhig auch mal positiv sehen. Dann müssen wir den nicht mehr… Das mag ja sein, Pofalla, aber was bitte ist die Versicherungssumme gegen den Aufwand, ständig das ganze Parlament auszuhebeln und kaltzustellen und anzulügen und zu hoffen, dass – lassen Sie mich ausreden, Pofalla, das steht Ihnen als Kanzleramtsminister nicht zu, die Frau Bundeskanzlerin zu unterbrechen, und solange die Frau Bundeskanzlerin nicht für Sie da ist, bin ich für Sie die Frau Bundeskanzlerin, und die ist hier sowieso nicht zuständig, also lassen Sie jetzt gefälligst diesen Quatsch. Dann fahren die Touristen eben nicht mehr nach Berlin, um den Reichstag zu besichtigen. Meine Güte, Pofalla! Organisieren Sie irgendeine Gedenkstätte für diese dusselige Ruine, das dürfte Ihren Fähigkeiten wohl am ehesten entsprechen.

Erstens ist das noch gar nicht raus, dass das der Wirtschaft schaden könnte, und zweitens ist dafür dann Rösler verantwortlich. Eine komplette Fabrik? Einfach so mit Laserstrahlen weggezoscht? Das klingt interessant, Pofalla. Fragen Sie gleich mal nach, ob wir uns das patentieren lassen können. Oder nein, warten Sie. Das ist bestimmt eine EU-Angelegenheit. Finden Sie heraus, wer da zuständig sein könnte. Was hat denn Rösler damit zu tun? Pofalla, jetzt denken Sie doch mal. Denken, wissen Sie, wie das geht? Wenn man etwas über Wirtschaft wissen will, wen fragt man da nicht? Na? Richtig, Pofalla. Sehr gut. Und jetzt machen Sie sich wegen einer Chemiefabrik nicht in die Hosen, es gibt ja noch mehr davon in Deutschland. Bei einer Investmentbank, da könnte man schon mal panisch werden, aber 50.000 Arbeitsplätze? Positiv denken!

Chefsache? Ist Ihnen zu heiß, Pofalla? Sonnenstich? Es gibt keine Chefsache. Die Frau Bundeskanzlerin ist hier nicht zuständig. Die einzige Chefsache ist momentan die Sommerpause.

Politische Konsequenzen? Pofalla, jetzt machen Sie doch mal halblang. Der Oppermann von der SPD macht halt Wahlkampf und die Nahles spuckt bei jedem Atemzug eine Rücktrittsforderung aus. Alles ganz normal, das sind Reflexe. Sagen Sie den Leuten, dass Sie erst einmal die Aufräumarbeiten abwarten sollten, bevor wir über Konsequenzen nachdenken können. Gemeinsam mit den Außerirdischen, vergessen Sie das nicht. Immer alles gemeinsam. Wie bei der Bankenkrise. Da haben sich die Banken ja auch beteiligt. An den Überlegungen.

Außerdem sagt die Frau Bundeskanzlerin noch einmal ganz klar – schreiben Sie sich das auf, Pofalla – dass hier deutsches Recht gilt und dass unsere außerirdischen Freunde und Verbündeten sich daran halten müssen. Wenn das nicht der Fall sein sollte, dann werde sich die Bundesregierung in einem gezielten Dialog – Sie sollen sich das aufschreiben, Pofalla! Solche Formulierungen kriegen Sie alleine gar nicht hin, und außerdem sind die Menschen da draußen an diesen Mist gewöhnt, also torpedieren Sie uns nicht die Wiederwahl!

Gut, dann machen Sie mal einen Termin mit dem Anführer. Irgendeiner von denen wird doch zuständig sein. Ist doch überall so. Doch, das können Sie glauben. In einem ordentlichen Staat, oder was es bei den Außerirdischen halt so gibt, da ist auch immer einer zuständig. Also so eine Art Geschäftsführer. Fragen Sie mal nach dem. Der soll einen Termin vorschlagen, oder besser gleich drei, damit wir das nach der Sommerpause irgendwie in den Terminkalender reinkriegen, und dann machen wir da ein erstes Gipfeltreffen für die Presse, und dann können Sie schon mal herumerzählen, dass nach den Wahlen die Frau Bundeskanzlerin mit den Aliens eine gemeinsame Lösung finden wird. Wenn das nicht klappt, schicken Sie halt Friedrich hin. Wenn die den auch noch umnieten, ist es auch nur Sachschaden.

Den Kölner Dom, den können die meinetwegen haben. Jetzt sind wir da auch nicht mehr zuständig. Aber den Stuttgarter Bahnhof, hören Sie, der wird verteidigt! Wir lassen uns hier keine Investitionen kaputt machen, Pofalla, das muss ganz klar zum Ausdruck kommen. Und seien Sie sicher, die Frau Bundeskanzlerin steht vollkommen hinter Ihnen. Absolut. Ganz klare Sache. Warum? Ja glauben Sie denn, dass es ihr etwas nützen würde, jemanden wie Sie zu feuern, Pofalla? Das merkt doch keine Sau. Also halten Sie den Kopf hin, es sind ja nur noch ein paar Wochen. Danke, richte ich aus. Und viel Erfolg, Pofalla. Sie wissen, wenn’s schief geht, wer nicht zuständig war.“





Der Ministrant

28 07 2013

Friedrich, dieser Renommist
hält sich für’n Minister.
Was damit verbunden ist,
das allein vergisst er.
    „Wenn’s nicht die Verfassung schützt,
    wenn’s beim Schnorcheln mir nichts nützt,
    schützt Euch selbst! Hab andre Pläne –
    macht doch Euern Dreck alleene!“

Schließlich sei das Grundgesetz
bloß des Volkes Sache.
Weiter hört man sein Geschwätz,
nichts jedoch zur Sache.
    „Feuerwehr und Polizei?
    Wählerpack? Mir einerlei!
    Wo ich hoble, fallen Späne!
    Macht doch Euern Dreck alleene!“

Einmal kommt der Tag, und dann
wird dies Land sich fragen,
wie der ganze Mist begann.
Dann platzt uns der Kragen.
    „Fahr zur Hölle, falscher Knecht!
    Wenn Du weg bist, kommt das Recht!
    Keiner weint Dir eine Träne –
    machen wir den Dreck alleene!“





In fünf Zeilen um die Welt. Limericks (CLII)

27 07 2013

Supratra, die legt in Ko Kut
zwölf Würstchen im Kreis auf die Glut.
Sie zählt, was uns wundert,
auf Englisch bis hundert –
sie kann’s nicht. Die Wurst ist dann gut.

Guglielmo, der in Benevent
im Halbschlaf stets durch den Ort rennt,
der stolperte heute.
Das ahnten die Leute,
da er diesen Bauzaun nicht kennt.

Herrn Prutirat, der sich in Trat
ein Segelboot baut, fehlt’s an Rat.
Er muss, um zu steuern,
’nen Käpt’n anheuern,
er selbst nämlich ist ja nur Maat.

Es erbte Vítor in Avô
ein Häuschen mit Stall und viel Stroh.
Er fing viele Fliegen,
fing Amseln und Ziegen
und macht daraus schnell einen Zoo.

Es aß Salakjit oft in Nan
vom Süßen, und gern Marzipan.
Sie schmeckt davon täglich,
dies ist nämlich möglich:
die Hälfte verstaut sie im Zahn.

Oswaldo, der harrt in Durán
des Zuges. Der kommt heut. Nur wann?
Durch Hitze, durch Kummer
fiel er sanft in Schlummer –
der Zug allerdings, der fuhr an.

Es bläst Nuttaphon laut in Trang
ein Pfeifchen mit schneidendem Klang.
Des schrillen Schalls Pegel
verwirrt alle Vögel.
Entsprechend groß ist dann sein Fang.





Gernulf Olzheimer kommentiert (CCV): Angeber

26 07 2013
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Die kleine Landzunge am alten Weiher war groß genug für zwei. Während Uga im Westen angelte, hielt Rrt im Südosten die Rute in die trübe Brühe, um einen der Cyprinidae an Land zu ziehen. Da mochte es wohl schon einmal angehen, dass Rrt einen gewaltigen, widerborstigen Fisch am Haken hatte, groß wie ein Kalb, das aus grün funkelnden Augen sengende Strahlen schickt, zappelnd und mächtig, ein Ungeheuer an Kraft – und immer eine Woche zuvor, bedauerlicherweise war das Biest im Moment der Beschreibung nicht verfügbar, futsch, abgetaucht. Die Geschichte aber, und Uga wusste das wohl, musste wahr sein, so wahr wie seine eigenen Jagdabenteuer mit den Säbelzahntigern und den doppelköpfigen Antilopen bei den brüllenden Felsen. In der Wiege der Zivilisation gedieh ein Wechselbalg der psychischen Zerrüttung, das Geschäft des Angebers.

Dem gemeinen Protz bieten sich zwei Formen, sein Heißluftschloss in die Gegend zu klotzen, die ideelle und die kohlenstoffbasierte. Da Dummheit und Material sich exzellent vertragen, dünstet das Personal vornehmlich stilistische Suizidversuche aus, das Schibboleth der untersten Zehntausend. Wer nachgemachte Sonnenbrillen vietnamesischer Provenienz ins Haupthaar steckt, seine Lederhaut in edhardyeske Fleischbekleidung pfropft oder auf flamboyant schlecht gefälschtem Schuhwerk durch den öffentlichen Raum hüpft, zeigt Überforderung an allen Fronten. Der Dicktuer deckt sein dünnes Hemd gerne über die pickelige Oberfläche seiner privaten Tristesse, da er meint, durch kostspieligen Chic von der Stange Individualität zu erzeugen. Dabei schwiemelt er sich ein unredliches Selbstbild zurecht, schlimmer noch: er merkt nicht, dass es das Selbstbild ist. Unangenehm daran ist freilich nicht minder, dass er in seiner Realitätsverweigerung der eigene Sülze mehr glaubt als Reaktionen darauf.

Recht weit verbreitet ist die gesellschaftlich akzeptierte Form des Aufschneidens, das Verwenden von Statussymbolen. An diesem Brauchtum manifestiert sich der Charakter einer intellektuell defizitären Schicht, dem sich selbst zu Leistungsträgern hochstilisierenden Prekariat aus arbeitsscheuen, ästhetisch ungebildeten und meist nur mangelhaft lebenstauglichen Beknackten. Sie fristen ihr an sich nutzloses Dasein als Aktionäre, Hasardeure oder Erben stetig abwehrbereit gegen die bucklige Nachbarschaft, die ihnen das bisschen Wildlachs auf dem Frühstückscanapé ebenso neidet wie den Maybach auf dem Kiesweg. Permanent muss das mit Armbanduhren und Großgewächsen um sich schmeißen, während die Suppe hinter dem Sehnerv nur das Kurzzeitgedächtnis eines Seesterns verwalten kann. An sich ginge ihm die Karre am Steiß vorbei, doch die geistig nicht gesegneten Günstlinge seiner Flughöhe kontern mit handlackierten Breitwandpanzern, die arabischen Ölmagnaten Herzklopfen und russischen Zuhältern eine Hirnembolie bescheren. Das ist der Preis, den man zahlen muss für das Privileg, legal Inzucht zu betreiben.

Die zweite Form sind die Kneipenkaiser, die schon Amerika entdeckt, das Schnittbrot erfunden und das Tote Meer umgebracht haben. Solange der Schaum nicht zurückschlägt, prahlt das mit allerlei Hirnkirmes, und noch die dünn angerührte Mär der Sabbelkrampe findet Gehör, denn immer ist einer dümmer und glaubt ihm. Tatsächlich ist ihm die Gabe zu eigen, die Wirklichkeit auf seine Art zu interpretieren. Er wird nicht wegen chronischer Blödheit entlassen, er kündigt natürlich selbst – wie er sich auch aus den Fesseln der Ehe befreit, die Fahrerlaubnis zurückgegeben und die Nase aus freien Stücken eingehauen hat. Der Windbeutel ist nie um eine Ausrede verlegen, schließlich bedarf seine Großgemaule der permanenten Kontrolle: einmal widersprüchliche Einlassungen vor Zeugen – doch keine Million im Lotto gewonnen, kein Kapitänspatent, und der Delinquent befindet sich definitiv nicht unter den Top 100 der britischen Thronfolge – und schon kann er auf Torfatmung umstellen. Ein anstrengendes Leben. Wer kein Renommee hat, muss halt renommieren.

Leider kippt diese Gesellschaft genau in die Richtung, die aus narzisstischer Störung und virtuos vorgetragener Räuberpistole ein Wertesystem strickt, um die soziale Zusammenrottung auf der Schattenseite der Moral nicht beschäftigungslos zu lassen. Mit Hilfe geistiger Raumkrümmung erreicht inzwischen jeder Prahlhans und -franz Doktorgrade und Ministerämter, wo früher auf dem moralischen Standstreifen die Fahrt ins Glück geendet hätte. Der Sekundenschlaf der Vernunft hilft gnädig, das bisschen Existenz in eine Biografie umbasteln, und spätestens hier lässt sich die breite Masse der Behämmerten doch wieder foppen, als sähe sie Talmi in den Halsfalten des Ausbrecherkönigs. Es ist letztlich alles gleich, und gleich bleibt auch der Grund, sich derart zu überheben. Es ist doch immer nur die Angst, lediglich ein Würstchen zu sein. Ist sie derart wohlbegründet, was könnte man besser tun, als gleich demgemäß zu leben.





Krippewelle

25 07 2013

„… es ab dem 1. August einen Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz gebe. Dieser werde von der Bundesregierung durchaus ernst genommen, da die zu erwartende Klagewelle…“

„…das Verwaltungsgericht Köln geurteilt habe, dass die Eltern Anspruch auf einen Kita-Platz hätten, der sich im Umkreis von höchstens fünf Kilometern…“

„… die Anzahl der Kindertagesstätten ausreichend sei. Ein Defizit sei lediglich bei der Bestückung mit qualifiziertem Personal zu…“

„… keine Anzeichen für eine Fehlallokation gebe. Die Lage sei ähnlich gut wie auf dem Arbeitsmarkt und…“

„… gelte als statistisch abgedeckt, wenn sich eine Kindertagesstätte pro Verwaltungsbezirk finde. In wenigen Einzelfällen könne auch eine Kita pro Bundesland als…“

„… errechnet, dass auch die Schleckerfrauen nicht ausreichen würden. Rösler habe angekündigt, dies aus dem Bericht der Bundesregierung streichen zu lassen, die Fassung von 2014 werde dann lediglich die strukturellen Verbesserungen in der Kinderbetreuung…“

„… den Einsatz von Migranten mit Ausbildung in der Kinderbetreuung ablehne, da es sich laut CSU-Chef Seehofer um Wirtschaftsflüchtlinge handle, die nur nach Deutschland gekommen seien, um als Arbeitslose in der sozialen Hängematte…“

„… zu erheblichen Problemen komme, da die meisten der im Industriegebiet beschäftigten Arbeiterinnen ihre Kinder erst zwei Stunden nach Schichtbeginn abgeben könnten. Das Ministerium habe angeregt, die anderthalb bis vier Jahre alten Schützlinge auf dem Parkplatz hinter den Glascontainern abzusetzen, da hier optimaler Schutz gegen Wind und…“

„… die Senioren-Union gedroht habe, Kitas im Wohnumfeld auf dem Klageweg zu…“

„… lehne auch die SPD den Einsatz ausländischer Kräfte entschieden ab. Zwar begrüße die Partei die Einsatzbereitschaft der akademisch ausgebildeten Kräfte, es diene jedoch nicht der Integration, wenn durch ihre Arbeit in deutschen Kindertagesstätten neue Kopftuchmädchen…“

„… dass in städtischen Regionen ca. 40% der gesetzlich vorgeschriebenen Kita-Plätze vorgehalten würden. Dies, so Schröder, sei fast die Hälfte, also quasi schon so gut wie vollständig, womit der restliche Ausbau ein Kinderspiel…“

„… habe die hessische CDU vorgeschlagen, noch mehr Steuerfahnder von ihren Aufgaben abzuziehen, um sie in einem zweiwöchigen Kurs zu Erziehern…“

„… fehlten allein in Düsseldorf noch 300 Fachkräfte. Rösler habe sich optimistisch gezeigt, es seien in den kommenden Wochen genug Firmenpleiten zu erwarten, so dass einer Anschlussverwendung in den Wohlfahrtsverbänden nichts mehr im Weg…“

„… wolle einen kostenpflichtigen Fahrdienst einzurichten, der die niedersächsischen Kinder nach Mainfranken oder ins Erzgebirge…“

„… gar nicht erst bis zu einer Umschulung zu warten. Die Heimwerkermarktkette Praktiker sei personell bereits jetzt in der Lage, ausreichend Fachkräfte sowie Räumlichkeiten für die Betreuung von bis zu…“

„… sich bemühe, ein ausgewogenes Verhältnis von Fachkräften und Kindern zu gewährleisten. Schröder hingegen habe angemerkt, in der CDU gebe es auch nur eine Kanzlerin, und dies habe sich noch nie nachteilig auf die pädagogischen…“

„… nicht zum gewünschten Vertragsabschluss komme. Praktiker weigere sich, Eltern mit FDP-Mitgliedschaft einen Nachlass von…“

„… könnten gerade in strukturschwachen Regionen wie Thüringen oder Bremen arbeitslose Frauen zu Tagesmüttern umgeschult werden. So sei es nach Berechnungen des Schröderministeriums bereits 2015 möglich, den Fahrdienst bundesweit auch für die Inanspruchnahme thüringischer Tagesmütter…“

„… generell die Wahlfreiheit lasse zwischen der Kostenerstattung für den Fahrdienst oder dem Betreuungsgeld. Bei Transferleistungsempfängern werde die Zuwendung gegengerechnet, um nicht versehentlich eine Gleichbehandlung mit den…“

„… eine einheitliche Erziehung in der ganzen Bundesrepublik anzubieten. Die zentralen Sammelstellen für Kinder bis zu sechs Jahren würden durch den ÖPNV jeweils einmal in der Woche bedient, so dass die Familien sich wieder voll auf ihre Niedriglohnjobs…“

„… Förderungen für innovative Konzepte aus EU-Mitteln durchaus möglich seien. Neben Wirtschaftschinesisch und einer Ausbildung zum Scharfschützen biete das KidCenter Ost auch…“

„… irritiert, dass die Erziehungsgruppen eine einheitliche Uniform mit dem Aufdruck Schröder-Jugend…“

„… müsse man mit einer pauschalen Freigabe zur Einschulung immer vorsichtiger sein. Von der Leyen spreche sich strikt dagegen aus, Bildung als kostbaren Rohstoff in jede Gesellschaftsschicht einsickern zu lassen. Außerdem sei so ein nahtloser Übergang zwischen Kid- und JobCenter…“

„… eine gemeinsame Lösung finden wolle. Merkel habe es als innovativen Schritt bezeichnet sowie als familienpolitisch wertvoll im Sinne der CDU-Agenda, wenn die Kinder zweimal im Jahr für eine ganze Nacht bei ihren Eltern…“

„… habe Schröder von der Leyens Kritik als nicht zielführend bezeichnet. Durch die Umsetzung des Krippengipfels seien größtenteils überflüssige Kita-Plätze entstanden, so dass für weitergehende Bildung überhaupt keine finanziellen Mittel…“

„… lehne von der Leyen Schröders Replik vollumfänglich ab. Diese habe durch das Ausweichen auf das Betreuungsgeld dafür gesorgt, dass Kita-Plätze gar nicht erst beansprucht…“

„… Merkel nach der Bundestagswahl nicht mehr zur Verfügung stehe. Die Kanzlerin habe das Vorgehen der Ministerin als Kindergarten…“





Systemrelevant

24 07 2013

„Ja, mit Ihren Noten würde ich auch studieren. Aber nur mit einer guten Perspektive – ganz recht, man sollte immer den Arbeitsmarkt im Auge haben. Entscheiden Sie sich nicht für irgendeinen Beruf. Entscheiden Sie sich für eine Lebensaufgabe. Werden Sie Terrorist.

Ich würde es jetzt nicht unbedingt als staatlich geförderte Ausbildung bezeichnen, dafür ist das Berufsbild noch viel zu durchlässig. Die Branche ist offen für Quereinsteiger. Wenn Sie beispielsweise vorher Militärerfahrung gesammelt haben oder bei einer Sicherheitsbehörde waren, stehen Ihre Chancen genauso gut wie mit dem klassischen Maschinenbaustudium oder als Elektrotechniker. IT-Kenntnisse werden in letzter Zeit auch zunehmend geschätzt, man macht sich fit für eine integrierte Kriegführung. Am Internet kommt man heute nicht mehr vorbei, ganz recht. Hier in Deutschland haben Sie außerdem den Vorteil der dualen Ausbildung, Sie können eine Universität besuchen und sich zugleich in ideologischen Kursen radikalisieren. Gerne auch im Internet. Wir haben grundgesetzlich verankerte Religionsfreiheit. Wenn Sie die Demokratie als katholischer Fundamentalist hassen, das steht Ihnen frei.

Das Berufsbild ist vielschichtig, ganz recht. Sie können sich frühzeitig spezialisieren, Sie können nach der Ausbildung auch erstmal in die zivile Wirtschaft gehen oder in die Verwaltung – wie gesagt, das Berufsbild ist vielschichtig – oder sich selbstständig machen. In wenigen anderen Berufen ist man so flexibel. Selbstverständlich lassen sich Beruf und Familie sehr gut in Einklang bringen. Die meisten Arbeitgeber ermöglichen Ihnen schon frühzeitig eine Elternzeit, die Sie als Schläfer im Home Office verbringen können.

Auch unter bildungspolitischem Aspekt kann ich Ihnen das nur empfehlen. Stellen Sie sich mal vor, Sie studieren Verfahrenstechnik, und dann landen Sie nach zwei bis drei Jahren Praktikum in einem mittelständischen Unternehmen, wo Sie bis zum Burnout für einen Lohn arbeiten, für den vor zwanzig Jahren kein Klempner den Arsch bewegt hätte. Da bleibt nicht viel Zeit für Weiterbildung. Das ist nichts. Nicht, wenn man wirklich einen erfüllenden Beruf haben will. Werden Sie Terrorist, da haben Sie was Eigenes, etwas fürs Leben.

Gerade Auslandserfahrung wird sehr geschätzt. Ein paar Gastsemester im Nahen Osten, dann haben Sie gleich eine ganz andere Sicht auf die Dinge. Oder Sie erwerben ein paar Zusatzqualifikationen in der Berufspraxis bei international tätigen Anbietern. Alles auf höchstem technischem Niveau, alles sehr gut organisiert. Sie werden sofort in einem Netzwerk aus Fachkräften sein, wo man Ihre Spezialkenntnisse sehr zu schätzen weiß. Mehr jedenfalls als hier in der Industrie.

Natürlich ist das volkswirtschaftlich auch eine Branche, die schon lange im Fokus steht. Vom Auto hängt ja heute auch eine Menge ab, ganz recht. Aber haben Sie eine Ahnung, was vom Terrorismus alles abhängt? Sicherheitsdienste, Geheimdienste, Rüstungskonzerne, Trojanerprogrammierer, die ganze Telekommunikationsbranche, Briefträger, der Innenminister, meine Güte – eigentlich alles! Wenn da einer einen Nacktscanner hinstellt, der hat doch auch Spulen und Transistoren drin und Zahnräder, und wissen Sie, wer die herstellt? Sie sind eine Schlüsselindustrie, ganz recht, das hat Zukunft! Sie sind systemrelevant, und Sie leben nicht einmal mit dem Makel, Investmentbanker zu sein!

Arbeitsschutz steht an erster Stelle. Das dürfen Sie glauben, ganz recht. Zeitweise werden wir so tun, als würden wir Sie suchen und jagen, aber das werden Sie schnell merken, dass das nur eine Art Ritual ist wie die Terrorwarnungen vor den Wahlen. Kein Grund, sich Sorgen zu machen. Aufgespürt? aber von wem denn? Von der Polizei? Vom Verfassungsschutz? Sie haben ja einen goldigen Humor. Ach was. Sie werden nicht aufgespürt. Schauen Sie mal, diese Schnüffelprogramme sind doch nur für Falschparker und Regierungskritiker. Wir brauchen ein bisschen Propaganda, PR meine ich, damit man uns den Rechtsstaat abnimmt, aber nach Verbrechern googeln? Das würde unseren gesamten Beamtenapparat intellektuell vollkommen überfordern. Außerdem machen wir das schon so lange – 11. September, Madrid, London, Boston, Bali, Oslo, der NSU, merken Sie was? Na also.

Werden Sie Terrorist. Das ist ein Beruf, auf dem die gesamte Sicherheitsarchitektur der westlichen Staaten ruht. Werden Sie Terrorist, denn dies Land braucht Sie. Tun Sie es für Deutschland. Oder wenigstens für diese Regierung. Oder den Bundesnachrichtendienst. Oder die Qualitätsmedien und das Staatsfernsehen. Die wissen doch sonst gar nicht, wem sie Angst einjagen sollten. Tun Sie es für die Hersteller von Videokameraattrappen. Je größer die Gefahr ist, die theoretisch von Ihnen ausgehen könnte, desto höher wird der Aufwand, den wir zu Verteidigung vor der Gefahr treiben können, und je höher der Aufwand, desto größer die dadurch erzeugte Sicherheit. Sie machen Deutschland sicher. Wirklich sicher. Todsicher.

Werden Sie Terrorist, dann sind Sie auf unserer Seite. Machen Sie mit. Entscheiden Sie sich für die gute Sache. Ihre Rüstung dient dem Frieden. Wenn Sie bitte hier unterschreiben wollen?“





Sanktionsquote

23 07 2013

„Ich kann Ihnen da leider nicht helfen.“ Er legte den Bescheid zu den anderen Unterlagen zurück auf den Stapel. „Wir haben auch unsere Vorschriften, und Sie als Steuerzahler wollen doch, dass die Verwaltung so gut wie möglich funktioniert, oder?“ Ich räusperte mich. „Das hat mit der Sache überhaupt nichts zu tun. Mein Nachbar mit voller Absicht in meiner Hecke herumgeschnitten, und deshalb wollen Sie ein Bußgeld verhängen. So weit in Ordnung. Nur warum gegen mich?“ Der Beamte hörte überhaupt nicht zu. „Zahlen Sie“, gab er ungerührt zurück, „Sie machen es sonst nur noch schlimmer.“

Der Besuch beim Anwalt hatte ergeben, dass der Besuch so gut wie nichts ergab. Der Rechtsbeistand machte mir klar, dass es in diesem Fall nicht viel zu beanstanden gab. „Das Recht ist eine komplizierte Angelegenheit“, teilte die Informationsbroschüre für Angeklagte mir mit, „deshalb sollte man gar nicht erst versuchen, sich ihm in den Weg zu stellen. Das höchste Rechtsgut in einem Rechtsstaat ist eine angemessene Strafe.“ „Sie werden“, gab mir der Amtmann zu verstehen, „wegen eines Eigentumsdelikts zu einer Geldbuße verurteilt. Sie nehmen die Strafe an, weil das ja schließlich das Verfahren viel einfacher…“ „Halt“, fiel ich ihm ins Wort. „Das ist doch eine Farce! Weder handelt es sich hier um ein korrektes Verfahren noch können Sie mich wegen eines Verbrechens, und um ein solches handelt es sich hier, zu einer Buße verurteilen. Ich will auf der Stelle Ihren Vorgesetzten sprechen.“ Er seufzte. „Ich auch, aber der hat so gut wie nie Zeit. Wir können es doch auch nicht ändern. Das hier ist ein Bußgeldverfahren, selbstverständlich, aber wir haben nur noch räuberische Erpressung, Einbruchdiebstahl und – halt, warten Sie mal, ich habe aus dem letzten Quartal noch einen Mundraub, den könnte ich Ihnen anbieten.“ Mir schwoll die Stirnader. Schnell versuchte er mich zu beruhigen. „Ich kann Ihnen alles erklären! Es hängt mit unseren Sanktionsquoten zusammen.“

Das Schaubild zeigte eine genaue Aufstellung der verfügbaren Straftaten, Mord, Totschlag, mittelbare Falschbeurkundung. „Es sieht aus wie eine Kriminalstatistik“, befand ich. Er nickte. „Das ist auch fast korrekt, nur möchten sich die Innenminister, die Polizeigewerkschaft und das Bundeskriminalamt nicht mehr mit dieser dreckigen Propagandalüge namens Wirklichkeit abgeben – sie passen sie daher an das gewünschte Ergebnis an.“ „Statt umgekehrt?“ Wieder nickte er. „Statt umgekehrt. Wir haben nun eine vorab der äääh… der Wirklichkeit entsprechende Aufstellung an Strafen, die Sie wegen der proportional hier aufgelisteten Tatbestände bekommen.“ „Ich werde also nicht wegen Fischwilderei verurteilt?“ Er blickte angestrengt auf die Tabelle. „Wie Sie sehen, sind bereits alle Fälle für dieses Jahr verurteilt worden.“ Ich schlug mir mit der flachen Hand auf die Stirn. „Was für ein Unfug! Und das nennen Sie angemessene Strafe?“ „Seien Sie nicht ungerecht!“ Er runzelte deutlich sichtbar die Stirn. „Wir sind ja schon um eine stetige Verbesserung des Zustandes bemüht, und es zeigen sich erste Früchte. § 307, das Herbeiführen einer Explosion durch Kernenergie, ist nur noch in ganzen zehn Fällen vorgeschrieben, davon nur noch in acht Fällen mit zehn Jahren Freiheitsentzug.“ „Wer würde denn ernsthaft eine Atombombe zünden?“ Er zuckte mit den Schultern.

„Eins würde mich allerdings noch interessieren. Warum nennen Sie das Sanktionsquote?“ „Sie kennen es möglicherweise aus einem anderen Zusammenhang“, wich er mir aus, „aber damit hat es überhaupt nichts zu tun. Es geht hier ja nicht um Ersparnisse von Steuergeldern oder die Förderung von Leiharbeit und sinnlosem Bewerbungstraining, wir sind nur angehalten, eine gewisse Auslastung des Justizvollzugs zu gewährleisten.“ „Sie bauen da Modellautos?“ Er wand sich. „Wissen Sie, der Trend geht ja auch zur Privatisierung, also im Justizvollzug kann man ja auch leistungsorientiert – von mir haben Sie das nicht!“

Er knetete seine Hände. „Es ist ja auch nicht ohne Schwierigkeiten, vor allem in der praktischen Umsetzung. Jetzt mussten plötzlich fünf bis sieben Terroristen gefasst und verurteilt werden, weil es jemand dem Innenminister befohlen hat – Sie, das war schlimm! Brandenburg hat drei festgesetzt, Hessen fünf, Bayern fünf, und dann hat Berlin telegrafiert, sie hätten zwanzig verhaftet, aber alle haben sich beim Unterschreiben des Geständnisses mit der Dienstwaffe des Polizisten – ja, man hat’s nicht leicht, sage ich Ihnen.“ Ich schaute auf seine Papiere. „Und Sie sind bei diesen Sanktionsquoten ganz frei in Ihrer Entscheidung?“ Er rückte die Brille zurecht. „Teilweise. Wie es beispielsweise Amtsdelikte gibt, die man nur als Amtsträger begehen kann – Rechtsbeugung, Aussageerpressung – werden auch manche Straftatbestände stets auf bestimmte Art bestraft. Wenn Sie einen Papierkorb anzünden, könnte es sich um einen Streich handeln, möglicherweise um Belästigung der Allgemeinheit. Zünden Sie ein Auto an, sind Sie ein Linksextremist und werden entsprechend behandelt.“ Ich beugte mich ein wenig vor. „Meinen Sie nicht, wir sollten langsam mal eine vernünftige Lösung anstreben? Was halten Sie zum Beispiel von einem Freispruch?“ „Bedaure“, gab er zurück, „das ist ja immer als erstes weg. Haben wir schon seit Ende letzten Monats nicht mehr. Aber ich mache Ihnen einen besseren Vorschlag. Sie unterschreiben ein Geständnis wegen Steuerhinterziehung, und wir lassen es solange liegen, bis es verjährt ist. Na?“





Die perfekte Welle

22 07 2013

„KW 31 bitte.“ „Okay, bis dahin sind wir mit der Überwachung erstmal durch, dann hätten wir wahlweise Spritpreise oder eine Promischeidung.“ „Poppt ja gar nicht.“ „Echt, ey!“ „Aber dafür…“ „Spritpreise sind total ausgelutscht.“ „Aber wir machen das doch jedes Jahr.“ „Eben.“ „Wollen wir nicht mal Gammelfleisch?“ „Mir egal, Kinder. Aber wir müssen uns heute noch entscheiden. Die Zeitungen warten nicht gerne.“

„Eine Woche Vorlauf für Promizeugs?“ „Echt, ey!“ „Da brauchen wir doch nicht mal einen O-Ton vom Minister.“ „Aber die Bildrechte müssen vorher abgeklärt werden, und die Verlage müssen sich darüber einigen, wer wen von beiden exklusiv hat.“ „Und wenn die sich einvernehmlich…“ „Dann hat’s doch keinen Nachrichtenwert, Sie Simpel.“ „Echt, ey!“ „Ich wäre ja für eine Dienstwagenaffäre.“ „Nicht opportun.“ „Wieso nicht? Das hat Sie bei Ulla Schmidt nicht gestört.“ „Die Geschäftsleitung hat entschieden, dass das nicht opportun ist. Außerdem kommt das jetzt zu spät, damit kann man de Maizière auch nicht mehr schaden.“ „Dann machen wir’s doch trotzdem, dann sieht der Wähler, dass der…“ „Nein. Außerdem ist der Mann nach der Wahl eh tot.“

„Vorschlag: KW 31 und 33 irgendwas mit der Türkei, und dazwischen vielleicht Deutschland im Aufschwung.“ „Was wollen Sie damit erreichen?“ „Eine Sensibilisierung des Publikums für die EU, für außenpolitische und geostrategische…“ „Hier: ‚So faul sind die Griechenschmarotzer wirklich.‘“ „Okay, sagen wir ‚Schmarotzergriechen‘, dann bin ich bei Ihnen.“ „Aber…“ „Wir müssen auch auf die Befindlichkeit der Anleger achten, die sind mit nationalistischer Hetze gegenüber aufstrebenden Wirtschaftsnationen nicht zufrieden.“ „Echt, ey!“ „Aber…“ „Außerdem passt das ganz gut zu einem kritischen Bericht über den Aufschwung.“ „Wir könnten ein Interview mit der Opposition machen.“ „Besser zwei. Und dann O-Ton Brüderle und warum Merkel doch die bessere Kanzlerin ist. Als einstündiges Feature.“ „Was ist daran dann bitte kritisch?“ „Wir werden ihre Hosenanzüge einer Stilanalyse unterziehen.“ „Wollen wir nicht mal Gammelfleisch?“ „Haben wir dann doch.“

„Dabei hat doch der Kollege ganz recht, uns fehlt hier Skandalisierungspotenzial.“ „Bei Merkel oder beim Gammelfleisch?“ „Wieso das denn?“ „Das Publikum will doch auch aufgeklärt werden, die pädagogische Note und so.“ „Deshalb macht so eine Promischeidung ja auch gar keinen Sinn, wenn sich beide einig sind.“ „Echt, ey!“ „Strompreis?“ „Hm. Kann man.“ „Ist politisch aktuell.“ „Hatten wir in…“ „Klingt gut. KW 32.“ „Aber das war doch schon so oft in den Schlagzeilen, was will man denn da noch schreiben?“ „Weiß ich nicht, müssen wir die Energieerzeuger fragen.“ „Warum eigentlich nicht KW 31?“ „Eine Woche reicht. Danach merken die Leser, dass Merkel eine Strompreisbremse nach der Wahl versprochen hat, und dann ist auch wieder gut.“ „Hat das nicht Steinbrück versprochen?“ „Wer hat das nicht getan?“ „Wo ist da der Skandal?“ „Echt, ey!“ „Ist doch auch egal, man regt sich eine Woche lang darüber auf, aber dann wird wieder nichts getan, und nach einer Woche ist dann alles vergessen.“ „Eben. Deshalb planen wir das ja auch im Wellenrhythmus.“ „Also eine Woche Strompreis und eine Woche Gammelfleisch…“ „Eben, wir sollten doch mal wieder…“ „… und eine Woche Merkel?“ „Richtig. Weil’s nach einer Woche eh keine Sau mehr kümmert.“

„Dann vielleicht für Zwischendurch mal etwas aus der Wirtschaft: Amazon.“ „Hatten wir das nicht erst neulich?“ „Nee, dies ist neu.“ „Also nicht, dass das jetzt eine Serie wird. Das ist gar nicht gut.“ „Für den Leser oder für den Verlag?“ „Für die Investoren.“ „Also doch für den Verlag.“ „Echt, ey!“ „Dann können wir mit Wiederholung und Variation arbeiten. KW 33 machen wir dann Mindestlohn oder Leiharbeit, und dann könnten wir auch etwas über den Fachkräftemangel…“ „Wieso das denn, da arbeiten doch jede Menge Südeuropäer als… ach so, verstehe schon.“ „So kurz vor der Wahl lassen wir uns doch nicht von Tatsachen beeindrucken, Kollege.“ „Dann können wir doch auch über Strompreise…“ „Zu spät, und ich möchte das auch nicht mehr hören.“ „Was ist eigentlich mit Gauck?“ „Wegen Gammelfleisch?“ „Den kann man doch auch mal befragen. Wegen Stasi und so.“ „Hallo, so kurz vor der Wahl?“ „Eben, das mag Merkel gar nicht.“ „Hätte aber einiges an Potenzial für einen neuen Skandal.“ „Eben deshalb will es ja Merkel auch nicht.“ „Fußball?“ „Dann können wir gleich was über den Verfassungsschutz bringen.“ „Echt ey!“ „Wenn wir zur Abwechslung doch mal innenpolitisch etwas machen?“ „Übertreiben Sie nicht gleich. Skandale ja, aber nur Skandal um seiner selbst willen, das ist kontraproduktiv.“ „Aber davon könnten wir ein Jahr lang überleben, und das quasi ohne Mehrkosten.“ „Eben, das wäre doch die perfekte Welle. Nie mehr herunterkommen, mehr geht nicht.“ „Vergessen Sie die journalistische Regel nie, dass wir Politik beurteilen, aber nicht machen.“ „Wo ist der Unterschied?“ „Wir machen den Lesern keine Angst, das überlassen wir der Politik.“ „Und das mit den Griechen?“ „Das ist doch, ich meine, wir sind, also das ist…“ „Aha.“ „Echt, ey!“ „Jetzt fehlt bloß noch, dass wir der Politik keine Angst machen dürfen.“ „Haha!“ „Sehr gut!“ „Bitte, ich meine nur, dass wir…“ „Leute, jetzt lassen Sie uns das doch…“ „Zu meiner Zeit, da war noch…“ „Unmöglich!“ „Das lassen Sie mal den Verlag hören, dann ist hier aber zappenduster.“ „Bitte, wir können das doch konstruktiv…“ „Wenn das die Aufgabe des Chefredakteurs ist, dann frage ich mich, warum nicht ich…“ „Gammelfleisch?“ „Okay, Gammelfleisch. KW 32 bitte.“