Elefanten wären in diesem Porzellanladen leiser vorgegangen. Was die Belegschaft in einer Minute an Ausschuss und Scherben produzierte, ging über den täglichen Verkauf hinaus. Frau Möbiussen nickte zufrieden. „Sie lernen es langsam“, bestätigte sie, wenn sie es sich auch eher selbst zu bestätigen schien. „Langsam lernen sie es, und ich bin mir fast sicher, dass wir innerhalb der nächsten Jahre werden wirtschaftlich arbeiten können.“
Dass ich dies schon aus Prinzip für eine nicht zu bestätigende Hypothese hielt – immerhin handelte es sich ausschließlich um ausrangierte FDP-Abgeordnete, die für die freie Wirtschaft kaum zu verwenden waren. „Bildungsferne Schichten“, erläuterte Frau Möbiussen, „ein paar Semester Jura, ein Wochenendkurs, einen gelben Kartoffelsack als Retter der steuerbefreiten Herrenrasse anzubeten, und schon konnten Sie Bundestagsabgeordneter werden. Manche von ihnen haben noch nicht einmal das gepackt.“ Ich runzelte die Stirn. „Sie haben einen Kartoffelsack nicht erkannt?“ „Falsch.“ Sie sagte es beinahe beiläufig, mit einer kaum merklichen, unnahbaren Härte. „Sie hatten nicht einmal die Zulassung zum Jura-Studium. Aber für die Partei hat’s natürlich gereicht.“
Die Sand schaufelnde Gruppe hatten wir hinter uns, eine Tür weiter verteilte eine ganze Klasse an Tischen sitzend Schrauben und kleine Scheiben in Plastikbeutelchen. „An sich sollte das für einen Fortgeschrittenen-Kurs völlig genügen.“ Ihr skeptischer Blick irritierte mich, doch ich frage nicht nach. Womöglich war ihr die Sache peinlich. „Wir haben in jeder Tüte die identische Anzahl an Schrauben und Muttern und Nägeln und Stiften und Scheiben und dazu einen Sechskantschlüssel.“ Stur stopfen die Helfer ihre Teile in die Tüten. „Leider haben wir auch die größten Schwierigkeiten hier in der Station, weil die Helfer von einem großen Freiheitswillen durchdrungen sind; was herauskommt, ist ihnen meistens völlig egal.“ „Ich halte das für nicht weiter erheblich“, teilte ich ihr mit, „das sind schließlich nur Hilfstätigkeiten ohne eine wirkliche…“ Abrupt wandte sich Frau Möbiussen zu mir. „Haben Sie schon einmal Möbel zum Selbstaufbau gekauft?“ Ich schwieg betroffen.
Das Institut für Fortbildung beruhte auf den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen. So wurde es komplett staatlich finanziert, was einen starken Anreiz setzte, die bedürftige Klientel zur Teilnahme an Bildungsmaßnahmen zu beteiligen. „Sie lehnen staatliche Leistungen vollständig ab“, versicherte Frau Möbiussen. „Bis zu dem Punkt, an dem sie sie brauchen, und dann bezeichnen sie es als stalinistische Schikane, dass sie nicht bevorzugt behandelt werden.“ Im Klassenzimmer nebenan lernten ein paar junge Eleven gerade das kleine Einmaleins; der ehemalige Finanzausschuss war noch nicht ganz so weit, sie zählten noch die Finger, bevor sie mit dem Rechnen anfingen.
Aus dem Seitenflügel drang hysterisches Kreischen. „Nein“, lächelte die Leiterin, „das täuscht. Seit er nicht mehr Außenminister ist, hat er sich gar nicht mehr blicken lassen. Das sind unsere Versuchsmodelle und die Handwerksklasse.“ Handwerk? Das machte mich neugierig.
Zwanzig Friseure schnipselten an zwanzig aufgeregt schnatternden Damen herum. Zwanzig Scheren klapperten aufgeregt durch die Luft. Hier und dort lamentierte ein Opfer vor sich hin, doch niemand schenkte dem Aufmerksamkeit. „Wir verfolgen ein ganzheitliches Konzept“, erklärte Frau Möbiussen knapp. Es hatte sich mir noch nicht ganz erschlossen, aber ich hielt die Augen offen. Zum Beispiel schnitt der zitternde Jüngling seiner Kundin auf dem Drehstuhl in Zeitlupe eine Glatze; hätte er den Rasierer genommen, er wäre in ein paar Minuten mit der Sache fertig gewesen, doch so kürzte er unermüdlich ein kleines Strähnchen nach dem anderen und zerstückelte ihre einstmals schulterlange Mähne. Das alles war schwierig anzusehen, doch noch immer hatte ich keine Ahnung, was hier vor sich ging. „Sie machen das alle freiwillig.“ Jetzt begriff ich. „Nach einer komplizierten Trennung dauert es meistens ein paar Wochen, dann gehen Frauen freiwillig zum Friseur und lassen sich auf ihrem Kopf eine Katastrophe anrichten.“ Sie nickte. „Die Parteibasis brauchte einige Zeit, um sich zu ihrer Leidensfähigkeit zu bekennen. Damit fügen wir zusammen, was zusammengehört.“
Offensichtlich hatten auch die angehenden Haarkünstler an ihrer Anschlussverwendung einigen Spaß. „Hauptsache Arbeit“, rief ich ihnen ermunternd zu; sie beantworteten es mit einem sauertöpfischen Grinsen. „Leistung muss sich wieder lohnen“, deklamierte ich, und: „Wer arbeitet, muss mehr haben als der, der nicht arbeitet!“ Eilig zog mich Frau Möbiussen aus dem Saal. Zu meinem Selbstschutz geschah dies, wie ich später erfuhr. „Immerhin geben wir ihnen das Gefühl, in einem Beruf zu sein, für den sie andere bewundern.“ Ich begehrte auf. „Sie üben eine vollkommen destruktive Tätigkeit aus, die sie nicht einmal ordentlich gelernt haben, und Sie reden von Bewunderung? Wo gibt es denn so was!?“ „Bei den Investmentbankern beispielsweise“, antwortete Frau Möbiussen kühl. „Aber jetzt wollen wir uns die Prüfungskurse ansehen. Bitte nicht dorthin, die haben alle schon bei der Aufnahmeprüfung versagt, die kommen zur Deutschen Bahn – hier links, wenn ich bitten darf.“ Und wir stiegen die Treppe hinauf.
Satzspiegel