Der Knopf

24 06 2014

„Die Technik macht ungeheure Fortschritte“, sagte Knöttgen. „Sie können die Geräte so gut wie überall mit sich führen, ohne damit aufzufallen.“ Ich betrachtete den Kasten auf dem Tisch, ungefähr so groß wie ein Schuhkarton, allerdings aus solidem Metall. Er schüttelte den Kopf. „Das ist bloß die Stromsparsteckdose meines Vorgängers, die hat nicht einmal funktioniert. Den Politranslator habe ich hier in meiner Hand.“

Es war nämlich ein kleiner Hörer, den man sich ins Ohr steckte. „Dazu regeln Sie die Frequenz mit einem Drehknopf – der passt in jede Jackentasche.“ Der Knopf hätte auch gepasst, leider war das dazugehörige Kästchen nicht besonders flach. „Ich hoffe, ich muss nicht den ganzen mit einer Beule in der Jacke herumlaufen.“ Knöttgen kratzte sich am Kopf. „Man wird nicht gleich denken, dass es eine Waffe ist, aber schön sieht es nicht aus. Warten Sie mal.“ Er verschwand für einen Augenblick. „Sie können das Gerät mit einer App steuern. Ich habe sie zwar noch nicht getestet, aber rein theoretisch sollte sie es schon tun.“ „Versuchen wir es mal“, entschied ich. „Damit wäre ich für den Auftritt gerüstet.“

„Wir wollen mehr Arbeits-Plätze schaffen“, verkündete der Spitzenkandidat. „Auch Menschen ohne eine gute Berufs-Ausbildung sollen Arbeit haben.“ Ein wenig irritierte die Asynchronität, doch ich gewöhnte mich schnell an den Knopf im Ohr, der die Wahlkampfveranstaltung in eine einfachere Sprache übersetzte. Zur Probe stellte ich den Apparat mit dem Telefon stumm. „Kapitalanleger müssen auch in Zukunft die Möglichkeit zu Hochrisikoinvestments haben, um die Kreditwürdigkeit der Finanzbranche nicht unnötig aufs Spiel zu setzen.“ An. „Jeder, der viel Geld hat, soll damit zocken.“ Aus. „Die Stärkung der deutschen Wirtschaft durch eine Erleichterung des Kreditrahmens…“ An. „… macht die anderen Länder arm, und das ist schön.“ Aus. „Sollte es jedoch zu einem Ungleichgewicht der Exportquoten von nationaler und peripherer Wirtschaft kommen, so birgt dies die Gefahr einer Deflationsspirale, die zu einer Rezession führt, in deren Wirkung…“ An. „… uns diese Scheißbimbos in den Arsch treten werden.“ Nanu? Ich war bei einer normalen Wahlkampfrede eines gemäßigt rechten Linken, der sich nie als links bezeichnet, aber sicher auch nie bewusst gemäßigt hätte. Er trug keinen Schnauzbart, beim Sprechen lief ihm nur wenig aus dem Mund, und das Publikum schien auf eine recht nationale, aber kaum auf eine rechtsnationale Rede gewartet zu haben. Was war da los?

„Ihr seid dann nämlich alle gekniffen, weil wir Euch die Job noch schneller als bisher geplant unter dem Hinten wegziehen werden.“ War das noch Rechtspopulismus? Normalerweise machen diese Politiker dem Publikum Angst, aber doch nicht vor ihrer eigenen Verworfenheit? „Und wenn Ihr dummen Arschlöcher erstmal arbeitslos seid, dann kriegt Ihr von und derart eins in die…“ An. „… zur Konsolidierung des Bundeshaushalts beitragen, denn wir können von unseren europäischen Nachbarn und Freunden nicht rigide Sparmaßnahmen verlangen, ohne selbst genau darauf zu achten, dass wir…“ Aus. „… uns Eure Kohle hinten und vorne reinstopfen werden, und Ihr werdet dafür so was von…“ An. „… alle den Gürtel enger schnallen müssen, um das bisher Erreichte zu stabilisieren, besonders für künftige Generationen, die…“ Aus. „… sich in ihren Billigjobs bis dahin hoffentlich alle totgeschuftet haben, damit meine Erben genau so ein stinkfaules, korruptes Pack werden wie…“ An.

Es musste ein kleiner Übermittlungsfehler sein, oder das Gerät übersetzte plötzlich Klartext. Sonst hätte der Wahlredner sein Publikum nicht derart beleidigt. Knöttgen war nicht erreichbar. Hatte ich etwas an dem Ding verstellt?

„Zugleich müssen wir als Deutsche wieder mehr Verantwortung zeigen, damit unsere Wirtschaft auch international konkurrenzfähig bleibt.“ War das jetzt schon die Übersetzung? Es brummte ein wenig, dann schaltete das Gerät sich von selbst wieder ein. „Auch mit Kriegs-Einsätzen kann Deutschland den Ausländern zeigen, wie gut wir für unsere Wirtschaft sorgen.“ Knack. „Wenn diese Lakritznasen in die Steinzeit zurückgebombt haben, dann werden sie uns Deutsche nie wieder schief angucken.“ Kracks. „Dabei sterben manche Leute, und wenn wir Pech haben, sind es Deutsche.“ Krrk. „Wir dürfen uns nicht abhängig machen von den Rohstoffen eines einzigen Lieferanten.“ Kräck. „Wir kaufen das billig von den armen Leuten, und dann lassen wir andere arme Laute für einen Hunger-Lohn ganze schicke Telefone daraus machen, für die man hier sehr viel Geld bezahlt.“ Krrrrrrk. „Deshalb ist ein Freihandelsabkommen mit unseren transatlantischen Partnern alternativlos, weil es Chancen und Perspektiven für beide Seiten eröffnet.“ Kkkrrrk. „Und zwar für die fetten, korrupten Kapitalistenschweine drüben und die fetten, korrupten Kapitalistenschweine hier, und Ihr unterprivilegierte Versager dürft den ganzen Dreck kaufen, damit Ihr nicht merkt, dass Ihr von uns für dumm verkauft werdet.“ Knacks.

Das Publikum war begeistert. Ich musste zugeben, er machte auch eine gute Figur dort oben auf dem Podium. Mein Sitznachbar klatschte ergriffen. Ich rückte den Knopf im Ohr zurecht. Es knackte. „Wissen Sie“, sagte er, „ich werde den Mann wählen.“ Ich nickte zustimmend. „Ein rhetorisches Talent, oder?“ Er pflichtete mir bei. „Er sagt doch genau das, was alle denken.“