„Ich bin schon sehr gespannt auf Ihren Bericht“, teilte Fritzler mir mit. „Wir treffen uns in der Filiale Wandsheider Chaussee, ja?“ „Meinetwegen“, seufzte ich und legte auf. Dabei wusste er doch zu genau, was ich auf den Tod nicht leiden konnte. Einkaufen in der Weihnachtszeit.
„Damit sind Sie nicht allein“, hatte Minnichkeit von Trends & Friends mir zugesichert. „Wer geht schon in den letzten Wochen vor dem Fest gerne einkaufen? Sie müssen schon eine ganze Menge an Leidensfähigkeit besitzen, nicht alle Tassen im Schrank haben oder – guten Morgen, Frau Schwidarski!“ Mandy zog missbilligend die Augenbrauen hoch. „Sie wollten doch Fritzlers Kaufparadies besuchen, oder?“ Ich nickte. „Dann wird’s aber mal Zeit. Der Laden öffnet in einer halben Stunde, und Sie wollen doch einen Parkplatz bekommen.“
Das Geschäft lag recht weit außerhalb der Zivilisation, war allerdings schon von Weitem sichtbar. Eine geräumige Halle erstreckte sich entlang des Flusstals, viel Platz für das ultimative Shopping-Vergnügen. Mein Magen meldete leisen Widerspruch an. Doch da stand er auch schon in der Tür, breit grinsend und ohne einen Anflug von typisch weihnachtlich ho-ho-hoheitsvollem Gewicht. „Sie sollten sich unsere Preisknaller ansehen“, begrüßte er mich. „Die Herrenmoden sind gleich links, Sie mögen sicher ein Paar Stiefel oder unsere klassischen Sets aus Kammgarn und – ach was, kommen Sie erstmal rein.“
Aktionsware empfing mich an der Eingangstür. Eine karierte Wolljacke war gerade so weit herabgesetzt worden, dass dem durchschnittlichen Besucher die Augen tränten. Bestimmt lauerten die roten Mäntel mit dem unverbrüchlichen Pelzkragen hinter der Rechtskurve, vermutlich gab es hier auch die Instant-Beschallung besinnlicher Feierstunden in Form von Christfestplatten, Sprühschnee und Einwickelpapier für Geschenke, die am Tag der Bescherung gekauft wurden. Fritzler winkte ab. „Sie irren sich gewaltig.“ Ungläubig schaute ich ihn an, doch er ließ sich nicht beirren. „Ich setze auf antizyklisches Shoppen, gerade für die Opfer der Konsumgesellschaft. Kommen Sie herein, hier ist absolut weihnachtsfreie Zone.“
Tatsächlich – nirgends war auch nur die kleinste Spur weihnachtlichen Brauchtums, weihnachtlicher Dekoration oder weihnachtlichen Zubehörs zu finden. Es roch nicht nach Zimt und Marzipan, keine goldenen Kugeln hingen von der Decke, und aus den Lautsprechern näselte ein Tenor, wie lau doch diese Sommernacht gerade sei. „Wir sind das Kontrastprogramm“, sagte Fritzler nicht ohne einen gewissen Stolz. „Hier kann man noch Mensch sein, Sie sehen es ja selbst.“ Mehrere Männer, die ansonsten nur mit Mühe in ein Fachgeschäft für Bademoden gebracht worden wären, betrachteten aufmerksam die aktuelle Schwimmbekleidung in großen Größen. Ein dicklicher Herr mit breitem Scheitel probierte Plastiksandaletten in gewagten Farben, ein anderer, möglicherweise sein Bruder, begutachtete mit fachmännischem Blick Schnorchel, Schwimmflossen und ähnliches Zubehör für den Strandurlaub. Vermutlich sehnten sie sich nach nichts mehr als nach einem Last-Minute-Flug in den Süden. Ein schöner Traum, aber eben ein Traum.
Einen Gang weiter standen die Kugelgrills in Reih und Glied. „Das geht zu dieser Jahreszeit natürlich immer“, bestätigte Fritzler. Ich mutmaßte, dass es sich bei einigen durchaus auch um Kunden auf der Suche nach passenden Festtagsgeschenken handeln könnte. „Gut möglich“, wandte er ein. „Aber wir setzen doch deshalb keinen vor die Tür. Integratives Marketing ist unser Geschäft. Wir geben keinen Kunden auf.“
Einen Gang weiter wurde mir klar, was das bedeutete. Eine bunte Kollektion von Lenkdrachen zog die Käufer an, keiner fühlte sich vernachlässigt. Im Gegenteil, sie widmeten sich aufmerksam ihren Luftfahrtmodellen und waren schier unablenkbar bei der Sache. „Wenn man sie einmal Blut lecken lässt“, erklärte Fritzler, „dann hat man sie als langfristige Kunden gewonnen. Schließlich setzen wir auch keinen Kunden unter Druck. Sie können alle auch bis zum kommenden Herbst warten, die Hauptsache ist, dass sie dann wieder hier sind.“
Glückliche Menschen standen in der Kassenschlange, glückliche Menschen mit prall gefüllten Tüten. Offenbar war dies eine Goldgrube, und es lag nicht nur am antizyklischen Angebot. Dazu wirkten die Kunden mit ihren festlich anmutenden Paketbergen viel zu froh und munter. „Besuchen Sie uns unbedingt auch im Mai“, riet Fritzler. „Sie werden sehen: unsere Glühwein-Wochen sind ein absolutes Muss!“
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