
Gernulf Olzheimer
Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.
Das Dasein in der Steppe ließ nicht viele Möglichkeiten übrig. Die arbeitsteilige Gesellschaft kündigte sich an – die einen feilten die Speere, die anderen jagten das Mammut, der Rest vergrub, was von den Jägern übrigblieb – und damit die Tendenz, im Rahmen seiner Möglichkeiten tätig zu werden, durchaus beschränkt, aber dank der Spezialisierung auch mit dem guten Gefühl, absolut notwendig zu sein. Mit eiserner Disziplin hält sich der Hominide am Stützkorsett der keimenden Zivilisation fest, immer dessen eingedenk, dass er zu funktionieren hat. Schon wird er verantwortlich für den Abtransport der Knochen, seine Personalauswahl lenkt die wirtschaftlichen Geschicke der Höhlen westlich des Fischteichs, und nach der großen Fusion der Gewerkschaft Feuerstein Erde Bims mit dem Gesamtjagdverband sieht er sich als kritisches Korrektiv der Nachhaltigkeit: wenn die Horde weiter so an der Evolution teilnimmt, wer wird dann in wenigen Millionen Jahren noch satt von den Beutelratten diesseits der Schlucht? Das Dasein in der Steppe lässt ja, wie bereits angemerkt, nicht viele Möglichkeiten übrig. Eine davon, und nicht die unbekannteste, ist das Pflichtbewusstsein.
Die Pflicht, sagen die grimmigen Gebrüder, lehre das Fortführen von etwas, das einmal begonnen wurde, bis es vollendet sei. Wozu, das lassen sie offen. Vielleicht ist es die Vorstufe zum Schwefelbad, in dem wir alle irgendwann landen, nachdem wir diesen Durchgang nicht wirklich gerafft haben, vielleicht ist es einfach nur der Beweis, dass das Leben für die unbehaarten Zweibeiner intellektuell zu komplex ist. Wir versuchen es, aber die Ergebnisse sind traditionell gründlich verschwiemelt, und die meisten Exemplare brauchen nicht einmal Rückgrat, um ihren Auftritt steifleinern abzureißen. Eine gründliche Dressur reicht aus, wahlweise auch der obligate Stock im Arsch.
Das Pflichtbewusstsein, jene zu Menschen-, Massen- und Selbsttötung geeignete Waffe, hat sich mit schuppigen Extremitäten ganz ins Zentrum unserer unkritischen Vernunft gearbeitet. Mit etwas Sorgfalt und der nötigen Triebkraft bauen Völker Blumengärten und Folterlager, Sauerkrautfabriken, Schützengräben und Kanonengießereien, auf dass es uns wohl gehe und wir lange lebten auf Erden. Aus den Sonntagspredigten der Kapläne und Kanzletten nehmen wir die Moralsäure entgegen, montags wieder die Segnungen der Tatkraft zu preisen. Einer muss es ja tun, lautet das Mantra, und tut es der Beknackte, so bekommt er wenigstens noch ein paar bunte Scheinchen dafür, die den Marionetten in der Junta die Wiederwahl sichern.
Welch bewundernswertes Geschick legt der Bürger an den Tag, da er vergisst, dass er auch Mensch ist. Als Bürger leistet er sich Präsidenten und andere Laiendarsteller, die von Freiheit lallen, mit heruntergelassener Hose auf den Grundfesten der Gesellschaft thronen und ansonsten den selbstbestimmten Menschen solange loben, wie sie ihn nirgends zu Gesicht bekommen. Nirgends ist er frei, der Funktionierer, nicht einmal in der Mitte des Lebens und nicht einmal da, wo er seinen antifatalistischen Schutzwall aufmauern kann.
Es sickert so nachhaltig ins Leben ein, dass sich die meisten Grützbirnen nicht einmal dagegen wehren, wenn sie den Teufel vor der Tür sehen. Sie joggen aus Pflichtbewusstsein, spielen Klavier aus Pflichtbewusstsein, gehen aus Pflichtbewusstsein spazieren und pflegen ihren Garten, waschen das Kraftfahrzeug und vermehren sich aus lauter Pflichtbewusstsein. (Vermutlich werden sie es ihrem Nachwuchs irgendwann beibringen, dass er nicht ungewollt war, da er ja aus Pflichtbewusstsein in die Welt gesetzt worden wurde.) Der gemeine Bürger verwechselt sein Lebensideal mit dem eingeimpften Vorsatz, möglichst als erster über die Ziellinie zu torkeln, sterbend, aber als erster. Denn er hat längst vergessen, dass man auch aus intrinsischer Motivation Blumen züchten und Marathon laufen kann, dass es keine Karmapunkte gibt für eine Topplatzierung im Kollegenmobbing, dass diese Existenz sich nicht schneller drehen lässt, und wenn ja, dann mit den bekannten medizinischen Effekten. Der verbohrte Wunsch nach effizienter Verrichtung fräst wie ein beklopptes Ungeziefer Luftlöcher ins Hirn, die klinisch Matsch in der Birne machen oder es mit Hilfe rezeptpflichtiger Substanzen bewerkstelligen. Wer das noch für Leben hält, kann sich nur damit trösten, dass er den Schlussgong noch nicht zur Kenntnis genommen hat.
Was aber ist der Mensch, und wenn ja, warum eigentlich nicht? Er ist frei geboren und deshalb schuldig, gründlich gesetzlos, muss seine Wäsche waschen und die Stromrechnung bezahlen, er muss letztlich nur wollen, und darin liegt das Problem: zu wollen, was er muss, und sei es freiwillig. Alles das passiert, während wir nicht einmal wissen, wer sich diesen ganzen Quark eigentlich ausgedacht hat, ob er notwendig ist und was wäre, wenn es nicht so wäre. Tun wir so, als wäre dies kein Verrat an einer Idee, sondern an uns selbst, und widerstehen wir, vielleicht nur einmal. Lassen wir die Pflicht rufen. Der Anschluss ist vorübergehen nicht besetzt. Hier wird gerade gelebt.
Satzspiegel