Gernulf Olzheimer kommentiert (CCVII): Kreuzfahrten

9 08 2013
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Ganz früher, als man noch nichts hatte, da fuhren sie ins Gartenhäuschen, mähten ein paar Wochen lang den Rasen und aßen selbst angebauten Salat. Das einzige, was den Kleinbürger an seiner Sommerfrische störte, waren die Parallelexistenzen auf der anderen Zaunseite, die auf dem Grillrost die Altfettbestände des babylonischen Deppenkartells in Rauch aufgehen ließen, den Hund zum Bellen über die Hecke schmissen und mit dem Grammofon Marschmusik in den trockenen Boden gravierten. Zum Ausgleich bedienten sie den Gartenschlauch virtuos an der Grundstücksgrenze und leerten ihren Abfallkübel im Sprungwurf. Jahre später, vielleicht lag auch der eine oder andere Krieg dazwischen, setzte sich die gesamte Sippe nach Italien ab, wo der Massentourismus bereits seine Tentakeln nach den nordalpinen Wurstgesichtern ausgestreckt hatte. Inzwischen sind sie auf den Malediven angekommen, bevölkern saisonal die Karibik und die noch nicht untergegangenen Fragmente der Balearen. Doch man erkennt sie, und schlimmer noch: sie erkennen sich selbst. Das Prolletariat auf Urlaub flieht sich selbst, da es den eigenen Anblick nur unter peristaltischen Verrenkungen erträgt. Weder Safari noch sich im Keller einzumauern wäre adäquater Ersatz. Der Beknackte verfällt auf die luxuriöse Variante und bucht eine Kreuzfahrt.

Hier ist man Mensch, hier kann man’s sein. Von einem dümpelnden Lastkahn abgesehen um sich herum nur Wasser, eine durch den Preis gesteuerte Exklusivkohorte aus der Population des in die Erholung getriebenen Sozialgerölls, die Umgebung verspricht bereits hochklassige Runderholung für Körperfett, geistige Abnutzung und seelische Schadstoffanhäufungen. Der Prospekt verspricht die Katalogversion des Paradieses in Pink, Schnörkel inklusive, dazu die schönste Auswahl an Mitternachtscocktails, Trendsport und Tischdeko – eine hochpotenzierte Wegwerfgesellschaft, die ihre Hinterlassenschaften gleich in die Schiffschraube möllern kann, weil eh keine Seekuh zusieht. Denn mittlerweile hat sich das Ensemble in eine Leistungsschau für prestigeverliebte Renommisten verwandelt, die mit arabischen Fünf-Sterne-Hotels wetteifert. Noch sind die Türklinken nur mit einer Lage Blattgold beschwiemelt, man kann an Bord nach Tennis und Wellenreiten längst Trockenski fahren, Kaviar hinters Zäpfchen pfropfen, bis der Internist sich die Schweißtropfen wegwienert, und im Verein mit anderen spätrömisch Dekadenten Kunstrasen mähen, wie es das Herz begehrt. Kein Wunsch bleibe offen, so der Veranstalter, dazu west ja im Bauch des schaukelnden Potts ein Brei aus kaum bezahlten Kulis, die das Wellnesslager mit immerwährendem Liebreiz bespaßen.

Manchmal, und das kann schon kurz nach dem Einchecken passieren, packt den Bekloppten die jähe Furcht. Nicht die Angst, mit dem ganzen Dampfer die Tiefseerinne einzukerben, nicht die Panik, in Flammen aufzugehen und als Fliegender Holländer in die Stratosphäre abzurauchen. Es ist die unmittelbar einsetzende Lähmung, wenn der Pauschalpopel begreift, die Hölle sind die anderen, und die sind da, diesseits der Reling. Alle.

Die komplette Nachbarsrotte, eine Hackfresse neben der anderen im Polyesterfummel, blaue Sportstreifen im Preis enthalten, ungeduscht, laut und mit Brechreiz erregendem Akzent, vollführt mit dem Frühstück etwas, das im Zoo appetitlicher vor sich ginge. Die Billighuberei der Reisebranche feiert ihre Implosion mit einem Rumba-Contest an der Resterampe (vormals kaltes Büfett), während das aus Urinen auferstandene Schwimmbassin die Evolution im beschleunigten Rückwärtsgang nachturnt; noch eine Woche, und die ersten neu entwickelten Einzeller erweisen sich als robusteste Spezies, die mit jedem Siff spielend fertig wird. Die Verhältnisse, die jede balkanische Betonbettenburg bietet, Ekelgefühl galore und dazu so viel billiger Schnaps, dass man den Degout nicht mehr als tragende Säule der Empfindung sieht, entsprechen ungefähr der Kosten-Nutzen-Rechnung – leider nicht der des Passagiers, sondern derjenigen des Tourikonzerns, der die nichts ahnenden Ichlinge in See stochern lässt.

Und nicht einmal die Gewissheit, dass man diesen schwimmenden Cluburlaub gerade eben überstehen wird, weil die Verpflegung letztlich nicht schlechter ist als an Land, nicht die latente Gefahr von Seekrankheit macht einem die Wochen auf dem Meer zur unüberwindlichen Prüfung. Es ist das Bewusstsein, dass alles, was da zu Kreuze fährt, genau gerafft hat, was für ein Treibholzgulag dieses Ding ist, auf dem das Elend sich unvergesslich macht, und keiner will es zugeben. Schlimmer noch, jeder weiß, dies ist ein Internierungscamp im Ozean, und jeder ist hier, um jeden zu quälen. Am ersten Tag denkt man noch an Spaß, doch dann interessiert einen bloß, wann die Sonne untergeht. Dies ist das Fegefeuer. Eine Flucht ist möglich, doch sie endet immer in der Schiffschraube. Wie das in der Wegwerfgesellschaft nun mal so ist.