Der Letzte macht das Licht aus

1 07 2013

„Noch’n Eierlikörchen?“ „Mensch Sigmar, tu doch die Flasche weg!“ „Ach lass doch. Soll er sich halt aufregen.“ „Aber wir müssen ihn doch nicht noch extra…“ „Wieso denn nicht? Wenn er mal richtig vom Leder zieht, wirkt er immer so authentisch.“ „Damit wird man bloß nicht automatisch Kanzler.“

„Das ist wieder tolle Stimmung hier.“ „Komm, Hannelore, das kennst Du nicht anders.“ „Aber irgendwie sind bei der CSU die Beerdigungen lustiger als bei uns das Sommerfest.“ „Ich nehm trotzdem noch einen Pinot grigio, auch wenn Peer meint, dass man den nicht…“ „Mensch Kurt, kannst Du mal das Maul halten? einfach mal das Maul halten?“ „Ihr seid doch dafür verantwortlich, dass hier so eine miese Stimmung herrscht! Ihr wollt doch nicht alles rausholen, was geht!“ „Kurt, lass gut sein.“ „Wer ist das da hinten am Büfett?“ „Der Scholzomat. Damit die Getränke nicht aus Versehen warm werden.“ „Na dann.“

„Sagt mal, Kinder, was lasst Ihr Euch denn die Petersilie verhageln? ist doch dufte hier.“ „Gerhard, das ist hier das Abstellgleis.“ „Jetzt mach mal halblang, Sportsfreund. Worüber beschwert Ihr Euch denn?“ „Gerhard, wenn das so weitergeht, dann werden wir marginalisiert.“ „Ui, da hat die Andrea aber fein Vokabeln gelernt! Marginalisiert, das klingt ja direkt nach Bildung, hähä!“ „Gerhard, es ist fünf nach zwölf. Wenn wir jetzt nicht langsam die Kurve kriegen, dann kippen die Grünen nach der Wahl um…“ „Na, das wollen wir doch mal schwer hoffen, dafür habe ich die ja damals mit an die Regierung gelassen.“ „… und dann gibt es Schwarz-Grün, und dann war’s das.“ „Also erstens, Andrea, sind wir hier überhaupt nicht am Rand, ich zumindest nicht, bei Dir will ich das gar nicht wissen, und zweitens ist das doch scheißegal, was die Grünen machen. Das sind ein paar Chaoten, die wollen Ministerposten, klar, und wenn sie nicht Männchen machen, dann fliegen sie halt wieder.“ „Gerhard, das ist doch Blödsinn.“ „Franz, da hinten ist die Tür, einmal schräg über die Straße ist das Pflegeheim, okay?“ „Gerhard, jetzt hör mir doch mal zu. Opposition ist…“ „Und wenn Du es nicht mehr ganz über die Straße schaffen solltest, Franz, zweihundert Meter und dann links, da geht’s zum Krematorium.“ „… Mist, verstanden? Opposition ist Mist!“ „Nimm Deine Pillen und halt’s Maul, Franz. Solange ich hier der Kanzler…“ „War was?“ „Nichts, Peer. Gar nichts.“ „Runter von meinem Stuhl.“ „Sofort, Peer. Ich wollte bloß…“ „Wollte, wollte.“ „Ich bin ja schon… bin ja schon weg.“

„Manchmal frage ich mich, was das alles hier noch soll.“ „Im Vertrauen, Sigmar: die Andrea hat recht.“ „Manuela, das ist doch jetzt Panikmache. Wenn ich bedenke, was wir damals alles…“ „Kurt, jetzt erzähl nicht wieder vom Krieg.“ „Aber wir haben uns an der Regierung gehalten, die jungen Leute sollen es doch auch mal so haben wie wir.“ „Aber die Andrea hat trotzdem recht. Wenn wir jetzt nicht rankommen, dann machen es die Grünen mit Mutti, und dann gehen die auch kaputt, oder die Piraten kommen rein, und dann gibt es auch wieder keinen Kandidaten, und die FDP ist wieder…“ „Und die Grünen? wieso soll es denn danach nicht mehr für Rot-Grün reichen?“ „Weil es danach vielleicht höchstens noch für Grün-Rot reicht.“ „Au weia!“ „Eben.“

„Ist der hier noch frei?“ „Ja, da saß bis vorhin Frank-Walter.“ „Wo ist der eigentlich hin?“ „Der stand vorhin auf dem Balkon und übte staatstragend gucken.“ „Na, soll er.“ „Außerdem ist doch nichts so gut wie Kontinuität in der Außenpolitik.“ „Vier Jahre Frank-Walter, vier Jahre nix, vier Jahre Frank-Walter.“ „Das finde ich gut. Dann haben wir wenigstens Außenwirkung, müssen uns aber im eigenen Land nicht so anstrengen.“ „Was würde der Hollande dafür geben!“ „Und wir brauchen gar nicht erst wieder in den Regierungsmodus – Franz ist doch schon raus?“ „Ja, der spielt hinten am Katzentisch mit Helmut eine Partie Schach.“ „Hätte er mal lieber Schafkopf gespielt.“ „In der SPD heißt das Doppelkopf.“ „Und Peer macht gerade sein Pflichtsolo.“ „Und der erste Stich kommt von links, schon klar.“ „Seid Ihr hier wieder am Lästern?“ „Ach was, Peer. Nein, nein!“ „Dann ist ja gut.“

„So, ich hol mir jetzt noch ’ne Flasche Bier. Sonst noch wer?“ „Lass mal, Gerhard. Wir haben noch Eierlikör.“ „Ich wollte noch diesen Roten da.“ „Das wollten wir alle, Kurt. Rot ist aus.“ „Aber irgendwas brauche ich doch für mein Alter. Man muss doch eine Beschäftigung haben.“ „Geh halt zur Seniorenunion.“ „Oder frag Helmut, ob Du ihn die letzten zehn Jahre durch die Gegend rollen darfst.“ „Seine?“ „Deine, Kurt. Deine.“ „Das lass ich mit mir nicht machen!“ „Ach, sei still. Streng Dich halt ein bissel an. Wenn Du Dich waschen und rasieren würdest, hättest Du in drei Wochen einen Job.“ „Hätte, hätte!“ „Was war das?“ „Oh, schon zurück, Peer?“ „Wir haben noch ’ne Flasche Pinot.“

„Und das tun wir uns hier jetzt an?“ „Kann ja nicht jeden Tag 150. Jubiläum sein, Sigmar.“ „Das hat auch keiner verlangt, aber ein bisschen Zukunft – also eine kleine Perspektive, ein ganz wenig Hoffnung, ersteht Ihr…“ „Ganz wenig Hoffnung? das hat Peer doch schon prima hingekriegt.“ „Andrea, das will keiner mehr hören.“ „Ist doch wahr!“ „So, Bier ist dann auch alle.“ „Na klasse, Gerhard.“ „Hauptsache, einer denkt an alle.“ „Wieso? Ich denke an mich, Ihr denkt bloß nicht an Euch. Macht das wie ich: wir gucken gemütlich zu, wie die Bude abgewickelt wird, und dank Hartz IV können die Billiglohnspasten sich die Finger blutig schuften, während wir uns die Kohle gegenseitig reinschieben.“ „Gerhard!“ „Ist doch so! Jetzt feiert nicht mehr so lange, morgen ist Meeting für die Agenda 2020. Und nicht vergessen, der Letzte macht das Licht aus.“