Das also war das Reisebüro. „Unsere Spezialität“, betonte Fettcke. „Sie werden sich auf unseren Touren zu Hause fühlen, absolut zu Hause. Was daran liegt, dass Sie zu Hause sind.“
Mandy Schwidarski und mein sehr geschätzter Kollege Minnichkeit von Trends & Friends hatten mir den Hinweis gegeben, genauer gesagt: der Travel-Experte Maxim, der so viel reisen musste, dass er zu den Feiertagen nicht mehr reisen wollte. „Jeder reist zu den Feiertagen“, hatte Mandy gestöhnt, „weil die anderen zu den Feiertagen reisen, und die reisen, weil die anderen immer jammern, dass das Reisen an den Feiertagen so anstrengend ist, jedenfalls anstrengender als die Feiertage.“ So fasste ich den Plan, zum kommenden Weihnachtsfest zu verreisen. Oder auch nicht. „Wir verreisen Sie“, lächelte Fettcke. „Warum sollten Sie in einem schlechten, überfüllten Hotel genervt unter Genervten hocken, wenn Sie es sich doch auch auf dem Sofa gemütlich machen könnten?“ Natürlich spielte der Preisvorteil eine Rolle, andererseits war es schon verlockend, den Daheimgebliebenen zu zeigen, dass man gerade in der großen weiten Welt unterwegs war.
„Wenn Sie sich unser Sortiment anschauen möchten? London, Paris, die Malediven, Gnützburg an der Schlippe.“ Ich war beeindruckt. „Vielleicht nehme ich tatsächlich etwas Kleines, anderthalb Wochen im Hotel Royal dort dürften meinen finanziellen Möglichkeiten am ehesten entsprechen. Das wirkt sehr glaubwürdig.“ Fettcke faltete die Mappe auf. „Die Beschreibungen sind erstens sehr genau und werden ständig aktualisiert – hier sehen Sie beispielsweise einen Bildbericht über die Baustelle gegenüber des Landrat-Wübbepeter-Springbrunnens, die wie erwartet nicht in wenigen Tagen beendet war, sondern im kommenden Frühjahr ihr Silberjubiläum feiert, und der zweite Vorzug sind die ausführlichen Leitfäden, die Sie an die Hand bekommen.“ Man musste sich also nicht mehr auf die Reiseführer verlassen, die ja ohnehin einer vom anderen abschrieben, was das Zeug hielt, es gab Originalmaterial in Hülle und Fülle. „Das ist der Zoologische Garten“, stellte ich fest. Fettcke bestätigte es nach einem kurzen Blick. „Und da sehen Sie auch schon die Beschreibung der Müllkörbe, hier ist eine genaue Aufschlüsselung der Imbissbude am Bärengehege, einschließlich der einzelnen Mitarbeiter am Souvenirstand. Ihre Reiseberichte werden außergewöhnlich authentisch sein. Besser, als seien Sie selbst dorthin gefahren.“
Er reichte mir eine Checkliste. „Wenn Sie diese Formalitäten vielleicht erledigen würden? Das macht die Sache erheblich besser.“ Das allerdings verwirrt mich doch. Wozu musste ich meine Kamera abgeben und ein Telefon? „Ihre Lieben werden natürlich eine versehentlich abgesetzte SMS am Weihnachtsabend erhalten. Sie ordern ein Taxi, drücken aber irrtümlich auf die falsche Nummer – und wenn sie alle unter dem Weihnachtsbaum sitzen, werden sie den Querschläger lesen und an Sie denken. Sie aber haben nach Ihrer Rückkehr eine Geschichte zu erzählen.“ Fettcke schmunzelte. Ich begriff. „Wie beiläufig lasse ich ins Gespräch einfließen, dass ich eine Stunde auf meinen Wagen gewartet habe, und sie werden wissen, warum. Fettcke, Sie sind ja ein Genie!“ „Och“, errötete er, „man macht sich so seine Gedanken.“
Das mit der Kamera war schnell erklärt. „Wir drücken sie vertrauenswürdigen Touristen, die sich bei unserer Agentur ein kleines Zubrot zu den Reisekosten verdienen, in die Hand.“ „Dann knipsen die mit meinem Apparat sicher sämtliche Sehenswürdigkeiten“, schloss ich messerscharf, „genauso verwackelt und unscharf wie die billige Kamera, die man ihnen dalässt.“ „Und Sie haben eine Garantie“, erläuterte Fettcke, „dass Sie nicht die üblichen Postkartenansichten in perfekter Beleuchtung bekommen. Wir liefern Ihnen wirklich hundsmiserable Schnappschüsse mit unterirdischer Beleuchtung bei schlechtem Wetter. “ Ich händigte ihm die Kamera bereitwillig ein.
„À propos Postkarten.“ Fettcke schob mir einen Stapel über den Tisch. „Schreiben Sie schon einmal ein Dutzend, unsere Gewährsleute werden sie vor Ort einstecken. Sozusagen eine frankierende Maßnahme.“ „Ihr Service ist beeindruckend“, lobte ich. „Sie denken aber auch an alles!“ Einige Trinkgelder würden das Ihre tun; sollten Gäste nach mir fragen, das Hotelpersonal wüsste sofort, dass ich abends Kaffee trinke und öfters Opernkarten an die Rezeption senden lasse. Alles würde passen, ich bekäme ein lückenloses Alibi.
Er quittierte mir den Betrag und schob die Unterlagen über den Tisch. „Sie werden sehr zufrieden sein“, versprach Fettcke, „das ist eine gute Wahl.“ Über die Weihnachtstage würde ich einfach zu Hause bleiben, das Telefon stumm stellen und auf nichts reagieren. Morgen würde die imaginäre Fahrt beginnen, ich hatte also noch Zeit für einen kurzen Abstecher ins Kaufhaus, um Geschenkpapier zu besorgen. Sicher würde Hildegard nach ihrer Rückkehr eine Kleinigkeit zu schätzen wissen; gut, dass Minnichkeit beizeiten eine Flasche Parfum aus Mailand mitgebracht hatte. Da surrte plötzlich das Telefon in meiner Tasche. „75 Rue Saint-Louis en l’Île. Taxi, SVP.“ Sollte Sie etwa – ?
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