
Gernulf Olzheimer
Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.
Der Sprache Macht, der Sprache Schönheit wird verspüren, wer den anmutigen Versen des Poeten lauscht – Wort für Wort erleuchtet’s uns die Nacht des Irdischen, Gestirnen gleich im Raum des Metaphysischen kreisend, wo uns sonst die verbale Kommunikation allenfalls mit zweckdienlichen Hinweisen auf die Plomben geht, wo uns angesichts einer Unterhaltung zweier Rentner über Art und Tätigkeit des Verdauungstraktes die Vergänglichkeit nicht schnell genug aufschlägt. Schöner als das beredte Zeugnis der Welt schiene uns, wenn jene die Klappe hielte, im Vorortzug, im Wartezimmer, wo immer ein Wurstgesicht sein Sprechwerkzeug nicht hinreichend unter Kontrolle hat. Wir leiden zunehmend unter enervierendem Geschwafel, seit die Industrie mit den Hirnvernichtungswaffen in Schach hält. Das mobile Endgerät, es hat die Macht übernommen, und dazu auch die Macht der Sprache in Gestalt der Macht des Sprechens.
Wer in einem entlegenen Winkel des öffentlichen Raums Platz nimmt, an einer Ochsenkarrenhaltestelle der hinteren Walachei oder im Trockenlager einer Wurstbude, den wecken aus der Hölle importierte Klingeltöne. Die Meute ist da, und sie hat die Herrschaft übernommen. Was sich da in unmittelbarer physischer Nachbarschaft zur Materialisation entschlossen hat, Nilpferde unter den Elfen oder ästhetisches Prekariat jenseits der Zumutbarkeit, zückt konditionsgemäß seine auf Pump gekauften Knochen und schwallt ad hoc den Nachweis gerichtlich verwertbarer Anwesenheit ins Sprechende. Was dieses Phänomen überhaupt zur vollen Reife führt, entzieht sich der allgemeinen Deutung; vermutlich gibt es inzwischen einen Service, um angerufen zu werden, oder automatisch klingelnde Telefone, denn wer riefe diese Embryonalintelligenzen ohne Strafandrohung an. Es klingelt, und der unschuldige Büßer an der Seite des Hirnvollverdübelten muss die Folgen leiden.
Der meist nur mit rudimentärem Intellekt gesegnete Kommunikator zeichnet sich durch zwei Verhaltensweisen aus, den fragwürdigen Inhalt des Gesprächs sowie dessen Aufdringlichkeit. Was den Inhalt angeht, so ist diese ein todsicherer Indiaktor für den Verdeppungsgrad der Sabbelkrampe; je nach Anteil von schamlosem Ausplaudern intimster Details oder infantil bis regredierter Wortbildung lässt sich abmessen, welche innere Notwendigkeit das Gespräch besitzt. Sie ist meist knapp unter ε, und es drängt sich dem teilnehmenden Beobachter auf, dass eine Proportionalität zwischen nichtigen Themen und pompöser Inszeniertheit des Gesprächs geradezu axiomatischen Züge annimmt. Was der geistige Gesunde noch mit einem laxen Handstreich wegwischt, die Frage etwa, ob Kevin zu Chantal gesagt hat, dass Dustin von Cheyenne gehört hat, dass Luca und Michelle gesagt haben, Chantal habe etwas zu Renesmee gesagt, daraus schwiemeln sich wenig beanspruchte Hasenhirne eine Feier der Beklopptheit. Natürlich ist alles das bekannt aus den Feuchtgebieten der aufsteigenden Pubertät, doch wurde hier eher Wert gelegt auf die Diskretion, die den Unbeteiligten nicht an die Ekelgrenze führt.
Freilich fühlt der unfreiwillige Gast beim Fiepen aus dem Bedeutungsnirwana auch hier die mild kitzelnde Wirkung einer Katharsis: er erkennt die Dummheit, die er gerne ignoriert hätte, und darf sich geborgen fühlen in der Sicherheit, niemals so tief sinken zu müssen wie die Schnackbratzen. Doch was nützt das Bewusstsein der Überlegenheit, wenn all das Gossengefasel in narzisstischer Lautstärke dahersuppt, als müsse auch der Rest der Menschheit zeitnah erfahren, dass man sich in der Straßenbahn die Fußnägel schneidet. Stärke ist Macht.
Wer sich im Fahrstuhl einen Sabbeltoaster an die Backe schmalzt, tut dies längst nicht mehr, als führe er das Modell 36 in der Herrenhandtasche mit sich, er unterhält sich längst mit der Welt. Für ihn ist Telefon wie Facebook, wo er irrelevante Grütze in die Welt auswirft, dessen nicht denkend, dass es der bis auf wenige geschmacksfrei gelagerte Koksgnome auch am Sitzmuskel vorbeigeht. Folglich erhöht er den Schalldruck. Meist reicht es nicht, der Mischpoke auf dem Nachbarplaneten mitzuteilen, dass man gerade im Zug sitzt und telefoniert, es muss auch der komplette Bestand an Fahrgästen inhaltlich an der Sache beteiligt werden. Ein Mitarbeitergespräch komplettiert die Heimfahrt, kurz bevor der Mann der Tat das Drucklufthorn auspackt und dem Exhibitionisten am Smartphone eine kollaterale Schädeldeformation verpasst. Sollte sich noch immer keine Entspannung einstellen, ja sind eventuelle Widerworte zu erwarten, so sollte man den Laberlurchen sanfte Hilfestellung geben bei der Entwöhnung von ihrer Schwafelapparatur. Ein beherzter Tritt, ein frisches Schlenzen aus dem Fenster, schon ist der Fernsprecher wieder da, wo er hingehört. Fern. Der Rest sollte Schweigen sein.
Satzspiegel