„Rößler? Weishaupt hier, sagen Sie: haben Sie das verbockt? Was, Sie haben das gar nicht gelesen? Da steht’s doch, laut und deutlich, auf dem Sendeplan heute: 20:15, Brennpunkt. Gerade eben. Hausmitteilung. Ja. Nein! Ja, natürlich ist das nichts Ungewöhnliches, das wird immer angekündigt in der Hausmitteilung, aber hier steht halt bloß: Brennpunkt. Sonst nichts. Wissen Sie vielleicht, worum es geht? Aha, auch nicht.
Also ich habe ja keine Ahnung, wer hier in den Sendeplänen herumkorrigiert, aber es muss echt sein. Wurde jedenfalls so abgezeichnet. Nein, kann ich nicht entziffern. Aber dass es abgezeichnet wurde, das reicht hier aus. Da sind wir auch nicht besser als das Bundesverteidigungsministerium.
Ja, Euro geht natürlich immer. Oder Krise oder so. Aber ich glaube, das ist kompliziert. Das können wir nicht. Nein, die Wirtschaftsredaktion kann das auch nicht, aber die sind die Wirtschaftsredaktion, und die dürfen das machen. Aber die machen keinen Brennpunkt. Sonst müssten die alle drei Tage einen machen, so, wie die Regierung gerade die Krise bekämpft. Klima? Ja, das klingt vernünftig. Nee, halt. Geht doch nicht. Wir habe ja keinen aktuellen Aufhänger. Keine Konferenz, bei der irgendein wichtiges internationales Protokoll auf der Spitzenebene beraten und dann doch nicht beschlossen wurde, weil die Ölindustrie keinen Bock hatte. Könnte man machen. Schreiben Sie sich das mal auf, Rößler. Wenn wir demnächst zu viel Zeit haben, können wir schon mal Material suchen.
Nein, das geht nicht. Ich würde ja auch gerne eine Sendung über die Flutopfer machen oder über das Erdbeben in Haiti, aber das muss dann auch am passenden Jahrestag sein. Richtig, die aktuelle Flut ist noch die aktuelle, und deshalb muss die erst – wie gesagt, nächstes Jahr. Sonst ein schönes Thema, fragen Sie doch mal in der Abteilung Features nach, vielleicht machen die kurz nach der Wahl noch mal einen investigativen Film. Nach der Wahl, nicht davor. Wenn Sie ihn davor machen, wird es entweder kein Film oder nicht investigativ.
Wenn Sie schon Archivmaterial sichten, dann könnten Sie doch auch gleich etwas über Geburten im englischen Königshaus machen. Oder allgemein in europäischen Königshäusern. Oder allgemein über die europäischen Königshäuser. Der größte Teil vom Brennpunkt hat ja eh nichts mit dem Thema zu tun und besteht immer aus irgendwelchen Wiederholungen, also sollten wir den irgendwie durchkriegen beim Chefredakteur. Haben Sie noch diesen Film über diesen Dackel von dieser Königin, ich weiß nicht mehr, welche, aber sie hatte diesen Dackel. Sie können ja erstmal irgendwas über Dackel zusammenstellen. Oder über Königinnen. So groß ist der Unterschied ja nicht.
Nein, das halte ich für keine gute Idee. Schauen Sie, Rößler, wenn sich herausstellen sollte, dass Pofalla gelogen hat, also vorsätzlich und vor dem Untersuchungsausschuss, dann ist das schlimm, aber dafür machen wir doch keine Sondersendung. Wir machen doch auch keine Sondersendung, wenn Westerwelle ein Mikrofon sieht und hirnverbrannte Scheiße von sich gibt. Wir würden doch zu nichts anderem mehr kommen. Überhaupt, Politik – dafür lohnt sich doch kein Brennpunkt. Ein Brennpunkt, das sind die emotionalen Ereignisse, die die Menschen wirklich interessieren, die großen Geschichten, die das Leben schreibt, menschliche Tragödien, Drama! Mehr Drama! Aber was hat denn Politik davon? Das sind ein paar Sackpfeifen, die so beschissen Jura studiert haben, dass es nicht mal zum Abmahnanwalt reicht. Das will doch keiner sehen.
Diese Doping-Sache, nee. Ich weiß ja nicht, ich weiß ja nicht. Das sollte doch vor der Wahl auch noch nicht raus, weil dann alle wieder denken, die Regierung hat das bestimmt alles gewusst, wie das mit den Amerikanern, und dann haben sie wieder nichts unternommen. An sich ein gutes Thema, finde ich auch. Wir könnten irgendeinen Experten befragen, ob wir die Weltmeistertitel 1954 und 1974 zurückgeben müssten, das wäre doch mal was. Lebt denn der Zwanziger noch? Fände ich echt mal gut. Aber wie gesagt, nach der Wahl.
Was hat der gemacht? Wagner? Gut, ich kann mit dem Castorf auch nichts anfangen, aber rechtfertigt das einen Brennpunkt?
Natürlich ist das kompliziert, also jetzt nicht nur der Wahlkampf und Berlusconi und das mit den Drohnen, und der Papst hat ja nur gesagt, dass er die schwulen Priester nicht mehr diskriminieren will, aber vielleicht nennen die das jetzt einfach anders. Ich weiß es doch auch nicht! Das gibt ja alles nichts her, und wenn wir über Snowden eine Viertelstunde, oder doch nicht – dann doch lieber über Doping. Da sind wenigstens alle sauer.
Ach was, ich bin schuld!? Jetzt bin wieder ich schuld, weil ich Sie zu spät angerufen habe, weil Sie ihre Hausmitteilungen nicht lesen! Großartig, das löst das Problem ja sofort! Danke auch, Rößler! Es ist doch zum Weglaufen – warum machen wir nicht einmal eine Sondersendung über diesen Sender? Ernsthaft, dieser verfluchte Katastrophenjournalismus – dabei ist die größte Katastrophe hier der Journalismus selbst.
Hallo? Aufgelegt. Na danke. Was mache ich denn jetzt? Ich kann doch nicht einfach die Wettervorhersage umbenennen?“
Satzspiegel