Gernulf Olzheimer kommentiert (CCXLIV): Fußball-Weltmeisterschaft

13 06 2014
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Vermutlich fing es an, als die Hominiden sich nicht mehr wahllos und durcheinander aufs Maul kloppten, sondern Clans bildeten, lagebedingte Höhlengemeinschaften, in denen die Bewohner diesseits des Rinnsals die Bewohner jenseits für zu kurz gekommene Deppen hielten und mit unreifen Früchten bewarfen, was andersherum ebenso gut funktionierte. Eine Generation später nahm man Steine, dann Stöcke, schließlich zivilisierte sich die Auseinandersetzung in einem ritualisierten Spiel, bei dem Auserwählte – versicherungstechnisch wäre man heutzutage bereit, sie als Opfer zu klassifizieren – gegeneinander antraten. Alles lief, keiner hatte ein Problem damit, bis irgendein Torfschädel anfing, Statistiken über die Kämpfe anzulegen. Endgültig in die Grütze geriet alles mit dem Brauch, sich kunterbunte Abzeichen aufs Wams zu popeln. Bis zur Fußball-Weltmeisterschaft eigentlich nur ein kleiner Schritt.

Hauptsache, die Menschheit blieb auf der Strecke. Alle vier Jahre, alternierend zu Europa- und sonstigen Cups, röhrt das kollektive Überbestusste aus dem Hirnzellenkeller der Schnackbratzen. Sie topfen sich Sondermüll auf den Schädel, farbige Zylinder aus Plüsch mit Klatschapparatur, damit beim Betrachten der Kalotte der Notfallneurologe sofort weiß: niemand zu Hause. Sie setzen sich Sonnenklobrillen auf, behängen sich mit Plastegirlanden, als wollten sie Primaten Nachhilfe geben, wie man eine komplette Spezies bis zum nächsten Urknall blamiert, und sie singen. Nein, sie rülpsen sich einen Choral aus Alkoholresten und abgestorbenem Neocortex aus der Austrittsöffnung, die sonst für den Nachschub an vergrillten Schweinskadavern und Alkaloiden zuständig ist. Bisweilen nennen sie es Fankultur, aber was hat der gut eingeübte Nachweis totaler Unzurechnungsfähigkeit mit Kultur zu tun?

Weil der Fußball heute nur noch marginal mit einer seiner Begleiterscheinungen zu tun hat. Mit Fußball. Es geht einer Rotte Furunkelträger im warzigen Beerdigungszwirn nur noch um die fette schwarze Zahl, nebst der Tatsache, dass man die Gewinne an der öffentlichen Ordnung vorbeischleifen kann. Ein paar Dümmlinge mit larmoyanten Frisuren und albernem Schuhwerk posieren auf dem Rollrasen und lassen sich quotenkompatibel die Innenbänder eindellen, damit die Bundesträne fürs Ausscheiden im Achtelfinale die passende Ausrede im Köcher findet. Dazu jodelt eine Fettklopsbude im Kontrapunkt mit einer Industrieabfertigungsfirma für bieroides Geplörr, alle zwanzig Sekunden schwiemelt sich irgendein brechreizblöder Logo-Versuch über den Bildschirm, bis der letzte Dödel vor der Glotze kapiert hat: friss Popcorn, dann erträgt man auch dieses bekloppte Gekicke im Hintergrund ohne Magenbluten.

Denn Fußball, und das hören die alzheimernden Schorffressen aus den Verbandsvorständen am wenigsten gern, Fußball war nie eine Angelegenheit der bürgerlichen Massen, ganz zu schweigen von der agogisierenden Wunschwirkung auf das Proletariat. Er ist ein Gewächs der britischen Oberschicht, die ihn an die germanischen Offiziere und ihre Burschen- und Mannschaften weiterreichte, Alemannia und Borussia, die sich vor dem großen Schlachten als Geschwadermeister und Rekruten gegen Hereros und Hottentotten warmliefen, nationalbekiffte Dumpfschädel, denen jeder schwarzweißrote Lappen als Heiligtum erschien. Erst dem Personalmangel in der Armee ist es zu verdanken, dass auch Arbeiterjungen sich an der Kickkugel versuchen durften, und selbst die wurden entsprechend eingenordet, um im Sinne der elitären Vernichtungsmaschinerie aufzulaufen.

So nimmt es auch kaum Wunder, dass sich das abgesunkene Sozialdeformat gängeln lässt unter der Knute des explodierenden Imperialkonsumismus. Wie die Proletenjournaille reicher Nationen Arme aufhetzt gegen Ärmere noch ärmerer Länder, so lässt sich der Bolzplatzjunkie in steigerungsfähige Aggregatzustände von Beknacktheit manövrieren, und das alles nur mit einer Zielsetzung: korrupte Bürokraten bekommen von korrupten Konzernen jede Menge Bares in die Schleimhaut gerieben, damit die organisierte Kriminalität unter dem Deckmäntelchen eines Sportspektakels die Geldwaschmaschine anschmeißen kann. Ein paar dösige Medienmarionetten halten das sicher für maßlos übertrieben – man hat ihnen inzwischen bestimmt schon die Grablege der Kritiker vom letzten Jahr gezeigt – und werden auf höheren Befehl mehrmals täglich aufgezogen, um ihre affirmativen Hintergrundgeräusche loszuwerden.

Sollte im arabischen Wüstensand der Sturm samt Mittelfeld in die Embolie torkeln, dann werden sie natürlich entsetzt aufjaulen. Die immer noch gutgläubigen Zwangskonsumenten natürlich, nicht die Zuhälter in der VIP-Lounge. Sie werden es verkraften, denn sie humpeln noch immer den Führern hinterher. Es sind noch immer dieselben Opportunisten, die auch mit Menschenköpfen Freistöße ballern, wie es ihre historischen Vorbilder getan haben.

Zum Glück gibt es diesen akustischen Gestank, die Masse übler und übelster Meisterschaftssongs, die teils aus Gaudi, teils aus ehrlichem Sadismus im Dudelfunk die Generalattacke aufs Brechzentrum reiten. Nicht ausgeschlossen, dass diese ganze Angelegenheit nach dem Genuss zweier Portionen Müllbeutelimitat der Zielgruppe selbst peinlich wird. Die Hoffnung geht ja bekanntlich zuletzt von der Fahne.