
Gernulf Olzheimer
Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.
Seit Generationen waren sie am östlichen Seeufer barfuß über die Geröllhalde gelaufen, schon deshalb, weil Schuhe erst ein paar Jahrtausende später erfunden wurden. Sie hatten sich die Knie eingehauen, waren aufgestanden, vor den Büffeln davongelaufen, waren in den See gesprungen, haben Fische mit der bloßen Hand gefangen, in die Höhle geschleppt, mit Feuersteinmessern aufgeschlitzt und gebraten, und wenn das mit den Wollnashörner nicht gut ausging, kamen von den zehn nur neun zurück. Sie hatten nicht einmal ein Dosentelefon oder einen Zettel, auf dem stand, dass sie regelmäßig trinken sollten da draußen in der Wildnis. Und sie haben es ihren Kindern und Kindeskindern erspart, wie auch die ihren Blagen. Nur wir denken, wir müssten unsere Sprösslinge in den Wattepanzer stopfen. Gewaltfrei natürlich.
Die Hysterie, mit der die Beknackten heute an den dräuenden Untergang für jedes Kind denken, wie er bereits in Gestalt eines Puschelhäschens lauern könnte, diese Wahnvorstellung wird mit einer Intensität durch sämtliche Schichten dieser unserer Gesellschaft dekliniert, mit der normale Menschen Konzerne gründen. Wir schleifen die Rotznasen im zartesten Alter zum Turnen, in die Chinesisch- oder Geigenstunde und laden sie zu arrangierten Zeiten bei ausgewählten Spielgefährten ab, um vom Start an die besten Sozialkontakte zu unterhalten. Wir drücken ihnen ungefragt die Wasserflasche ins Gesicht, schwiemeln ihnen zuckerfreien, fettarmen und geschmacksneutralen Pomps in den Stoffwechsel und stopfen sie in mundgehäkelte, genderneutrale Säcke mit Knopf und Faden, bis sie mit tödlicher Sicherheit psychotische Vollklopse sind, Abbilder ihrer geistig erodierten Erzeuger.
Denn die wollten ja einfach nur das Beste für ihre Stöpsel, und das ist das Problem. Die Kohorte der heutigen Fortpflanzer ist mehr denn je gegen die Wand gelaufen, schlimmer als alle zuvor. Was als Individualisierung innerhalb der vergangenen Jahrzehnte herhalten musste, weckt heute nur noch ein müdes Lächeln. Punk? in diesem Jahrtausend tragen sie Vollbart, die Nonkonformistenuniform des Spätkapitalismus, dazu Brillen, die aus jeder Durchschnittsphysiognomie einen Knalldeppen zaubern. Das bisschen Einzigartigkeit, wenn sie morgens Kevin auf die Sojaplörre pinseln, kann man sich auch schenken. Sie gehen alle unter; vielleicht ist das nicht einmal schlecht, weil von der Evolution so vorgesehen, aber es löst diese dumpfe Urangst vor der Vernichtung aus. Die Einschläge kommen näher. Sie haben sich mit letzter Kraft reproduziert. Und das soll jetzt alles gewesen sein?
Vor dem Hintergrund der eigenen Nichtigkeit plustern sie ihre genetische Hinterlassenschaft auf und projizieren ihre Besessenheit auf das wehrlose Wesen. Die obsessive Jagd nach Unverletzlichkeit, nach der perfekten und makellosen Imago treibt ihre Sumpfblüten. Wie eine Puppe inszeniert der teilzeitintelligente Teil der Erlebnisgesellschaft seinen Abkömmling, steril und unantastbar, schon ab Empfängnis reizstoffarm gepuffert und ab der Geburt quasi im Schutzhelm geparkt, vegan und laktosefrei mit Mozart zugekleistert, damit nichts das gepamperte Glück der Leibesfrucht stören möge. Und das alles nur, weil eine Rotte völlig verseifter Dummklumpen aus der bröselnden Mittelschicht den Gong zur letzten Runde nicht gehört hat.
Kriegt der Neubürger dadurch die Klimakatastrophe in den Griff, dass er erst mit zehn unter Aufsicht ein Fahrrad mit Stützrollen fahren darf? Erledigen wir die NSA und den Hunger in der Welt, den Nahostkonflikt und die Vogelgrippe, indem wir männlichen Flugpassagieren verbieten, neben fremden, wahlweise auch neben ihren eigenen Kindern zu sitzen? Wird die Finanzkrise, wird die Arbeitslosigkeit, werden Rassismus und soziale Ungerechtigkeit dadurch entschärft, dass nach einer narkosefreien Hirnverödung Eltern ihre Schutzbefohlenen in Klarsichtfolie einschweißen, um sie vor dem Kontakt mit gleichaltrigen Kita-Kommilitonen zu schützen? Der Windmühlen sind viele, aber der Kampf hat ja auch erst begonnen.
Die Ängstlichen. Sie haben derartige Furcht vor dem Abnippeln, dass sie sie auf ihre Erben werfen, und die reflektieren sie in ihrer Schwäche strikt zurück. Lauert irgendwo der Untergang? dann ist es besser, sie balsamieren ihre Kurzen nicht erst post mortem ein, sie erledigen sie jetzt schon und nehmen sie dem Leben, statt ihnen das Leben nehmen zu müssen.
Was fehlt, sind Bungeekurse auf Krankenschein. Für manche mag es der bessere Weg sein, sich ordentlich die Gräten auszurenken, als das für Jahrzehnte an einem wehrlosen Wesen zu unternehmen. Und die Kampfhubschraubereltern gehen ja nicht nur ihren Kindern auf die Plomben. Wahrlich nicht.
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