Die perfekte Welle

22 07 2013

„KW 31 bitte.“ „Okay, bis dahin sind wir mit der Überwachung erstmal durch, dann hätten wir wahlweise Spritpreise oder eine Promischeidung.“ „Poppt ja gar nicht.“ „Echt, ey!“ „Aber dafür…“ „Spritpreise sind total ausgelutscht.“ „Aber wir machen das doch jedes Jahr.“ „Eben.“ „Wollen wir nicht mal Gammelfleisch?“ „Mir egal, Kinder. Aber wir müssen uns heute noch entscheiden. Die Zeitungen warten nicht gerne.“

„Eine Woche Vorlauf für Promizeugs?“ „Echt, ey!“ „Da brauchen wir doch nicht mal einen O-Ton vom Minister.“ „Aber die Bildrechte müssen vorher abgeklärt werden, und die Verlage müssen sich darüber einigen, wer wen von beiden exklusiv hat.“ „Und wenn die sich einvernehmlich…“ „Dann hat’s doch keinen Nachrichtenwert, Sie Simpel.“ „Echt, ey!“ „Ich wäre ja für eine Dienstwagenaffäre.“ „Nicht opportun.“ „Wieso nicht? Das hat Sie bei Ulla Schmidt nicht gestört.“ „Die Geschäftsleitung hat entschieden, dass das nicht opportun ist. Außerdem kommt das jetzt zu spät, damit kann man de Maizière auch nicht mehr schaden.“ „Dann machen wir’s doch trotzdem, dann sieht der Wähler, dass der…“ „Nein. Außerdem ist der Mann nach der Wahl eh tot.“

„Vorschlag: KW 31 und 33 irgendwas mit der Türkei, und dazwischen vielleicht Deutschland im Aufschwung.“ „Was wollen Sie damit erreichen?“ „Eine Sensibilisierung des Publikums für die EU, für außenpolitische und geostrategische…“ „Hier: ‚So faul sind die Griechenschmarotzer wirklich.‘“ „Okay, sagen wir ‚Schmarotzergriechen‘, dann bin ich bei Ihnen.“ „Aber…“ „Wir müssen auch auf die Befindlichkeit der Anleger achten, die sind mit nationalistischer Hetze gegenüber aufstrebenden Wirtschaftsnationen nicht zufrieden.“ „Echt, ey!“ „Aber…“ „Außerdem passt das ganz gut zu einem kritischen Bericht über den Aufschwung.“ „Wir könnten ein Interview mit der Opposition machen.“ „Besser zwei. Und dann O-Ton Brüderle und warum Merkel doch die bessere Kanzlerin ist. Als einstündiges Feature.“ „Was ist daran dann bitte kritisch?“ „Wir werden ihre Hosenanzüge einer Stilanalyse unterziehen.“ „Wollen wir nicht mal Gammelfleisch?“ „Haben wir dann doch.“

„Dabei hat doch der Kollege ganz recht, uns fehlt hier Skandalisierungspotenzial.“ „Bei Merkel oder beim Gammelfleisch?“ „Wieso das denn?“ „Das Publikum will doch auch aufgeklärt werden, die pädagogische Note und so.“ „Deshalb macht so eine Promischeidung ja auch gar keinen Sinn, wenn sich beide einig sind.“ „Echt, ey!“ „Strompreis?“ „Hm. Kann man.“ „Ist politisch aktuell.“ „Hatten wir in…“ „Klingt gut. KW 32.“ „Aber das war doch schon so oft in den Schlagzeilen, was will man denn da noch schreiben?“ „Weiß ich nicht, müssen wir die Energieerzeuger fragen.“ „Warum eigentlich nicht KW 31?“ „Eine Woche reicht. Danach merken die Leser, dass Merkel eine Strompreisbremse nach der Wahl versprochen hat, und dann ist auch wieder gut.“ „Hat das nicht Steinbrück versprochen?“ „Wer hat das nicht getan?“ „Wo ist da der Skandal?“ „Echt, ey!“ „Ist doch auch egal, man regt sich eine Woche lang darüber auf, aber dann wird wieder nichts getan, und nach einer Woche ist dann alles vergessen.“ „Eben. Deshalb planen wir das ja auch im Wellenrhythmus.“ „Also eine Woche Strompreis und eine Woche Gammelfleisch…“ „Eben, wir sollten doch mal wieder…“ „… und eine Woche Merkel?“ „Richtig. Weil’s nach einer Woche eh keine Sau mehr kümmert.“

„Dann vielleicht für Zwischendurch mal etwas aus der Wirtschaft: Amazon.“ „Hatten wir das nicht erst neulich?“ „Nee, dies ist neu.“ „Also nicht, dass das jetzt eine Serie wird. Das ist gar nicht gut.“ „Für den Leser oder für den Verlag?“ „Für die Investoren.“ „Also doch für den Verlag.“ „Echt, ey!“ „Dann können wir mit Wiederholung und Variation arbeiten. KW 33 machen wir dann Mindestlohn oder Leiharbeit, und dann könnten wir auch etwas über den Fachkräftemangel…“ „Wieso das denn, da arbeiten doch jede Menge Südeuropäer als… ach so, verstehe schon.“ „So kurz vor der Wahl lassen wir uns doch nicht von Tatsachen beeindrucken, Kollege.“ „Dann können wir doch auch über Strompreise…“ „Zu spät, und ich möchte das auch nicht mehr hören.“ „Was ist eigentlich mit Gauck?“ „Wegen Gammelfleisch?“ „Den kann man doch auch mal befragen. Wegen Stasi und so.“ „Hallo, so kurz vor der Wahl?“ „Eben, das mag Merkel gar nicht.“ „Hätte aber einiges an Potenzial für einen neuen Skandal.“ „Eben deshalb will es ja Merkel auch nicht.“ „Fußball?“ „Dann können wir gleich was über den Verfassungsschutz bringen.“ „Echt ey!“ „Wenn wir zur Abwechslung doch mal innenpolitisch etwas machen?“ „Übertreiben Sie nicht gleich. Skandale ja, aber nur Skandal um seiner selbst willen, das ist kontraproduktiv.“ „Aber davon könnten wir ein Jahr lang überleben, und das quasi ohne Mehrkosten.“ „Eben, das wäre doch die perfekte Welle. Nie mehr herunterkommen, mehr geht nicht.“ „Vergessen Sie die journalistische Regel nie, dass wir Politik beurteilen, aber nicht machen.“ „Wo ist der Unterschied?“ „Wir machen den Lesern keine Angst, das überlassen wir der Politik.“ „Und das mit den Griechen?“ „Das ist doch, ich meine, wir sind, also das ist…“ „Aha.“ „Echt, ey!“ „Jetzt fehlt bloß noch, dass wir der Politik keine Angst machen dürfen.“ „Haha!“ „Sehr gut!“ „Bitte, ich meine nur, dass wir…“ „Leute, jetzt lassen Sie uns das doch…“ „Zu meiner Zeit, da war noch…“ „Unmöglich!“ „Das lassen Sie mal den Verlag hören, dann ist hier aber zappenduster.“ „Bitte, wir können das doch konstruktiv…“ „Wenn das die Aufgabe des Chefredakteurs ist, dann frage ich mich, warum nicht ich…“ „Gammelfleisch?“ „Okay, Gammelfleisch. KW 32 bitte.“