
Gernulf Olzheimer
Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.
Es gibt Berufe – Maschinenschlosser, Henker, Rübenzüchter – bei denen man sich nicht einfach Arbeit mit nach Hause nehmen kann, und es gibt solche – Rübenzüchter, Henker, Maschinenschlosser – bei denen das nicht wünschenswert wäre, für wen auch immer. Die Personalsachbearbeiterin im Zahnbürstenkonzern zieht sich ihren Job am Freitagabend aus wie einen Laborkittel, den man drei Nächte lang im Spind hängen lassen kann. Wer wollte ihr das verübeln? Höchstens der Aufsichtsratsvorsitzende, der sich einen Job nicht einmal anzieht, weil er für ihn austauschbar ist: heute Zahnbürsten, morgen Zigaretten, wer interessiert sich schon für mehr als Zahlen. Das aber ist nicht das Problem. Die Arbeit suppt ins Private, ihre Grenzen sind nicht mehr zu erkennen.
Sie haben es durch die elektronischen Fußfessel der permanenten Erreichbarkeit geschafft, die ortsunabhängigen Personen in einen virtuellen Käfig zu locken und den Schlüssel wegzuwerfen. Die Lohnsoldaten wohnen nicht mehr auf dem Fabrikhof, sie dürfen die Individualität ihrer Existenz voll ausschöpfen. Dass sie es bis an den Rand der immateriellen Prekarisierung zu spüren bekommen, ist kein Zufall, sondern Methode. Denn Sklaven haben keinen Anspruch auf zeitsouveräne Lebensmuster wie Feierabend, Wochenende oder Urlaub, sie sind ein beliebig einzusetzender Wegwerfartikel auf dem Markt der billigen Ressourcen.
In der Stellenanzeige wurde das noch als human orientiertes Ganzheitlichkeitsgeschwiemel verkauft, in der Praxis riecht die Sache schon anders. Alles, was man von der Persönlichkeit verlangt, die der Kandidat gern voll in die Arbeitsmaterie einbringen darf, ist seine Zeit, abgesehen von seinen Nerven. Es beginnt subtil mit einem Meeting an der Grenze zum Arbeitsende. Eine oder zwei Stunden, maximal, aber mehr Mehrarbeit wird nicht verlangt, und schließlich ist es nur die Rufbereitschaft, die dem durchschnittlichen Nichtschwimmer im Haifischbecken das Privatleben versaut. Immerhin ganzheitlich, das will man nicht abstreiten.
Die Dumpfschnösel im Flexibilisierungswahn, die gerade eben zu blöd sind, um den eigenen Burnout an der Haustür kratzen zu hören, plärren natürlich die dritte Stimme im Hohelied der neuen Verwertungswelt – die erste tönt von Aktionären, die zweite speichelt hervor aus dem erfüllenden Management – und loben den Abteilungsleiter, der beim Tête-à-tête, wahlweise auch nach dem vollzogenen Auffahrunfall im Rettungswagen die Quartalszahlen ins Mobilgerät erbricht, weil sonst eine Aufsichtsratte schlechter schliefe. Im Dienste der wirtschaftlichen Schlacht sind wir allzeit bereit, den Feind zu schlagen; dumm nur, wenn wir merken, dass der Feind wir selbst sind.
Die Arbeit wird generell zum Projekt erklärt, mit einer Ziellinie versehen, als unter vorgegebenen Umständen ablaufender Prozess definiert. Wer sich nicht einpasst und durch die unternehmenspolitisch vorgegebene Individualität aufstößt, wird vor die Tür gesetzt. Die Mittel, um dem Leistungsdruck zu widerstehen, darf jeder selbst aufbringen. Wer hätte das gedacht.
Die strukturelle Ausbeutung beginnt meist mit einer Kleinigkeit, die noch am Wochenende erledigt werden darf – an dem heimischen Werkbank, am Computer an der eigenen Steckdose, mit eigenem Bleistift auf eigenem Papier. Eine Umdrehung weiter sitzen die Daumenschrauben bereits so gut, dass auch komplizierte Fälle werktags bis zum folgenden Morgen gelöst werden. Der Kurzstreckendenker hat sich längst an Einzelarbeit ohne das soziale Gefüge im Büro gewöhnt, da wird er auch schon aus seinem erzwungenen Workflow herausgelabert: der Vorgesetzte ruft an und ätzt, ob seine Domestiken nicht schon längst fertig sind, weil sie sonst am kommenden Tag störende Augenringe tragen würden. Die Differenz zum Tyrannenmord schrumpft mit jedem Mal.
Am Ende der Entwicklung werden die Lautsprecher nicht mehr wissen, welche Chancen sich denn hinter den Risiken verbargen. Doch, wir können das Risiko der Selbstorganisation so gut wie privatisieren, aber auch das heißt wieder nur, dass der Unternehmer ausbeutet, während der Arbeiter die posttraumatische Belastungsstörung mit sich selbst privatisiert und freundlicherweise seine Kündigung deswegen nicht weiter hinterfragt. Die Bescheuerten haben sich nicht rechzeitig genug überlegt, wie man es anstellt, in diesem Umfeld nicht permanent auf die Fresse zu fallen, und auf wen sollten sie ihr Versäumnis schon abwälzen.
Wie angenehm, dass immer mehr Spitzenkräfte sich den Schädel perforieren, vom Dach hüpfen oder sonst wie unaufgefordert das Atmen einstellen. Sie reagieren vor den Anforderungen des marktkonformen Terrors nicht anders als die anderen Arbeitnehmer, die irgendwann unter dem Druck kollabieren. Schön, wenn man nicht alleine ist. Und gut, wenn wenigstens einer mit leuchtendem Beispiel voranschreitet.
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