Gernulf Olzheimer kommentiert (CCXXXI): Das überwachte Gesicht

28 02 2014
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Geschickte Finger hatte er, der Hominide. Fast lebensecht krakelte er Wollnashorn, Büffeltier und Säbelzahntiger an die unverputzte Grottenwand, dazu ein hübsches Feuerchen respektive die Sonne, und diese oder jene Striche mit Nase: Ngg und seine Brüder, wie sie durchs Unterholz straucheln, stilisierte Speere in den verschwitzten Händen, für die Sippe einigermaßen kenntlich, doch schon anderthalb Generationen später nur noch Kratzer im Sandstein, kaum an der Zahl der Füße zu erkennen und auch sonst nicht individuell genug, um aus der Masse hervorzustechen. Sie gehen in die ewigen Jagdgründe ein und haben ihre Ruhe. Weil sie keiner mehr erkennt.

Anders heute. Wer da mal eben ein Selfie in die Betonwand fräst – die Stämme artikulieren sich nicht avancierter als ihre prähistorischen Vorfahren, nur weniger zivilisiert und seltener von bleibendem ästhetischem Wert – landet sofort in der Überwachungskamera, die ein hysterischer Supermarktbesitzer an die Hausecke geflanscht hat, um Einschläge von Passagiermaschinen in seine Frischfleischtheke besser den Strafverfolgungsbehörden melden zu können. Alternativ grinst jede Hohlbacke in jede sich bietende Linse, wenn das Fernsehen aufmarschiert bei Samstagabendshows und anderen Autounfällen, winkt pennälerhaft und grüßt den Kegelverein im heimischen Kuhkaff. Besser ließe sich niemand freiwillig zur Zielscheibe machen als mit dem so entstandenen Material, das locker ein anständiges Fahndungsplakat ergäbe, wenn man den völlig verseiften Knalldeppen in Front draufpappte. Vermutlich lässt man den Quark mit Publikum auch nur noch dazu weiterlaufen, weil noch nicht das komplette Personal biometrisch zwangsgeknipst wurde.

Vermutlich wurden diese Extremflughäfen, diese in jeder Hinsicht unterirdischen Bahnhöfe und Elbkonzertsäle nur deshalb für viel Geld in die Landschaft geschwiemelt, um täglich Menschen zusammenzupferchen, die sich an einer Batterie Sicherheitskameras vorbeischieben müssen, rotgesichtig genervte Bürger, die für Sicherheitspolitiker, diese intellektuell knapp unterhalb von Braunalgen rangierenden Fehlversuche der Evolution, so lange gegängelt und schikaniert werden, bis sie heimlich in der Tasche die Faust ballen und damit auch offiziell als Terroristen behandelt werden dürfen. Die Fratze ist einmal gefilmt und archiviert und taucht ab jetzt bei jeder gesellschaftlich relevanten Transaktion auf. Noch ein Grund, seine Wohnung selbst im Notfall nicht mehr zu verlassen.

Aber wir geben uns auch gar keine Mühe, die Visage aus dem öffentlichen Raum in die Stille der Privatheit zu retten. Kaum hockt der Beknackte bei Stulle und Bier, zack! und Blitz! und ab ins Netz, als sei die Gesichtshalde noch nicht wegen Überfüllung geschlossen. Tante Erna und Herr Klöbner aus dem Tiefparterre nebst Heimtier gleich mit, das spart zweimal den Aufwasch und transportiert dazu noch die Metainformation, dass wir den komischen Kauz kennen, der dem Staatsschutz als Sammler obskurer Schriften aus dem real existierenden Sozialismus bekannt sein dürfte. Wir können uns nicht einmal hinter den Gesichtern der anderen verstecken. Mit etwas Glück hat sich der Typ eins weiter links auch schon eine Helmkamera auf die Birne gebastelt und kleckert unsere Existenzversuche in HD in die aufkeimende Nachwelt.

Fragt sich nur, wer den ganzen Schmadder angucken soll. Um den täglichen Dreck zu sichten, der aus den Tiefen der technischen Speicherung in die anthropogene Fehlerquellenzone hoch klatscht, bräuchte man anderthalb Ersatzmenschheiten im Dreischichtbetrieb, die das Zeug sichten. Was liegt also näher, als die Fehlerquelle auszulagern auf die permanent zur Verfügung stehende Maschine, die auch gefährliches Verhalten analysiert und dementsprechend auffällige Personen aus dem Verkehr zieht. Wenn zwei Pickel an der Nase und auffälliges Hinken nach normalem Liquorbefund nicht mehr genug sind, demnächst reicht ein kurzer Defekt der Bildverarbeitungssoftware, damit die Kinder einen Deppenschulabschluss machen.

Die Zukunft ist nicht die Überwachung unseres Tuns, sie ist die radikale Personalisierung. Jedes Individuum wird bei seinem Namen gerufen, es ist sein; er, der Staat hat es geschaffen und gemacht, und seine Botschaft lautet: fürchte Dich.

Die Strickmützenindustrie wird knapp von den Herstellern falscher Bärte überholt werden, aber das ist nur eine Übergangserscheinung. Mit etwas Glück rafft der Hominide, diese phylogenetische Ausschussware, dass auch irgendjemand ihn selbst auf dem Kieker hat und seine kleinen dreckigen Geheimnisse mit schwitzigen Fingern aufschreibt. Nicht auszuschließen, dass das schon zum Krieg führt. Aber damit wäre nichts verloren. Wer übrig bleibt, wird ein paar Jahre später wieder Elche, Autos und Videokameras malen. An die Höhlenwand. Und wer weiß, vielleicht sind wir dann ja endlich in Sicherheit.





Linksum

27 02 2014

„Hallo? Beratungsding für… hier, na! ’tschuldigung, ich muss mal eben – Beratungsstelle für aussteigewillige Autonome, tut mir Leid, wir hatten noch nie einen Anruf, und ich kann mir den Quark einfach nicht merken.

Was denken Sie denn? Natürlich ist das hier alles ernst gemeint. Das ist zwar der größte Schwachsinn aller Zeiten, aber wenn eine Regierung unter dieser Kanzlerin das macht, dann ist das ernst gemeint. Wir sind wirklich die telefonische Beratungsstelle für Linke, die aus der Szene aussteigen wollen. Hier ruft zwar kein Schwein an, aber es ist absolut ernst gemeint. Echt.

Aber reden wir lieber von Ihnen. Sie sind also so ein echter Linksradikaler? Nö, ich frage nur aus Interesse. Wir hatten unsere Schulungen damals direkt bei der Schröder, und die hat nachweislich noch nie einen Linken gesehen. Sie sind also linksradikal? Was macht man denn da so den ganzen Tag? Man hat Ärger mit der Polizei? Ja, das kann ich mir vorstellen. Wieso eigentlich? Weil die denken, man sei links? Ist das denn etwa ein Verbrechen? Ach so, die Polizei weiß das auch nicht so genau? Wieder was gelernt.

Ich bin ja damals dafür gewesen, dass wir auch von den anderen Linken angerufen werden können. Von denen, die links sind, aber nichts aussteigen wollen. Dann hätten wir da wenigstens mal ein paar Sachen gelernt. Über Rechte, da weiß man ja ganz gut Bescheid. NSU, Sarrazin, die AfD, Anschauungsmaterial gibt es genug. Aber wenn Sie partout nicht wissen, was das eigentlich für Leute sind, da werden Sie schon leicht verunsichert. Und da heißt es immer, Weiterbildung sei so wichtig heutzutage – da brennen ein paar Autos im Wahlkampf, weil das teure Limousinen sind, ist so ein Autobrand natürlich immer gleich eine politische Straftat, und am Ende war’s ein verwirrter Fundamentalchrist mit Liebeskummer. Ist doch kein Wunder, wenn wir hier gar nicht wissen, wie wir auf unser Klientel reagieren sollen.

Nein, das nun auch wieder nicht. Uns geht’s so weit eigentlich gut, was sage ich: dufte, uns geht’s hier richtig dufte. Ganz neue Telefone, hat ja auch noch nie einer angerufen, und super Drehstühle, und diese neuen hochauflösenden Monitore mit Breitwand und alles, und die Lampen hier und der Teppichboden – also wenn ich der Limburger Bischof wäre, ich würde ja gelb vor Neid! Nein, das ist schon richtig dufte hier. Da hat die Schröder eine Mörderkohle reingesteckt. Damit von den ganzen Initiativen gegen Neonazis keiner zu viel abkriegt. Und natürlich auch, damit wir in zehn Jahren immer noch wissen, was für eine hohle Nuss diese Hesseneule war.

Aber reden wir lieber von… Ja, das hatten wir schon. Unser Gesprächsleitfaden ist auch nicht der beste, und unser rhetorisches Training – na, ich würde das jetzt nicht als rhetorisch bezeichnen wollen. Das ist so ungefähr auf CDU-Niveau. Aber so um 1950, wenn Sie wissen, was ich meine. Da ist nicht viel zu holen.

Haben Sie denn in Ihrer Organisation eine Leitungsfunktion? üben Sie ideologischen Einfluss auf Ihre Gesinnungsgenossen aus? Hm, ja. Und wie oft in der Woche üben Sie Gewalt aus, strukturelle Gewalt gegen Organe des Staates eingerechnet? Ja, habe ich. Und wie sind Sie auf uns aufmerksam geworden? Zeitungsanzeige, Werbung in anderen Internetforen, Selbsthilfegruppe, Rechtsanwalt, Kontakt im Justizvollzug?

An sich würde ich Ihnen jetzt helfen, einen Job zu suchen. Aber Sie haben ja schon einen. Wohnung auch? Dann kann ich mit meinem ganzheitlichen Ansatz leider nicht viel für Sie tun. Sie sind zwar irgendwie links oder autonom oder so, aber nicht total in der Illegalität, und da sind mir die Hände gebunden. Kronzeugenregelung? Weiß ich nichts von. Also wenn Sie jetzt auch mal ein Auto in Brand gesteckt haben, dann müssen Sie schon in den Knast. Das Gesetz gilt auch für Linke. Sie sind ja kein Nazi, oder?

Unser Extremismuskonzept ist da sehr, wie soll ich sagen, nicht so ganz schlüssig. Wenn Sie jetzt wirklich sehr tief in der autonomen Szene drin sind, dann müssten Sie eigentlich erst mal aussteigen, damit wir Ihnen helfen können. Also beim Ausstieg aus der Szene. Und wenn wir Ihnen da einen eigenen Führungsoffizier vom Verfassungsschutz hinstellen, dann hilft Ihnen das auch nicht weiter. Aber unser Extremismuskonzept ist halt so. Haben Sie denn wenigstens schon mal eine politische Straftat begangen? Flugblätter verteilt? auf einer Demo? War die denn angemeldet? Hm, ich fürchte, das könnte nicht gut ausgehen. Am Ende war das alles legal, weil ein Amtsrichter das abgesegnet hat, Versammlungsfreiheit und so, und dann haben Sie gar keinen Dreck am Stecken. Das muss nichts heißen. Wenn die Polizei Sie einkesselt, ist das nicht unbedingt gut. Das kann auch sein, dass ein Gericht das als illegal bezeichnet. Das dauert schon mal ein paar Jahre, aber es passiert halt immer wieder. Kann man nichts machen.

Ach, wissen Sie was? Wir probieren das jetzt einfach mal. Sie sind mein erster aussteigewilliger Anrufer, und ich werde Sie da jetzt aus Ihrem grundgesetzfeindlichen Milieu rausholen. Ja, ich mach das. Verlassen Sie sich auf mich, ich werde Sie in die Gesellschaft zurückführen, in die politische Mehrheitsgesellschaft, in der wir alle gemeinsam als Demokraten – als Demokraten… Mist, hier fehlt auch schon wieder eine Seite im Gesprächsleitfaden. Wo sind Sie denn genau? Revolutionäre Zellen? militante gruppe? Wie jetzt? In der SPD? Wollen Sie mich verarschen!? Ich sabbel mir hier die Lunge aus dem… –

Aufgelegt. Scheißjob.“





Gelbe Gefahr

26 02 2014

Herr Breschke stellte die Schaufel zurück. „Ich habe ja nichts gegen Ausländer“, knurrte er, „aber das ist ein Chinese! Da hört sich doch alles auf!“ Umständlich zog er sich die Gartenhandschuhe aus, während er weiter über den Niedergang der sonst so beschaulichen Villengegend tobte. „Woher kommen bloß immer diese Leute? Ist denen China nicht mehr groß genug?“

Aus Altersgründen hatten Hirsekorns das gegenüberliegende Haus aufgegeben und waren zu ihren Kindern gezogen. Maler und Installateure kamen und gingen, dann stand ein Möbelwagen vor der Tür. „Die sind gleich mit allen eingezogen“, ereiferte sich der Alte. „Mit den Kindern, mit Sack und Pack!“ „Das ist hierzulande üblich“, gab ich zurück. „Sie passen sich den Gewohnheiten an.“ Doch das war nur Wasser auf seine Mühlen. „Sie kommen von überallher, das ist gefährlich!“ Ich reichte ihm die Rasenkantenschere. „Interessante Theorie, bisher hatte ich immer gedacht, Chinesen kämen vorwiegend aus China.“ Ich hätte besser meinen Mund gehalten. „Stellen Sie sich das mal vor, zwei Kinder! Zwei Kindern! Wenn das jeder Chinese so macht, dann haben wir bald keine Deutschen mehr bei uns!“ „Vermutlich mussten sie auswandern“, wandte ich ein. „Zwei Kinder sind ja selbst für Peking zu viel, aber in Europa kann man mit so einer Großfamilie ja besser untertauchen.“

Bismarck, der dümmste Dackel im weiten Umkreis, nahm keinen Anteil an der ganzen Sache. Er döste gemütlich auf den Eingangsstufen und ließ sich von der Frühlingssonne bescheinen. Noch lugten keine Tulpen aus dem Beet hervor, die er hätte anknurren können, und die Leine, über die er seinen Herrn gerne stolpern ließ, lag wohlverwahrt im Innern des Hauses. „Ich hatte neulich sogar den Schlüssel draußen stecken lassen.“ Breschke ließ mich gar nicht mehr zu Wort kommen. „Meine Frau kam vom Einholen und hat ihn hier entdeckt – jetzt stellen Sie sich das mal vor, einer von diesen chinesischen Jungs hätte ihn mitgenommen!“ Dem Argument konnte ich mich nicht entziehen. Hätte einer das Haus des Chinesen mit Steinen beworfen, um den Frieden des Platanenwegs zu stören, wäre ja sicher auch der Chinese schuld gewesen. Was zieht er auch in ein Haus ein, noch dazu mit zwei Kindern und Mobiliar. „Ihre Frau hat also den Schlüssel gefunden?“ „Nach zwei Stunden“, ächzte er. „Zwei Stunden – in der Zeit hätte doch alles passieren können!“

Dabei hatte ich den pensionierten Finanzbeamten nie als vorurteilsbehaftet erlebt. Er war zwar in einem chinesischen Restaurant bei der Verlobungsfeier seiner einzigen Tochter – das Verlöbnis wurde recht schnell wieder gelöst, aber das hatte ganz andere Gründe – aufgefallen, weil er Wiener Schnitzel bestellt hatte, aber das tat er auch auf seiner bisher einzigen Reise nach Mallorca. Er trank ausländische Schnäpse, vorwiegend solche, die in Deutschland nicht unbedenklich in den Handel gelangen durften, und vertraute seinem türkischen Automechaniker mehr als Doktor Klengel, nachdem dieser eine Sprechstundenhilfe aus Hessen beschäftigte. Es war, wie gesagt, kompliziert.

„Wo gehen die eigentlich zur Schule!“ Horst Breschke hatte sich längst in Rage geredet. „Sie werden sicher täglich einen Interkontinentalflug nehmen“, antwortete ich, „bestimmt auf Staatskosten.“ Er war verwirrt. „Meinen Sie?“ „Haben Sie irgendwo hier eine chinesische Schule gesehen?“ Der Alte rang die Hände. „Das ist eine Katastrophe!“ „Worauf Sie sich verlassen können“, sagte ich ungerührt. „Am Ende machen hier alle Chinesen in der Stadt mit ihren 40 Kindern einen Staatszirkus auf, und dann lassen sie die ganze Sippe nachkommen.“ „Furchtbar!“ Breschke raufte sich die Haare. Doch ich war noch längst nicht fertig. „Am Ende findet das Milliardenvolk hier keine Anstellungen mehr, weil längst an jeder Ecke ein Zirkus steht, und dann müssen sie sich anders ein Auskommen suchen. Denken Sie an die Schlüssel.“ Er schnaufte schon bedenklich. „Sie meinen, wir werden hier lauter Diebesbanden haben, die nachts in unsere Häuser einsteigen?“ „Ach was“, beruhigte ich ihn, „die sind zwar klein, aber unter der Tür kommen sie immer noch nicht durch. Ich meinte eher etwas anderes.“

Jäh erbebte Breschke. Er stürzte auf den Hund zu, der sich keines Angriffs versah. „Die essen ja Hunde“, stammelte er, „aber Bismarck kriegen die nicht!“ Das arme Tier wand sich jaulend unter den Beruhigungsversuchen des Alten. „Vielleicht essen sie die nur noch sonntags“, mutmaßte ich, „oder sie kaufen sich inzwischen welche. Achten Sie mal darauf, wenn Sie auf dem Wochenmarkt sind.“ „Das wird mir zu viel“, schrie er. „Ich mache ein für alle Male Schluss damit!“ Ich nahm ihm den Spaten aus der Hand. „Lassen Sie doch den Unsinn“, mahnte ich. „Sie wohnen direkt gegenüber, das macht Sie doch verdächtig. Lassen Sie lieber mich mit ihm reden.“

Er wollte mich noch zurückhalten, aber ich lief einfach schnurstracks über die Straße und klingelte. Nach einer kurzen Unterredung schloss der neue Nachbar die Haustür. Breschke ging vorsorglich hinter dem Liguster in Deckung.

„Grüß Gott“, stellte er sich mit einer tiefen Verbeugung vor. Dabei überreichte er Herrn Breschke eine Schwarzwälder Kuckucksuhr. „Herr Tomoya Nakai“, stellte ich vor. „Sie sind gar nicht aus…“ „Nein“, wehrte er lächelnd ab, „ich habe nur in Erlangen Maschinenbau studiert.“ Breschke war betreten. „Man kann nicht vorsichtig genug sein“, warnte ich. „Stellen Sie sich vor, er wäre aus Hessen gekommen.“ Er nickte versonnen. „Nicht auszudenken!“





Er ist wieder da

25 02 2014

„Und jetzt stellen Sie mich mal durch, ich hab doch nich den ganzen Tach Zeit. – Hallo Angie, hier ist der Bundeskanzler. Ja, das glaub mal. Die Deutschen haben Dich doch nich gewählt, weil Du Kanzlerin kannst. Die wollten ’ne Mutti, und das hammse ja auch gekricht.

Das war jetzt gar nich frauenfeindlich gemeint, Du bist ja nich Alice Schwarzer. Obwohl, ’ne Frau? Nee, sonst wärste ja in Deinem Gedönsministerium geblieben, wo Dich der Dicke reingesteckt hat. Der wusste noch, wie man den Umweltmüll aus Deutsch-Ost fachgerecht entsorgt. Aber mal was anderes, Angie. Wann trittst Du denn jetzt endlich zurück? Oder hast Du den Gong zur letzten Runde noch gar nicht gehört? Ich mein, wär ja auch gut möglich.

Alle sprechen sie jetzt schon von Rente mit 63 und so. Ich wollt nur mal hören, ob Du das so ernst meinst wie die restliche Politik. Also wie die Steuersenkungen, die Du mit dieser tollen Partei gemacht hast, die schon gar nich mehr im Bundestach sitzt. Oder wie standhaft Ihr immer gewesen seid, dass man keine Atomkraftwerke abschalten darf. Wenn Du das mit der Rente auch so ernst meinst, willst Du nich mal gucken, ob Dir das JobCenter was in Altersteilzeit vermittelt? Für ’ne gesellschaftlich engagierte Blondine mit Parteibuch wär das doch dufte, wenn Du Deinen Arbeitsplatz der gut qualifizierten Jugend zur Verfügung stellen könntest. Was willst Du denn da in Berlin noch groß machen? Politik? Nee, war klar.

Die Medien wollen irgendwann auch mal’n neues Gesicht. Wobei, dass die an Dein Gesicht irgendwelche Ansprüche stellen könnten, Angie…

Ach, hör doch auf. Ich hab das doch gewusst, und mich hätte es viel mehr geärgert, wenn die Amis mich nicht ausgeschnüffelt hätten. Sach mal, was lutscht der Demenzière eigentlich für Pillen, weißt Du das? Muss ja heißes Zeugs sein, was der sich reinpfeift. Hömma, welches Wort von ‚Alle werden ständig abgehört‘ war jetzt noch mal zu kompliziert? Und deshalb muss der alte Sockenbügler aus dem Kanzleramt so einen Alarm machen? Kann das sein, dass Ihr alle voll verstrahlt seid? Erst rafft er so langsam, dass es ein paar Sachen gibt, wo Politiker nich an der Schlange vorbeispazieren können, und dann krichst Du mit, dass er mal was geschnallt hat? Wie bekloppt kann man eigentlich sein?

Du kannst das eben nich. Dann lass das doch auch endlich bleiben, Angie. Weil Du das nich kannst. Ihr fälscht die Arbeitslosenzahlen auch nich besser als wir, aber Deine Trulla von der Leier lässt sich für den Kram abfeiern, während Du durch die Landschaft krückst. Das ist doch panne. Was meinste, warum ich mir Ohrfeigenfressen wie Hartz und Clement ins Haus geholt hab? Damit die den Dreck machen, ein paar asoziale Sprüche ablassen und danach in der historischen Versenkung verschwinden. Wenn einer die Rampensau macht, dann ja wohl der Kanzler. Haste nich ganz gerafft, oder? merkt man, Angie. Merkt man.

War doch dasselbe mit Deinem Pickelbubi. Spätrömische Dekadenz, erinnerste Dich? Das würde dieser Brüllaffe in meinem Kabinett einmal sagen, und dann wär’s zappenduster. Du lässt Dir von diesem Kroppzeuch auf der Nase rumanzen? Selbst schuld.

Doch, selbst schuld. Wer sich Dobrindt ins Kabinett holt, für den ist Regieren auf Augenhöhe offensichtlich nur möglich mit dem Gesicht auf dem Boden.

Oder hab ich das jetzt nich ganz mitgekricht, und das ist Dein Mut zum Risiko? Kann ja sein. Die Personaldecke ist in Eurer Bunde ja inzwischen derart dünn, Ihr müsst schon die Nahles mit ins Kabinett lassen, hähähä! Ach, was reg ich mich auf. Ich find das prima. Wie Du die Union in die Tonne trittst, das find ich wirklich echt dufte.

Sach mal, wie haste Dir eigentlich Deine Nachfolge vorgestellt? Jetzt sach nich, Du willst da hocken bleiben, bis Dein Arsch durch den Sessel gewuchert ist. Oder sollen die Dich gleich in den Rollstuhl von Kohl reinpacken? Mal langsam aufwachen, Angie. Heute noch lebendig, morgen schon Biomasse. Da musste Dir mal was überlegen. Heißer Tipp von mir: frag doch mal Deine Vertrauten im Parteipräsidium. Oder Deine Freunde, geht auch. Ach Mensch, stimmt ja – haste ja gar keine, hähähä!

Dann gehste jetzt eben zu Deinem Präsidium und gibst auf. Sag denen, der Kanzler ist wieder da. Dann kannste in aller Ruhe irgendwo als Aufsichtsrätin hocken, wie Du Dir das vorgestellt hast. Kann sein, dass das mit der Frauenquote nich ganz so hinhaut. Aber dann machste eben den Pofalla und gehst zur Bahn. Seitdem Ihr da die Weichen stellt, nehmen die ja auch jeden.

Also überleg’s Dir. In anderthalb Jahren kannste die ganze Chose an Deine Truppenuschi rüberschieben, oder der Dicke steigt irgendwann aus. Und dann sind Neuwahlen. Und dann haste mehr als ein Problem. So, und jetzt ist auf der anderen Leitung einer wichtiger als Du. Weißte Bescheid, Angie. Wir sprechen uns noch. Tschüßi!“





Bed & Breakfast

24 02 2014

„… übernachte Familienministerin Schwesig in ihrem Ministerium, weshalb sie keine Kosten für eine Privatwohnung in der Bundeshauptstadt…“

„… sei dienstrechtlich in Ordnung, dass die Ministerin die Kosten für eine Dienstwohnung stattet bekomme, obwohl sie überhaupt keine Dienstwohnung habe. Die SPD habe betont, dies sei vollkommen logisch, auf ähnliche Weise zahle man ja schließlich auch das Elterngeld oder den…“

„… sich Nahles durchaus eine eigene Wohnung leisten könne. Sie wolle aber aus persönlichen Gründen nicht weit von ihrer eigenen Kaffeemaschine…“

„… werde nach Aussage der Abgeordneten von ihnen auch die ständige Präsenz im Heimatkreis und im Interwebnetz verlangt, weshalb eine Privatwohnung in Berlin so gut wie nie…“

„… halte der Ministeriumssprecher für gut. Da Nahles ihre Tochter nur alle vier bis sechs Wochen sehe, könne sich das Kind komplett unbelastet…“

„… sei es falsch, dass von der Leyen eine 7,4-Quadratmeter-Wohnung bezogen habe, um sich der Truppe auch im Arbeitsalltag näher zu fühlen. Sie wolle in Erinnerung an ihr vergangenes Amt demonstrieren, dass Arbeitslose, die weitaus weniger Komfort als ein Regierungsmitglied zu beanspruchen hätten, in Zukunft auch ganz ohne menschenwürdiges…“

„… die Besteuerung des Zweitwohnsitzes keinesfalls aufgegeben werden dürfe, wie Schäuble mitgeteilt habe. Ausnahmen könne es nur geben, wenn es sich um Bürger handelte, die derart hohe Steuern hinterzögen, dass die Pauschale von 221 Euro auch nicht mehr besonders…“

„… sei ersichtlich, dass die Große Koalition sich sehr kostenbewusst verhalte. Schon aus diesem Grund sei eine Erhöhung der Diäten für die Mitglieder des Deutschen Bundestages absolut…“

„… könne durchaus Schule machen, um die Verfügbarkeit von Behördenmitarbeitern zu sichern. Künftig sei es denkbar, Referatsleiter nur noch an Wochenenden und Feiertagen…“

„… zeige der Fall des ehemaligen Ministers Friedrich, dass sich für Mitglieder eines Merkel-Kabinetts die Anmietung einer eigenen Wohnung immer öfter gar nicht erst…“

„… besser für die Sicherheitslage. Da die Minister zunehmend ohne eigene Wohnungen seien, müssten auch keine Privatwohnungen gesichert und überwacht…“

„… die Kosten für die Renovierung leicht aus dem Ruder gelaufen seien. Nahles habe die Steigerung um das Vierfache damit begründet, die Decke ihrer 1½-Zimmer-Einliegerwohnung habe mit einer speziellen Halterung ausgerüstet werden müssen, um den von Franz-Peter Tebartz-van Elst spendierten Adventskranz baustatisch sicher zu…“

„… dass Justizminister Maas abgelehnt habe, auf einer Klappcouch zu übernachten, da dies nicht dem Standard für Mitglieder des Bundeskabinetts entspreche. Er habe sich daher im Westflügel ein Drei-Zimmer-Apartment mit eigenem…“

„… eine reine Kostenentscheidung sei. Der Service ändere sich nicht, das Gästehaus der Bundesregierung auf Schloss Meseberg werde mit Bed & Breakfast weiterhin für internationale…“

„… werde von der Leyen trotzdem nicht auf ihren täglichen Fahrdienst zwischen Wohnung und Ministerium verzichten, da dieser ihr dienstrechtlich ohne Bedingungen zustehe. Die Verteidigungsministerin habe sich jedoch kompromissbereit gezeigt und wolle stattdessen die Kosten bar ausgezahlt als…“

„… sich nicht um Dienstwohnungen handele, da diese gemäß Verordnung nicht unentgeltlich überlassen werden dürften. Es sei vielmehr eine Form der Anerkennung, so dass für eine Mietzahlung keine rechtliche…“

„… den Umbau von Schloss Meseberg bewilligt habe. Insbesondere Vizekanzler Sigmar Gabriel habe die neuen Einbettzimmer mit Klappschemel und Deckenregal als viel zu eng für seine…“

„… zwar korrekt, dass sie keine Gebühren für Straßenreinigung, Abfallentsorgung, Wasser, Strom und Heizung entrichte. Allerdings habe von der Leyen versichert, dass sie aus Solidarität mit ihrem Ehemann auch in der letzten Legislaturperiode nicht…“

„… habe Lucke angekündigt, nach der Machtübernahme der AfD den Führerbunker…“

„… Staatsgäste zunehmend in der Kantine des Deutschen Bundestags bewirtet würden. Dies sei fiskalisch nicht zu beanstanden, obwohl die Kosten noch immer mit den erhöhten Spesensätzen für…“

„… es sich im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung nicht um eine eigenständige Wohneinheit handele, sondern nur um einen auf dem kleinen Dienstweg vom Bundesbauministerium genehmigten…“

„… nicht zu beanstanden sei, dass nach ca. 50 Dienstwohnungen im Justizministerium auch ein Café, ein Kiosk sowie ein Frisiersalon…“

„… gehe von der Leyen mit gutem Beispiel voran, da auch in der Bundeswehr Drohnen bald nur noch vom Home Office aus…“

„… den zusätzlichen Platzbedarf von 22,5 ha im Bundesentwicklungsministerium damit erklärt habe, dass die von Niebel mitgebrachten Teppiche keinesfalls dauerhaft im aufgerollten Zustand…“

„… den Bio-Supermarkt nicht wie geplant im Auswärtigen Amt zu eröffnen, sondern ihn im Untergeschoss der Bundesforstverwaltung als…“

„… die rumänische Putzmannschaft im Parlament in großen, geräumigen Mehrbettzimmern unterzubringen, die auf dem Rettungsplan eindeutig als Tiefgarage…“

„… wolle man die osteuropäischen Gebäudereiniger durch freiwilligen Zwang davon abhalten, den Wohnungsmarkt zu belasten. Den betreffenden Kräften sei durch die CSU-Landesgruppe befohlen worden, ihre tägliche Schicht mit ‚Ich bin ein Schmarotzerschwein, denn ich fahre täglich heim‘ zu…“

„… sei zum Ausgleich der Nachtclub DekaDance ins Auswärtige Amt eingezogen. Auf der Eröffnungsfeier habe der ehemalige Hausherr sich…“

„… es im Bundesverkehrsministerium inzwischen außer einigen Lagerflächen und Nasszellen keine zur Arbeit genutzten Büroräume mehr gebe. Dobrindt habe deshalb die sofortige Verlegung seines Verwaltungssitzes in mehrere angekaufte Villen in Berlin-Dahlem…“





Parzival und Jeschûte. Drei kleine Variationen Wolframs von Eschenbach (II): Wie bei Muttern

23 02 2014

(Chanson für Jeschute Valetti von Theobald Hauser, erschienen in der Bühnenwelt)

Ja, das möchtste…

Dass alle Fraun wie Marzipan
sich schlafend stelln, und Du kommst bei,
so rot der Mund und weiß der Zahn,
und kein Justizrat dreht was dran:
kaum haste Hunger, gibt es was zu futtern –
wie bei Muttern.

Ja, das möchtste…

Dass sie Dir auch noch ihren Ring
aus lauter Dankbarkeit vermacht,
nachdem Dein Arm sie sanft umfing,
und auch kein Zensor kippt das Ding:
kaum haste Hunger, gibt es was zu futtern –
wie bei Muttern.

Ja, das möchtste…

Dass Du zuletzt noch Hühnerklein
an ihrer Seite schmausen kannst,
kein Gatte kommt zur Tür herein
und kein Verleger schreit Dir drein:
kaum haste Hunger, gibt es was zu futtern –
wie bei Muttern.

Ja, das möchtste…

Doch merk Dir gut, ob Schmuck, ob Schmaus,
ob Kuss, ob Geld, eins kannst Du nur.
Du lebst. Und also suchst Du aus.
Nimm alles. Aber mach was draus.
Hast mal Hunger, nimm Dir was zu futtern –
wie bei Muttern.





In fünf Zeilen um die Welt. Limericks (CLXXX)

22 02 2014

Voll Unmut ist Wiktor in Ertil,
der statt eines Rechens ein Schwert will,
dazu einen Knappen
nebst Rüstung und Wappen.
Er nimmt sich den Besen und kehrt still.

Es ziert Ana sich in Natal.
Sie ist in der engeren Wahl,
doch geht im Bikini
vor Fremde sie eh nie.
Das ist bei der Miss-Wahl fatal.

Gennadi, der dachte in Kem:
„Wenn ich Eis und Torten auch schlemm,
so passen die Hosen,
die ganz trägerlosen
noch, wenn ich den Bauch fest einklemm.“

Es hatte Frau Bastrup in Hammel
im Stall manches Mal reichlich Bammel.
„Bevor ich auf Eier
und andres zusteuer,
ist’s gut, wenn ich sie ganz wegsammel.“

Wassili, der trank in Pyt-Jach
viel Wodka. Kurzum, er fiel flach.
Es spotten die Knechte:
„Der tat wohl das Rechte.“
Die Bäuerin nicht, sie meint: „Ach…“

Als Xhevat jüngst heim kam in Theth,
fragt er, wie’s in Fußballspiel steht.
Er kam so gelaufen
voll Stolpern und Schnaufen
und war fast drei Stunden zu spät.

Es plagte sich Boris in Tuapse:
bei ihm hakt nur eine Synapse,
doch nervt ihn der Nerven
beständiges Schärfen.
Er fühlt sich schon reif für die Klappse.





Gernulf Olzheimer kommentiert (CCXXX): Die Grenzen der Arbeit

21 02 2014
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Es gibt Berufe – Maschinenschlosser, Henker, Rübenzüchter – bei denen man sich nicht einfach Arbeit mit nach Hause nehmen kann, und es gibt solche – Rübenzüchter, Henker, Maschinenschlosser – bei denen das nicht wünschenswert wäre, für wen auch immer. Die Personalsachbearbeiterin im Zahnbürstenkonzern zieht sich ihren Job am Freitagabend aus wie einen Laborkittel, den man drei Nächte lang im Spind hängen lassen kann. Wer wollte ihr das verübeln? Höchstens der Aufsichtsratsvorsitzende, der sich einen Job nicht einmal anzieht, weil er für ihn austauschbar ist: heute Zahnbürsten, morgen Zigaretten, wer interessiert sich schon für mehr als Zahlen. Das aber ist nicht das Problem. Die Arbeit suppt ins Private, ihre Grenzen sind nicht mehr zu erkennen.

Sie haben es durch die elektronischen Fußfessel der permanenten Erreichbarkeit geschafft, die ortsunabhängigen Personen in einen virtuellen Käfig zu locken und den Schlüssel wegzuwerfen. Die Lohnsoldaten wohnen nicht mehr auf dem Fabrikhof, sie dürfen die Individualität ihrer Existenz voll ausschöpfen. Dass sie es bis an den Rand der immateriellen Prekarisierung zu spüren bekommen, ist kein Zufall, sondern Methode. Denn Sklaven haben keinen Anspruch auf zeitsouveräne Lebensmuster wie Feierabend, Wochenende oder Urlaub, sie sind ein beliebig einzusetzender Wegwerfartikel auf dem Markt der billigen Ressourcen.

In der Stellenanzeige wurde das noch als human orientiertes Ganzheitlichkeitsgeschwiemel verkauft, in der Praxis riecht die Sache schon anders. Alles, was man von der Persönlichkeit verlangt, die der Kandidat gern voll in die Arbeitsmaterie einbringen darf, ist seine Zeit, abgesehen von seinen Nerven. Es beginnt subtil mit einem Meeting an der Grenze zum Arbeitsende. Eine oder zwei Stunden, maximal, aber mehr Mehrarbeit wird nicht verlangt, und schließlich ist es nur die Rufbereitschaft, die dem durchschnittlichen Nichtschwimmer im Haifischbecken das Privatleben versaut. Immerhin ganzheitlich, das will man nicht abstreiten.

Die Dumpfschnösel im Flexibilisierungswahn, die gerade eben zu blöd sind, um den eigenen Burnout an der Haustür kratzen zu hören, plärren natürlich die dritte Stimme im Hohelied der neuen Verwertungswelt – die erste tönt von Aktionären, die zweite speichelt hervor aus dem erfüllenden Management – und loben den Abteilungsleiter, der beim Tête-à-tête, wahlweise auch nach dem vollzogenen Auffahrunfall im Rettungswagen die Quartalszahlen ins Mobilgerät erbricht, weil sonst eine Aufsichtsratte schlechter schliefe. Im Dienste der wirtschaftlichen Schlacht sind wir allzeit bereit, den Feind zu schlagen; dumm nur, wenn wir merken, dass der Feind wir selbst sind.

Die Arbeit wird generell zum Projekt erklärt, mit einer Ziellinie versehen, als unter vorgegebenen Umständen ablaufender Prozess definiert. Wer sich nicht einpasst und durch die unternehmenspolitisch vorgegebene Individualität aufstößt, wird vor die Tür gesetzt. Die Mittel, um dem Leistungsdruck zu widerstehen, darf jeder selbst aufbringen. Wer hätte das gedacht.

Die strukturelle Ausbeutung beginnt meist mit einer Kleinigkeit, die noch am Wochenende erledigt werden darf – an dem heimischen Werkbank, am Computer an der eigenen Steckdose, mit eigenem Bleistift auf eigenem Papier. Eine Umdrehung weiter sitzen die Daumenschrauben bereits so gut, dass auch komplizierte Fälle werktags bis zum folgenden Morgen gelöst werden. Der Kurzstreckendenker hat sich längst an Einzelarbeit ohne das soziale Gefüge im Büro gewöhnt, da wird er auch schon aus seinem erzwungenen Workflow herausgelabert: der Vorgesetzte ruft an und ätzt, ob seine Domestiken nicht schon längst fertig sind, weil sie sonst am kommenden Tag störende Augenringe tragen würden. Die Differenz zum Tyrannenmord schrumpft mit jedem Mal.

Am Ende der Entwicklung werden die Lautsprecher nicht mehr wissen, welche Chancen sich denn hinter den Risiken verbargen. Doch, wir können das Risiko der Selbstorganisation so gut wie privatisieren, aber auch das heißt wieder nur, dass der Unternehmer ausbeutet, während der Arbeiter die posttraumatische Belastungsstörung mit sich selbst privatisiert und freundlicherweise seine Kündigung deswegen nicht weiter hinterfragt. Die Bescheuerten haben sich nicht rechzeitig genug überlegt, wie man es anstellt, in diesem Umfeld nicht permanent auf die Fresse zu fallen, und auf wen sollten sie ihr Versäumnis schon abwälzen.

Wie angenehm, dass immer mehr Spitzenkräfte sich den Schädel perforieren, vom Dach hüpfen oder sonst wie unaufgefordert das Atmen einstellen. Sie reagieren vor den Anforderungen des marktkonformen Terrors nicht anders als die anderen Arbeitnehmer, die irgendwann unter dem Druck kollabieren. Schön, wenn man nicht alleine ist. Und gut, wenn wenigstens einer mit leuchtendem Beispiel voranschreitet.





Personalmangel

20 02 2014

„Keine Ahnung, wie wir das schaffen sollen. Ramsauer hat uns den ganzen Mist eingebrockt, weil er fest davon überzeugt war, dass es keinen dümmeren Knalldeppen außer ihm geben kann. Und dann kam Dobrindt.

Steuerrad, Sie haben gut Lachen. Nichts mit Steuerrad, wir steuern hier bald gar nichts mehr. Die neue Kraftfahrzeugsteuer muss erhoben werden und wir haben keine Leute dafür. Das müssen Sie sich mal vorstellen: der Bund schwatzt eine ganze Legislaturperiode lang intern davon, dass man endlich die Autofahrer wieder ausquetschen kann wie die Zitronen, darum geht’s doch, diese ganze Ausländermautgrütze, das können Sie sich doch sonst wo reinschieben, und was für tolle Einnahmen wir bald haben werden, und dann stellen sie zwischendurch fest, sie haben keine Beamten dafür. Großartig, sage ich da nur. Aber das fällt einem ja sowieso immer erst hinterher auf.

Oder das mit der Steuerprüfung, das können Sie ja auch total vergessen. Wir haben auf unserer Etage schon einen eigenen Schrank für die ganzen CDs, die liegen da sicher und stauben langsam ein. Dreißig Jahre sollen die angeblich haltbar sein, aber vorher wird die Sachen auch keiner lesen, und dann ist das eh verjährt. Weil Sie in diesem Staat keine Föderalismusreform hinkriegen, die gleichzeitig noch Reste von Föderalismus übriglässt und etwas reformiert. Geht einfach nicht, können Sie in die Tonne treten. Achteinhalb Milliarden Euro, und das muss für jedes einzelne Fahrzeug berechnet werden, Mahnwesen, Trallala, was glauben Sie, wie das funktionieren soll?

Eigentlich wollten wir ja die alten Bundeswehr-Offiziere einstellen, aber das hat nicht geklappt. Nein, nicht wegen von der Leyen, die hätten sowieso aufgehört. Aber wir hätten jeden einzeln weiterbilden müssen. Die sind ja total regrediert da. Schicken Sie mal einen Klempner nach Afghanistan zum Freiheitsretten, dem können Sie hinterher das kleine Einmaleins wieder vorbeten. Total bekloppt die Leute. Bis die das deutsche Steuerrecht kapiert haben, gehen die in Rente und wir in die Staatspleite, so sieht’s doch aus. Und am Ende haben die noch ein Problem mit dem Rechtsstaat, stellen Sie sich das mal vor: der Hoeneß zeigt sich selbst an, und statt ganz normal die Akten zu prüfen fallen die mit einem Geschwader ein, Drohnen und alles, und zur Vorsicht lässt der Oberst dann den ganzen FC aus der Luft beseitigen. Das geht doch nicht.

Gut, die Stromsteuer ist auch fast so hoch, aber die zahlen die Verbraucher ja fast von alleine. Da müssen wir auch nichts machen, das erledigen die Energiekonzerne für uns.

Wir haben die ja fast alle zur Bundesagentur für Arbeit schicken wollen, wegen Obrigkeitshörigkeit und so Sachen, die machen ja alles, was man ihnen sagt, ohne den Sinn zu hinterfragen. Die kürzen einem Säugling die Pension und verklagen ihn, weil er nicht drei Jobs gleichzeitig annimmt. Aber mal ehrlich, was nützt die Liebe in Gedanken – dass die das ganze Chaos nicht bei uns verbreiten, das ist ja schon mal ganz schön, aber davon kriegen wir die Arbeit auch nicht erledigt. Es ist sinnlos.

Gehen Sie mir ab mit Fachkräftemangel! Das hat diese Komikerkoalition schon aus dem Hut gezaubert, also sie haben es versucht, aber es ist stecken geblieben, war ja auch zu erwarten. Da hat dann der Zoll 270 Leute aus der Landesverwaltung zu uns versetzt, Sie können sich das ja vorstellen, wie das ablief, die haben sie so lange durch die Personalmangel gedreht, bis sie zugestimmt haben, und dann noch mal drei Dutzend größtenteils unqualifizierte Kräfte. Also die kamen von der Deutschen Bahn, das liegt ja nah, dass man sich da mit Autoverkehr auskennt. Alles so kompetente Leute, die hatten schon keine Verwendung mehr für die, verstehen Sie, die mussten einfach zum Staat. Da können sie ihre Qualifikation, nenne ich das jetzt mal, beibehalten, und ihre Arbeitsleistung auch gleich.

Wir haben das denen übrigens auch erklärt, also werbetechnisch. Befehl von oben. Das war so eine Informationsveranstaltung mit sanftem Druck, und dann gab es noch so komische Broschüren, die hat vermutlich noch die FDP in Auftrag gegeben, die miesen Werbeagenturen gehören ja meist zur FDP, und dann hatten wir 600 Interessenten für die Stellen. Nein, kein Grund zur Freude. Wirklich nicht. Die haben sich anders entschieden, weil sie dachten, wenn schon arbeitslos, dann doch lieber gleich richtig. Keine einzige Bewerbung.

Die von der Bundeswehr waren unsere einzige Hoffnung. Die sterben dann auch zuletzt. Sind alle wieder bei der Truppe.

So schlimm ist das anscheinend nicht. Fürs Bundesfinanzministerium, aber da kommen ja auch schon mal Sachen in der Schreibtischschublade weg. Also müssen wir uns Personal ausleihen. Kostet auch wieder mehr, und die geplanten Mehreinnahmen sind dann weg, und dann haben wir auch wieder nicht genug Personal für die Personalverwaltung, und dann kostet das auch wieder mehr, und dann brauchen wir für das Extrapersonal auch noch –

Sagen Sie mal, was ist eigentlich aus den Schleckerfrauen geworden?“





Kunst

19 02 2014

Die Wachmänner sprangen erschrocken zur Seite. Der Pförtner riss die Tür auf und seine Mütze vom Kopf. In der Mitte der Eingangshalle hockte auf einem Bänkchen wie ein Häuflein Elend die Direktorin. „Alles hin“, klagte sie, „wir müssen die Eröffnung verschieben. Sie haben die Attraktion total zerstört. Eine Katastrophe!“

Die Werkschau der zeitgenössischen Kunst der aktuellen Gegenwart hatte seit Wochen die Blätter gefüllt; die Anzeigenpreise zogen leicht an, dafür also war das Zeug schon mal gut gewesen. „Sie haben es einfach weggeschmissen“, jammerte Hildegunst von Rupfenplüt. „Dabei war das doch Kunst!“ Ich besah die Schmutzspuren auf dem nackten Terrakottaboden der Halle. „Das lässt sich insbesondere für Laien nicht immer so schnell auseinanderhalten.“ Es war die Putztruppe gewesen, die einen Haufen Buchenholz, in Wahrheit streng durchnummerierte Scheite, eine genau bemessene Menge Gartenerde und etliche Besenstiele, Tonscherben und Kieselsteine achtlos in einen Container verlastet hatte. Mit zitternden Fingen griff sie einen der Holzstiele aus dem Behälter. „Da“ stieß sie hervor, „das ist mehr als eine Vandalentat – das ist der pure Hass auf ein politisches Statement!“ Ich begriff nicht, worauf sie hinauswollte, schwieg aber sichtlich betroffen, um mich nicht zu blamieren. Sie nahm es bewegt zur Kenntnis.

„Aber wir müssen doch etwas machen!“ Der flehentliche Ruf hatte mich in die Wirklichkeit zurückgeholt. Der Hausmeister stand etwas abseits und kratzte sich verlegen am Kinn. Der Frevel war während seiner gewerkschaftlich organisierten Mittagspause geschehen, also war er nicht schuld; nichtsdestotrotz bangte er um seinen Arbeitsplatz. „Wir können ja nu allens wieder da hinkippen“, überlegte er. Die Direktorin rümpfte sichtlich die Nase. „Ich will das nicht gehört haben“, stichelte sie. „Am Ende lassen wir uns von denen noch beibringen, was Kunst ist.“ „Ah, Sie wissen das ja nu.“ Er schien sie nicht wirklich zu mögen, doch was sollte er tun. „Kunst ist“, begann sie, „also wenn das hier als Kunst, und wir gehen ja davon aus, dass das Kunst ist, dann…“ „Also die weiß das auch nich“, konstatierte er befriedigt. Dach hatte ich eine Idee.

Die ersten Gäste standen bereits in der Vorhalle. Eben gerade noch hatten wir uns rasch die Hände gewaschen, ein Glas Sekt hinuntergestürzt – dass die Stadtverwaltung nichts zu verschenken hatte, war uns vorher klar gewesen, aber dass es so schlimm stand, merkten wir erst jetzt – und warteten auf das Publikum. „Interessant“, näselte ein kleiner Dicker mit Hornbrille, „das muss dieser Dingsda sein aus Italien.“ Das Oval aus der Streusandkiste wirkte anziehend; immer mehr Gäste bewegten sich auf seiner Umlaufbahn. Sorgfältig wichen sie den Kieselsteinen am Rand aus, hier und da blickte einer interessiert auf die spitzwinklig abstehenden Besenstielfragmente in der Peripherie. Keine Frage, diese Installation hatte etwas. Was auch immer es sein mochte.

Eine Dame mit asymmetrischer Frisur und reichlich Schmuck übte sich in Höhenflügen. „Der Einfluss der Arte Povera ist ja eindeutig“, dozierte sie, „die Materialien wie Sand, Holz, Steine…“ „… Alufolie, Zeitungspapier, Kronkorken…“ Sie warf mir einen verbitterten Blick zu, doch ich ließ mich nicht beirren. „Ja, das irritiert Sie. Aber haben Sie je über das Konzept dieser Aussage nachgedacht? Oder sich gefragt, warum wir es für Kunst halten?“ Ein erschrockenes Murmeln zog durch den Raum. „Ich finde ja, dass wir diese desintegrative Haltung der Kronkorken nicht auf die gegenwartspolitische Perspektive reduzieren dürfen.“ Der Dicke mit der Brille blickte missbilligend. Ich nahm ihm das übel. „Dabei haben wir gerade hier die Metametapher des Der-Zeit-vorweg-Seins in der Eigendinglichkeit des Geworfenen, wie Sie doch wohl sehen.“ Sein Banausentum kränkte mich tief. Wie gut, dass er es noch rechtzeitig gemerkt hatte.

Leider musste in diesem Moment Hildegunst sich aus der Deckung hervorwagen. „Das macht es doch zur Kunst, dass es einer Interpretation bedarf.“ Sie hob sich triumphierend über ein Häufchen Abfall. Der Hausmeister zuckte gelangweilt die Achseln. „Kunst“, sagte ich leicht indigniert, „zeichnet sich dadurch aus, dass sie der Interpretation auch standhält.“ Ein paar Besucher murmelten beifällig. Sie schaute sich hilflos um. „Ich würde das so als Antikunst nennen“, ließ sich der Hausmeister vernehmen. „Aber Nichtkunst is auch okay, wenn man mich fragt.“

Es wurden noch einige Fotos geschossen, teilweise von den beiden Klappstühlen unter den Wolldecken, manche mit dem Hausmeister, den jemand fälschlich als den Künstler ausgemacht haben wollte. Vielleicht lag es auch am Sekt. Ich suchte meinen Mantel. Die Direktorin war müde und verwirrt. „War das denn jetzt richtig so?“ „Machen Sie sich keine Sorgen“, tröstete ich sie. „Keiner hat etwas verstanden, und in den Zeitungen wird viel Quatsch stehen, weil niemand zugeben wird, es nicht verstanden zu haben.“ Hildegunst starrte versunken in den Raum. „Was ist denn nun Kunst überhaupt?“ Ich griff nach der Tür. „Kunst“, sagte ich, „ist das, was nicht mehr in einen Kleinwagen passt.“