Nur Fliegen sind schöner

17 07 2013

Breschke schlug zu. Ich zuckte zusammen. Der Alte stöhnte. „Diese Viecher sind unerträglich“, sagte er und rieb sich den geröteten Oberarm. „Wenn Sie wüssten, was die mit meiner Frau anstellen! Gestern Nacht hat eins von den Biestern ihr mitten auf den… – Jedenfalls müssen die Mücken endlich aus dem Haus.“

Die zerstochenen Arme gaben ein beredtes Zeugnis von den Zuständen in diesem Haus. Offenbar hatten die stechenden Insekten das Regiment übernommen und kehrten wieder und wieder zurück, um im Schutz der Dunkelheit ihr blutiges Mahl abzuhalten. „Wir gehen schon gar nicht mehr in den Garten“, klagte der pensionierte Finanzbeamte, „sie sind ja rein zu wild.“ Und er knibbelte sich nervös weiter an der roten Stelle herum. „Lassen Sie es besser“, mahnte ich. „Vom ständigen Jucken wird die Reizung nicht besser, im Gegenteil. Tragen Sie lieber etwas Kühlendes auf.“ „Wir machen ja bereits etwas“, antwortete er und griff zu der Flasche auf der Wohnzimmeranrichte.

Wie zu erwarten war sie braun, sechseckig, hatte ein erheblich buntes Etikett und eine Aufschrift in einer Sprache, die von einem nicht ausreichend erforschten Planeten stammen musste. „Reibt dem haut zu“, riet die Rückseite. In der Tat haute das Zeug zu. Es handelte sich um eine ölige, penetrant nach frisch angezündetem Weihnachtsbaum stinkende Flüssigkeit. „Die andere Tag ist mit neue Dosissen wo hat, wenn auftragen doppelten.“ Und das merkte man auch.

„Es macht Flecken“, klagte Breschke. „Ich meine, mich stört es ja nicht – hier im Haus stört es ja nicht, da kann ich jetzt so herumlaufen.“ Ich zog unmerklich eine Augenbraue in die Höhe; er wusste meinen Besuch wohl wirklich zu schätzen. „Wir gehen ja auch kaum in den Garten, meistens ist es auch zu heiß, und dann kann ich auch diese karierten Hemden tragen, die meine Tochter ganz preiswert – wollten Sie nicht auch welche haben?“

Der Fehler war nicht, dass Breschkes Tochter ständig irgendwelche Sachen besorgte. Es ließ sich sogar verkraften, dass sie alle verhältnismäßig preiswert waren. Die Crux lag darin, dass sie alle mehr oder weniger für Furcht und Zähneklappern sorgten, für umfangreiche Handwerkerrechnungen, Magenverstimmungen und Versicherungsschäden, Wutanfälle, hastig neu gekauften Hausrat und laute Gespräche der Eheleute einschließlich diplomatisch ausgehandelter Friedensangebote auf bisweilen sehr dünnem Eis. Das Netz sowie zweifelhafte Kontakte auf diversen Urlaubsreisen hatten für stetigen Nachschub gesorgt, der nicht nur an meinen Nerven zehrte und immer das Schlimmste erwarten ließ, nur, um es dann schließlich noch zu übertreffen.

Nicht weniger zu leiden hatte unterdessen Bismarck. Der Dackel, der dümmste seiner Art im weiten Umkreis, nahm Abstand von seiner Lieblingsbeschäftigung: seinem Herrn mitsamt der Leine zwischen den Beinen herumzulaufen. Dessen aufdringlicher Geruch nach Nelke und Zitronenöl verstörte ihn nachhaltig. Fiepend verkroch sich das Tier unter den Sessel.

„Das Problem sind die braunen Flecken“, gestand er kleinlaut. „Warten Sie, ich zeige es Ihnen.“ Schon stiegen wir die Treppe ins Obergeschoss hinauf, wo das Schlafzimmer lag. Breschke schlug das Deckbett zurück. „Ich habe es ja nicht gesehen, weil es nachts dunkel ist.“ „Ihrer Logik kann man nun einmal nicht entkommen“, gab ich trocken zurück. Zwei längliche Spuren zogen sich über das Kopfkissen auf das Laken. Die ominöse Insektenabwehrtunke war nicht, wie auf der Flasche vermerk, bei eine Eindringung auf oberflache erfolget, mehrmalen und noch mehr mehr, und Frau Breschke schien das Malheur bereits entdeckt zu haben. „Außerdem dieser Geruch. Die Mücken scheinen es nicht zu mögen, aber die anderen Insekten sind wohl wild darauf. Wir können doch jetzt nicht Nachtfalter und Wespen und Bienen hier im Schlafzimmer beherbergen, oder?“ „Nachtfalter sind doch noch ganz okay“, beruhigte ich ihn, „nur Fliegen sind schöner. Aber Spaß beiseite, die Stiche zeigen doch eindeutig, dass sich die Mücken auch nicht abhalten lassen.“ Der Hausherr blieb natürlich störrisch. „Haben Sie ein besseres Hausmittel?“ „Nun“, überlegte ich, „das ist eine alte Geschichte, aber sie wirkt wohl nur bei Anglern. Man reibt seine Haut mit altem, sehr altem Whisky ein und streut ganz feinen, weißen Sand darauf. Wenn dann die Mücken kommen, nippen sie an dem Whisky, werden betrunken und beschmeißen sich mit den Sandkörnern.“ Breschke starrte mich ungläubig an. „Und was passiert dann mit den Mücken?“ Ich runzelte die Stirn. „Was wohl. Sie werden doch wohl ein paar besoffene Mücken wegschnipsen können.“

Während er noch grübelte, untersuchte ich das Fenster. Es ließ sich bis auf einen sehr schmalen Spalt schließen, allerdings immer noch groß genug für eine Kerbtierplage. „Es tut mir leid“, teilte ich dem Alten mit. „Sie werden wohl auf das geöffnete Fenster verzichten müssen.“ „Aber meine Frau kann dieses Mückenzeugs einfach nicht riechen“, beharrte Breschke. „Also warte ich, bis sie eingeschlafen ist, dann reibe ich mich ein, dann stehe ich auf und…“ „… öffnen doch nicht etwa das Fenster?“ Er nickte einfach. „Aber ja doch“, antwortete er ohne Umschweife. „Wenn meine Frau das riechen würde, und sie schläft ja direkt neben mir, und das riecht sie bestimmt, und dann muss ich doch das Fenster auflassen?“ „Ganz offen?“ Wieder nickte er, arglos wie zuvor. „Ganz auf. Sonst riecht das ganze Schlafzimmer nach Lakritze mit Essig.“ „Aber jetzt denken Sie doch mal nach“, stöhnte ich auf, „Breschke, überlegen Sie doch mal – wenn Sie das Fenster sperrangelweit offen haben, dann kommen doch die Mücken erst recht!“ Wieder nickte er, entwaffnend ehrlich. „Eben. Und darum muss ich mich ja auch mit diesem Zeugs einreiben.“

„Reißnägel sind in der Küche, zweite Schublade von oben.“ Sie suchte ihre Brille. „Horst kann das Fliegengitter damit befestigen, wir hatten es unten sonst auch immer vor dem Kellerfenster und am Anbau. Und nehmen Sie die Flasche am besten gleich ganz mit. Vielleicht vertreibt das auch auf Ihrem Balkon die Schnaken.“