
Gernulf Olzheimer
Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.
Was hatte es der naturbelassene Hominide doch leicht. Bei einfachen Sprunggelenksbeschwerden legte er durchgekaute Kräuter auf die Haut – mit der anwachsenden Hirnmasse wurde ihm langsam klarer, dass bereits das Kauen half, Schmerz und Schwellung von innen zu bekämpfen. Mit der Zeit lernte er Wirkstoffe und Anwendungen, Dosierung und Kontraindikationen zu beherrschen, bekam ein Gefühl für Wechselwirkungen und Toleranzen, und es erschloss sich ihm eine vollkommen neue Welt, in der er jeglicher Krankheit Herr wurde. Leider überlebte so auch jeder Klötenkasper, den sonst die Evolution aus dem Genpool genascht hätte. Und dieses geistige Gewölle fing an zu studieren, möllerte sich die Birne an der Wand ein und erfand feinstoffliche Aromatherapie, orthomolekulare Psychiatrie und Heilquanten, kurz: die Pseudomedizin der vielen Heilmittelchen.
Alles wäre halbwegs gut gewesen, hätte sich der postdiluviale Bildungsbürger weiter an pflanzliche Substanzen gehalten und seine Wehwehchen damit kuriert. Allein die Aufklärung lockte filigrane Symptome der Beklopptheit aus der Tiefe der Seelen, Hexenwahn und Kapitalismus – der Verwandtschaftsgrad ist noch nicht raus, aber sie sind Angehörige derselben Sippe – und führte den Wahnsinn methodisch fort.
Eine ganze Industrie mit Tentakeln bis in die Werbewirtschaft lebt inzwischen von der Blödheit der Prä- bis Postgeronten, die nach der Lektüre der Apothekenfachperiodika jedes noch so beknackte Zeugs hinters Zäpfchen zwängen. Sie verkaufen den Heilungssuchenden Fischöl und Pollenpillen, Schlangenöl und Wässerchen jenseits von Gut und Böse. Geschickte Pharmazeuten drücken dem zahlenden Opfer gar Kürbis gegen nächtliche Pinkelattacken und Lavendeldrops für zügigen Schlaf in die Hand, wohl wissend, wäre Letzteres wirksam, könnte man sich Ersteres sparen. Die Koksgnome im weißen Kittel schachern fröhlich mit den Abfallprodukten der Forschung, anders ist ihr Umgang mit derlei Placebo und Zückerchen nicht zu deuten. Früher fuhren sie mit Planwagen über Land und priesen Brackwasser als Allheil-Tonikum gegen eingewachsene Fußnägel, Herz- und ähnliche Infarkte, schlechte Börsennachrichten und chronischen Hirnzellenauswurf. Heute schieben die Drecksäcke Schubladen auf und zu, um im Sekundenschlaf der Vernunft einer hilflosen Schar grundverdeppter Allesglauber Zink anzudrehen, das Nonplusultra der alternativen Medizin.
Weil Zink, sagt zumindest die Pseudomedizin, gegen eigentlich alles hilft, Allergie und Asthma, schwiemelnden Schweißfuß und Morbus Aua. So verkauft der durchschnittliche Pillendreher pro Tag den Gegenwert eines Kleinwagens an Zinkpastillen, obwohl er sein Examen nicht bestanden hätte, würde er den Schmadder, den er den Kunden hier auftischt, einem Pharmakologen ins Gesicht sagen. Vermutlich werden sie irgendwann die grassierende Zinkallergie der Bevölkerung entdecken und mit homöopathischen Nanozinkpartikeln kontern, damit sie wieder Salben, Tinkturen und Gelkapseln unters jammernde Volk jubeln können.
Man kann es den approbierten Mehlmützen nicht einmal anrechnen, dass sie größtenteils Unfug in Tüten ausgeben, der ungefähr so wirksam ist wie der Versuch, seinen Harndrang zur Schlafenszeit in eine Klangschale unterm Bett zu lenken. Da sie den offensichtlich kernhysterischen Patienten mehr oder weniger wirkungs- bis sinnlosen Schrott an die Backe packen, Pflästerchen und Sprühschaum, Creme und Murks-in-Wasser-Emulsionen, geleiten sie die Zweifelnden von einem Beschiss zum nächsten, währenddessen sich wenigstens die subjektive Befindlichkeit, größtenteils jedoch auch der objektive Status verschlechtert. Nach dem zwölften Zink-Magnesium-Kombipräparat mit Apfel-Qualle-Geschmack fegt der Apotheker dann die röchelnden Reste des reflexzonenresistenten Moribundus aus dem Laden und karrt ihn in die Notaufnahme. Vielleicht haben die ja einen besseren Blasentee.
Unterdessen schlägt die Fraktion professionell arbeitender Hypochonder gnadenlos zurück und zeigt den Pharmakolügnern, was eine Harke ist. Auf ihr Geheiß ballern sich Drogeriemärkte und Discounter die Regale voll mit Abführdragées und Pinkelpastillen für Untenrum, für die Omme gibt’s Gingkoglobuli, und wenn Kollege Alzheimer nach Retardkapseln quengelt, ist wohl auch etwas da. Warum in die Ferne schweifen? Wo der normale Konsument sich ohne Leidensdrückerkolonnen den Stoff holt, ist noch genug Platz für andere. Sollte dem Apotheker angesichts des Ansehens- und Einkommensverlustes der Kamm schwellen, empfiehlt sich frischer Ingwer, gerieben und mit Öl vermengt, wahlweise zur innerlichen Anwendung oder großflächig auf dem Kopf verschmiert. Und ansonsten hat er bestimmt noch ein Schächtelchen Zink im Haus.
Satzspiegel