Supermännchen

1 08 2013

„Ich glaube, jetzt habe ich das verstanden.“ „Dann schießen Sie mal los.“ „Dieses Supergrundrecht, das muss nämlich irgendwie so mit der Verfassung zusammenhängen.“ „Ach was.“

„Das muss ja irgendwie schon ganz schön super sein, dieses Grundrecht.“ „Also noch höher als sämtliche Freiheiten, die das Grundgesetz gewährt.“ „Aber das muss ja irgendwie auch über allem stehen, dieses Grundrecht. Weil das ja auch so super ist.“ „Sie denken, wenn dies Supermännchen einen von der Verfassung erzählt, hat es immer recht?“ „Irgendwie muss das ja voll super sein.“ „Und deshalb handelt es sich um Sicherheit, nicht wahr?“ „Sie brauchen gar nicht so ironisch zu tun. Die steht im Grundgesetz gar nicht drin. Da hat sich der Innenminister tatsächlich mal etwas dabei gedacht.“ „Wobei der Mann zu denken pflegt, möchte ich mir lieber nicht vorstellen müssen.“ „Das sieht Ihnen ja ähnlich, aber bitte – Sie müssen ja auch nicht von der Sicherheit profitieren. Es langt doch, wenn der Staat davon profitiert.“ „Wo ist denn Ihrer Ansicht nach diese Sicherheit im Grundgesetz verankert?“ „Die muss doch in den Grundrechten, da muss die doch stehen. Ist doch klar für ein Supergrundrecht.“ „Ich sehe da eigentlich bloß Freiheiten.“ „Wo sehen Sie Freiheiten? Was haben die denn im Grundgesetz verloren?“ „Das frage ich mich in letzter Zeit auch immer häufiger.“ „Also meinen Sie jetzt die Freiheit, E-Mails zu schreiben.“ „Sie meinen das Fernmeldegeheimnis. Ich rede hier von der Versammlungs-, Meinungs- und Berufsfreiheit, von der Freizügigkeit und der Forschungsfreiheit.“ „Das ist doch ohne Sicherheit nichts wert.“ „Also ohne Sicherheit vor dem Staat?“ „Wie kommen Sie jetzt darauf?“ „Diese Freiheiten sind ja alle Sicherheiten vor dem Zugriff des Staates.“ „Dann ist das doch ganz gut, dann können wir eine Supersicherheit einführen, dann brauchen wir alles andere nicht mehr.“ „Sie meinen also, dieser Innenminister will sein Supergrundrecht einführen, damit er sämtliche anderen Grundrechte abschaffen kann? Ja, das klingt realistisch.“

„Aber man muss doch die Balance wahren.“ „Welche?“ „Das Gleichgewicht zwischen Freiheit und Sicherheit.“ „Das ist jetzt aber mal interessant. Demnach sind zu viele Freiheiten auch immer zu wenig Sicherheit.“ „Sagt unser Innenminister. Also wenigstens inhaltlich – so genau kann er sich nicht äußern, weil er hat wohl von der Materie jetzt nicht unbedingt so die Ahnung.“ „Dann heißt mehr Sicherheit, dass wir Freiheit abgeben müssen.“ „Hat er jetzt so auch nicht gesagt, aber wenn er das sonst auch nicht so gesagt hat, dann wird er das wohl so gemeint haben.“ „Gut, daraus ergibt sich, dass man Sicherheit nur dann bekommt, wenn man Freiheit einschränkt.“ „Ja, oder?“ „Und zwar in dem Maß, wie man es für die Sicherheit braucht.“ „Das klingt logisch. Man muss das ja auch nachhaltig sehen.“ „Wieso nachhaltig?“ „Nein, ich meinte doch: ganzheitlich. Ich verwechsle die beiden Sachen immer, wissen Sie? Die bedeuten ja nichts für diese Regierung, da kann man solche Begriffe schon mal…“ „Also entspricht das Maß der Sicherheit immer dem, was man an Freiheiten einzuschränken bereit ist.“ „Oder hier: alternativlos! Auch so ein bescheuertes Wort. Bedeutet nichts, trotzdem…“ „Das tut doch hier jetzt gar nichts zur Sache.“ „Ach so, ja. Entschuldigung.“ „Noch mal: das Maß der Sicherheit entspricht dem, was wir an Freiheiten abgeben müssen.“ „Ja.“ „Dann müssten wir demnach nur sämtliche Freiheiten abgeben, und schon wären wir sicher.“ „Naja, was ist schon sicher. Der Tod vielleicht.“ „Darauf würde es ja letztlich auch hinauslaufen.“ „Aber man muss das doch in ein Gleichgewicht hineinkriegen. Oder etwa nicht?“ „Warum denn?“ „Weil das ist doch das Supergrundrecht.“ „Und das ist jetzt so gefährdet?“ „Diese ganzen Terroristen wollen uns nämlich die Sicherheit nehmen, deshalb muss die Demokratie, in der wir leben, sich ja auch verteidigen. Wir haben nämlich eine Demokratie.“ „Sie meinen dieses marktkonforme Zeugs, das uns die beste Regierung besorgt hat?“ „Nein, ich meine die wehrhafte Demokratie. Also eine, die sich auch gegen ihre Feinde verteidigt.“ „Sehen Sie hier etwa Feinde der Demokratie?“ „Die wollen uns die freiheitliche demokratische Grundordnung nehmen, diese ganzen Terroristen da.“ „Aha.“ „Deshalb müssen wir da auch reagieren, sonst zerstören die den ganzen Staat.“ „Das ist ja interessant. Hätte ich so auch nicht gewusst.“ „Da können Sie mal sehen! Sie sollten mehr Fernsehen gucken, da sagen die…“ „Und deshalb sollen wir sämtliche Freiheiten abgeben? Warum?“ „Naja, die Terroristen bedrohen unsere Sicherheit.“ „Weshalb der Staat dann aus Angst vor der Zerstörung sämtliche Freiheiten, sprich: sich selbst zerstört.“ „Wollen Sie denn nicht sicher sein? Der Staat muss doch…“ „Der Staat sind wir alle.“ „Sie Defätist!“

„Nein, mal im Ernst: warum sollte ein Staat sämtliche Freiheiten einschränken, um Terroristen zu bekämpfen.“ „Man kann schließlich nicht zusehen, wie die Terroristen das machen.“ „Was machen?“ „Schauen Sie sich doch in den Ländern um, was da abläuft! Da gibt es keine Demokratie, und die haben nur eine Religion, und keine Meinungsfreiheit, und das sind alles Diktaturen.“ „Demnach gibt es in diesen Ländern überhaupt keine Freiheit.“ „Richtig!“ „Dann müsste es da doch richtig sicher sein.“ „Weiß ich nicht, aber das geht mich auch gar nichts an.“ „Das hätte ich mir denken können.“ „Aber wenn wir nicht aufpassen, dann ist es hier bald überall so. Die Terroristen wollen uns doch erobern und unsere Demokratie kaputt machen.“ „Und dann gibt’s hier gar keine Freiheit mehr?“ „Das wäre doch schrecklich!“ „Ich verstehe. Deshalb müssen wir schnell die Freiheit abschaffen, bevor die Terroristen es tun.“ „Was erzählen Sie denn da wieder?“ „Wir müssen uns doch sichern, wenn die Terroristen kommen. Wenn die sehen, dass wir gar keine Freiheit mehr haben, vielleicht lassen sie uns ja sogar in Ruhe und erobern uns gar nicht mehr.“ „Ich bitte Sie, damit scherzt man nicht.“ „Warum denn nicht? Wenn die sehen, dass es hier genauso diktatorisch zugeht wie bei ihnen, dann denken die sich doch: ach, da hätten wir ja auch gleich zu Hause bleiben können.“

„Sie verstehen es nicht, es geht doch um unsere Demokratie!“ „Aha.“ „Es ist doch die Gefahr, dass die uns die ganze Demokratie, also ich meine…“ „Ja?“ „Sagen Sie doch auch mal was!“ „Sie meinen also, wir müssen mehr Sicherheit haben, damit wir die Demokratie erhalten?“ „Ja, irgendwie so.“ „Und dafür brauchen wir eine Einschränkung der Freiheit, weil es ja sonst keine Sicherheit gibt.“ „Ich weiß es doch auch nicht, ich…“ „Das klingt ja auch logisch. Um die freiheitliche demokratische Grundordnung zu erhalten, schaffen wir die Freiheiten ab.“

„Also jetzt haben Sie mich ja total verwirrt. Ich weiß gar nicht mehr, was ich von dieser Sache halten soll.“ „Vom Supergrundrecht?“ „Genau. Ich weiß jetzt überhaupt nicht mehr, was ist denn daran nun das Supere? Können Sie mir das vielleicht mal erklären? Ich meine, können Sie mir diesen Friedrich so erklären, dass ich den auch verstehe?“ „Nichts leichter als das, passen Sie auf. Waren Sie schon mal an einer Tankstelle?“ „Ja sicher.“ „Und was steht da auf der Tanksäule bei Ihnen drauf?“ „Super. Und was heißt das jetzt?“ „Nicht normal.“