„Ich habe ja nichts gegen religiöse Vorstellungen.“ „Aber?“ „Was Sie da sagen, ist lächerlich. Man kann doch diese ganze Angelegenheit nicht einfach als religiösen Hokuspokus abtun.“ „Das ist es auch gar nicht. Es ist eine durchaus schlüssige und sehr durchdachte Konstruktion.“ „Sie vergleichen hier gerade die NSA mit den Christentum.“
„Womit denn bitte sonst? Außerdem passt es zu dieser pseudochristlichen Regierung.“ „Jetzt werden Sie nicht albern. Woran machen Sie es fest?“ „Diese Schnüffelbehörde hat sämtliche Attribute einer Gottheit.“ „Ja, Allwissenheit. Sehr witzig.“ „Sie missverstehen. Die NSA weiß nicht nur alles, sie ist auch allgegenwärtig. Woraus sich gleich die eigentliche theologische Implikation ergibt: sie ist durch ihre permanente intrinsische Anwesenheit das Kontrollgewissen.“ „Sie meinen, sie verhindert ein Verhalten, das zu Sanktionen führen könnte?“ „Mehr, denn sie ist allmächtig. Sie straft natürlich auch da, wo wir nicht genau wissen, wo wir in Worten, Taten oder Gedanken gefehlt haben. Der Wille der NSA ist unergründlich.“ „Wobei man dann die Möglichkeit postulieren müsste, dass man auch für Wohlverhalten bestraft wird.“ „Wenn Sie versehentlich einen Namen tragen, aus dem man nur vier Buchstaben herausnehmen muss, und dann klingt er so ähnlich wie jemand, der mal zehn Jahre lang mit einem Tatverdächtigen in derselben Straße gewohnt hat, dann ist das Ihr Pech.“ „Wer kommt auf so kranke Ideen?“ „Die Theologie bezeichnet das als Erbsünde. Kommen Sie klar damit.“
„Wir haben also einen strafenden und einen barmherzigen Gott.“ „In der Tat. Der barmherzige stellt ab und zu Durchsuchungsergebnisse für den eigenen Geheimdienst zur Verfügung.“ „Und er sorgt für Sicherheit.“ „So einfach ist das nicht. Denken Sie an die verhinderten Terroranschläge.“ „Es sollen 45 gewesen sein, also mehr als 50 jedenfalls.“ „Sie sehen, es ist vollkommen unlogisch. Was schließen Sie daraus?“ „Ein Glaubenssatz?“ „Nicht ganz, es handelt sich um ein Glaubensgeheimnis. Ein Mysterium. Die Vernunft lehnt es ab, da es nach rationaler Erwägung nicht den geringsten Beweis dafür gibt.“ „In etwa wie die Transsubstantiation?“ „Ein guter Vergleich. Wenn Sie es jedoch glauben, wird es zum zentralen Lehrinhalt, um dessen Ausgestaltung Sie erbitterte Kriege führen können. Sie müssen nur eines bedenken.“ „Dass es nicht im Widerspruch zu anderen Glaubenslehren steht?“ „Nein. Dass Sie immer recht haben.“ „Dann sind diese 45 verhinderten Terroranschläge eine Art Wunder.“ „Richtig. Man muss nur an sie glauben, dann existieren sie auch.“
„Allerdings liegt das Schwergewicht doch immer noch auf dem strafenden Gott.“ „Aber sicher. Wenn der Mensch ohne Sünde wäre, wozu bedürfte es dann einer Religion?“ „Dann vertraue ich als Gläubiger einem abstrakten höheren Wesen, das nicht greifbar ist, vollkommene Macht über mich hat und mir jede Form von Drohpotenzial als Wahrheit und Gesetz befehlen kann.“ „Richtig.“ „Und Friedrich?“ „Was haben Sie mit Friedrich?“ „Welche Rolle spielt der? Er selbst sieht sich ja als absolut unverzichtbar an.“ „Sie meinen einen Ministranten, der meint, ohne ihn fände die Messe gar nicht erst statt?“ „So ähnlich. Oder noch besser, ein Säulenheiliger.“ „Unfug. Friedrich ist ein Laienpriester. In jeder Hinsicht übrigens.“
„Aber jetzt wüsste ich doch ganz gerne, was diese Ansammlung von Gottesteilchen nun politisch bedeuten soll. Vor allem für diese Regierung.“ „Es ist nicht weniger als die moralische Rechtfertigung für das Narrativ dieser postdemokratischen Marodeure.“ „Was ist denn an diesem Verhalten noch ethisch zu rechtfertigen?“ „Sie verwechseln Ethik und Moral. Tun Sie das nicht; mit Ethik hat das nichts mehr zu tun, aber man kann es noch gut als moralisch bezeichnen, weil sich Moral beliebig verbiegen lässt, je nachdem, auf welche Ideologie man sie nagelt. Hier übrigens ein Kreuz.“ „Und die Vorstellung, dass es ein höheres Wesen gibt, das wir verehren, rechtfertigt die endgültige Zerstörung der konservativen Werte?“ „Zwangsläufig. Die FDP hat das mit dem Liberalismus einfacher gekonnt, sie musste einfach nur warten, bis sie über ihre eigenen Widersprüche stolpert. Die komplett leere Merkel-CDU brauchte etwas länger, weil man Lüge mit Selbstzweck verwechselt hat. Und umgekehrt.“ „Dann müsste die quietistische Kanzlerin, die sich gerne mal als in Gottes Hand verkündigt, wenn sie von Mittelstufenphysik intellektuell überfordert ist, ihr konsequentes Nichthandeln als Ergebung in Gottes Willen deklarieren.“ „Und ihr Nichtwissen, das dialektisch zugleich Erleuchtung sein will, als rückgratlose Anpassung ans Dogma. Credo, quia absurdum est.“
„Das Ganze hat ja fast eine eschatologische Komponente.“ „Na, jetzt übertreiben Sie aber.“ „Pardon, vielleicht habe ich in letzter Zeit einfach zu viel Wahlkampf mitgekriegt.“ „Natürlich gibt es eine gewisse Apokalyptik in diesem Modell. Muss es geben, sonst wäre es doch keine Religion.“ „Mir schwebt da eine Art finaler Terroranschlag vor.“ „Das ist es, ja. Man kann das aus dem kollektiven Bewusstsein zusammenbauen, 9/11, Madrid, Utøya, irgendeine Facette passt immer. Die Hölle sind die anderen, man muss sie gar nicht so bunt ausmalen, die psychotischen Vorstellungen der Masse reichen vollkommen aus.“ „Der ist eine Verheißung?“ „Das ist das Schöne, man muss auch gar nicht sagen, wann er kommt. Allein die Tatsache, dass er nicht auszuschließen ist, ist schon ein erstklassiges Druckmittel.“ „Leider haben Sie eine Sache daran nicht bedacht.“ „Nämlich?“ „Ihre Gottheit steckt richtig in Schwierigkeiten. Diese NSA begegnet einer Macht, die viel größer ist.“ „Das mag sein.“ „Einer höheren Macht.“ „Nun ja, ich will das nicht…“ „Und sie beansprucht für sich ethische Gesichtspunkte.“ „Das stimmt.“ „Damit wären die Fronten geklärt.“ „Richtig. Dann überlegen Sie sich mal, wen diese Regierung anbetet. Und warum.“
Satzspiegel