Gernulf Olzheimer kommentiert (CCXLIII): Ordnung

6 06 2014
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Kurz nach dem Urknall – wie kurz es war, lässt sich nicht mehr sagen, immerhin war noch kein Hominide daran beteiligt, der die Sache hätte verkomplizieren können – rauschte die Materie aus dem Quantenschaum an allem vorbei und blubberte querfeldein. Noch war der rechte Winkel nicht erfunden, folglich buddelten die ersten Nützlinge, possierlich beschweift und bepuschelt, hier und da und dort Löcher in die Erdkruste, als gäbe es keine Bauvorschriften, und nein, es gab sie ja tatsächlich noch nicht, mit dem Ergebnis, dass an allen Ecken und Enden Bedecktsamer sprossen, mächtiges Gehölz, hübsch anzuschauen und erdgeschichtlich ungemein praktisch. Jede Kreatur konnte noch das Ding an sich wahrnehmen und ihr Für-sich-Sein als solches. Das ging irgendwann verloren mit der Ordnung.

Auch wenn es nicht so scheint, die Ordnung ist ein Produkt des menschlichen Geistes; zumindest gibt sie sich als solches aus. Kein Tier sortiert näherungsweise gleich große Körnchen zu durchschnittsmassenähnlichen Häufchen, es sei denn, es hat sich ein Wurm in sein Hirn geschwiemelt, der zu allerhand Schabernack führt. Der Beknackte lebt in der Ordnung einen Sparren aus, der wie eine harmlose Ersatzhandlung aussieht, in Wirklichkeit aber zu weitaus brutaleren Folgen führen kann. Denn alle Systematik, wie sie Namen und Adressen, Schuhgröße und Grad der Blödheit in auf- und absteigende Greifbarkeit zwängt, sie dient nur dazu, den anderen Zufallsgeburten auf diesem Planeten die Existenz noch ein Stückchen unerträglicher zu machen.

Jede Kategorisierung, und sei sie auf den ersten Blick noch so leicht logisch nachvollziehbar, ist wieder nur eine Spiegelung ebendieser Kategorien, denn sie ist nur dazu da, die Unordentlichen in die Schranken zu weisen. Findet zufällig einmal der Ordnungsfanatiker nichts in seiner eigenen Ablage wieder, während die Schlampe lässig die Hand in den Haufen steckt und das Objekt ans Licht hebt, so waren es bloß Korrelationen, die zur Katastrophe führten. Überhaupt gehört die Spezies der komplett unmethodisch vegetierenden Sachensucher zu einer gefährlichen Mutation, die der penible Schematist nur als Provokation begreift. Wenn überhaupt.

Gefährlich für Fetischisten höherer Ordnung ist der praktizierende Vertreter des Chaos, der sich aus Faulheit ein funktionierendes Gedächtnis zugelegt hat und nun die anderen Kästchenschieber zum intellektuellen Hinterwandinfarkt treibt. Weitaus gefährlicher, weil endgültig inkompatibel mit dem eigenen Weltbild, sind jedoch die Fanatiker einer anderen, möglicherweise nur leicht anderen Ordnung, die jedoch durch die ebenmerkliche Verschiebung der Kategorien ins nicht mehr Greifbare den bisher felsenfest Überzeugten zum unkontrollierten Speichelfluss bringen mit zwei der Todsünden, die nirgends nie nicht sein dürfen: Überschneidungen und Lücken.

Denn es geht nicht um die Art der Materie, die in die kleinen Schubfächer geschaufelt sein will – will sie nicht, so ist es keine Ordnung – sondern auf die stringente Anordnung der Pappzettelchen, die die Schubladen zieren. Ist ein Kleiner Panda als Katzenbär eine Hundeart, so verbeißt sich der Taxonom brüllend in die Tischkante. Ob und wie das Tier selbst mit der Verortung in einem höchst überflüssigen Register zurechtkommt, interessiert ihn schon weniger. Keiner wird dies weiße Rauschen zum Anlass nehmen, die Welt zu ändern, da er korrekterweise ganze Arten ausrotten müsste, um seinen Standpunkt klarzumachen.

Doch nicht alles läuft auf derart komplexe Form hinaus, die meisten Anwendungsbereiche der Ordnung sind weniger spektakulär, wenngleich nicht unbedingt ungefährlicher. Die Aufbewahrung der Kuchengabeln – phänotypisch als Dreizinker ein Stichinstrument wie der große Verwandte, der Pragmatik geschuldet zum Dessertbesteck gelegt und damit störendes Beiwerk, die Kaffeelöffel in der Lade betreffend – hat schon Beziehungen vor dem Schwurgericht enden lassen, und wo sich in derlei Mehrpersonenarrangements ein Teilnehmer spontan wie ein Fahrplan anschickt, den Diskurs der Ordnung an die Ordnung seines Diskurses anzugleichen, da droht als bald Ungemach. Situativ ist eine Entropieverhinderung nur da erfolgreich, wo sie eine Überschneidung mehrerer Prinzipien zulässt: die Welt muss alles sein, was gleichzeitig der Fall ist, und schon linst wieder die Unschärfe der Materie durch. Inselgleich kann sich das eigene Relationsgefälle verfestigen, aber nur da, wo kein anderer auf die Sache zugreift und sich Ordnung, so sie überhaupt existierte, sofort ad absurdum führen würde, beispielsweise in der nach Kraut und Rüben zusammengeschmissenen Menge, in die keiner freiwillig hineingriffe, wenn er es denn überhaupt dürfte. Das Wirrwarr als befruchtendes Element ist offensichtlich die Mutter aller kreativen Prozesse, da es bei der Suche die erfolgreichsten Nebenwege zulässt und fordert. Womit die Philosophie bei der Damenhandtasche angekommen wäre. Und dann wird auch begreiflich, wie der Urknall überhaupt passieren konnte.