Gernulf Olzheimer kommentiert (CCXXIV): Mode

10 01 2014
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Irgendwo im Pleistozän. Es war verflucht kalt, Ngg froren die Zehen ab, sein Weib hockte trübsinnig in der Höhle und schmollte, weil das Wetter ihre Sozialkontakte ruinierte. Das Telefon war noch nicht erfunden. Nicht einmal die Brieftaube. Gedankenverloren knotete sie die puscheligen Reste eines Eichhörnchencarpaccios zusammen – voilà, die matschigen Tauwettertage mit ihrem verdammten Nieselregen konnten kommen, denn Madame Uga hatte keinen Nageraufstoß am Kragen ihrer Grizzlyrobe. Sie aber. Und die Alte würde sich die Krätze ärgern, so viel stand fest. Geboren war die liebste Geißel der Menschheit, die Mode.

Zwei Dinge haben seither die materialisierten Stimmungsschwankungen der aussehenden Bevölkerung in Schach gehalten, die komplette Sinnlosigkeit und die Willkür. Ganz nach Belieben ordnet der Geschmack einen Trend an, gelbe Manschetten mit Rosenmuster, spitze Schuhe auf Keilabsätzen mit Blinklicht zu Fransenrock und Motivdruck-Lederweste, lässt ihn fallen, kramt ihn wieder aus dem Orkus, verteufelt, reinkarniert ihn – wobei es nicht Geschmack zu nennen ist, denn davon kommt herzlich wenig im Mainstream an. Vielmehr sind es hirnverbrannte Grützbirnen, die ihre Profilneurose an Beistellblondinen ausleben, mit Nadel, Schere, Bolzenschussgerät und Zange, um halbwegs geistig gesunde Personen mit etwas Georgette und einer Schaufel Pailletten in koksende Wracks zu verwandeln, meist also sich selbst. Der Modemacher lässt sich von allem anregen, Kunst und Literatur, Börsenberichten, der Verfilmung einer Aufbauanleitung schwedischer Klappsessel aus nordkoreanischer Knastproduktion, und schwiemelt daraus gehäkelte Sackkleider, deren Schnitt so raffiniert ist, dass man darin eine Kartoffel für die Monroe halten könnte. Oder die Monroe für eine Kartoffel.

Das zweite ist jene Sinnlosigkeit, wie sie nur ein echter Religionsersatz aus 100% Schurwolle zustande brächte: es ist so reißpiepenegal, ob sich der durchschnittliche Zonk die Waden in rosa oder himmelgraue Strümpfe quetscht, keinen kümmert der Metallwarenladen in seiner Unterlippe, nichts resultiert aus der Tatsache, wie er sich die Haare abrasiert, kariert und in die Gegend stehen lässt. Keine Absatzhöhe, keine Saumlänge beeinflusst den Lauf der Gestirne, es ist nur das intellektuell niederschwellige Angebot für die Knalltüten unter den Brezelbiegern, um möglichst rasch auszufiltern, wer sich bis zur Verdeppung unter das Joch des Absurden quetschen lässt. Jede ästhetisch gemeinte Beklopptheit, die sich als provokante Geste gegen die penetrante Sinnhaftigkeit entschuldigt, wird als elitäre, häufiger noch pseudoelitäre Preziosität geboren und wird so lange bis zum Pöbel durchgereicht, bis die Tendenz dort angekommen und ausgelutscht ist, um den Konformismus der Masse mit billigem Polyestermischgewebe am Laufen zu halten. Wo der Designer noch einen Ansatz zum Expressivem versucht, suhlt sich das Untergeschoss längst in affirmativem Exhibitionismus und will dazugehören – wenn alles schiefgeht, klappt das auch.

Denn hinter jedem Beknackten, der sich einen Schlips kauft, steht eine bis an die Stecknadeln im Maul gerüstete Armada an Schlipsverkäufern und Schlipslieferanten, Schlipsnähern, Schlipsstoffwirkern, Schlipsstoff- und Schlipsdesignern, und über allem thront als Korrektiv das Heer der Schlipskritiker, Schlipsblogger und Schlipspäpste, die entscheiden, ob man dieses Jahr überhaupt Schlipse trägt. Der Kulturstrick holt eine Menge Bescheuerte von der Straße, bezahlt ihnen Brot und Rosen und hält die ganze Gesellschaft von erheblicheren Dingen fern, weil sie sich um die Farbe ihrer Beinverhüllung sorgen müssen. So gaukelt der Sockenfabrikant dem ahnungslosen Opfer vor, die individualistische Wahl des Strumpfs sei sein erster Schritt zur wahren Freiheit, während der Konsument damit nur weiter den Wirker würgt, der am Fließband Massenware weg haut. Und so kränkelt die kollektive Vortäuschung nun eben daran, dass formunschön geklöppelte Leinenlappen vom gemeinen Gesäß hängen, während die also tragende Person noch mehr oder weniger verzweifelt glaubt, wie die Hautevolee durch die Rüben zu waten. So hat das Quotenwürstchen nicht den Hauch einer Chance gegen das Diktat der Dinge.

Das Grauen aber kommt erst später. Viel später. Wem das Unglück widerfährt, sein gesegnetes Alter zu erreichen oder wenigstens die Jugend in kognitiv intaktem Zustand hinter sich zu lassen, der wird die alten Bilder sehen. Vati in Schlaghosen. Vati in geblümten Hemden. Vati im Pleistozän. Wer vor der Torheit nicht wegläuft, den holt sie immer wieder ein, gründlich, grausam und in kleinem Karo.