
Gernulf Olzheimer
Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.
Der Hominide ist ein historisches Tier; sein Selbstverständnis schöpft er aus der Tradition, vielmehr aus dem Bewusstsein, das einzige Wesen zu sein, das trotz seines beschränkten Verstandes ein Gefühl für die eigene Geschichtlichkeit zu besitzen. Mag die Existenz das gemeine Exemplar aus Höhle, Baum- oder Reihenhaus auch mit mäßigen Möglichkeiten ausgestattet haben, so dass ein Restchen Dinosaurierkacke dereinst mehr über den Gang der Welt aussagen wird als ausgerechnet die Hinterlassenschaften einer halbwegs intakten Regierung, seine Mission bleibt. Er zieht eine Spur hinter sich, teils aus Verwüstung, teils noch aus deren materieller Vorstufe, und wüsste man es nicht besser, man müsste annehmen, er präpariert die Erdkruste auf den Einsatz archäologischer Trupps, die nichts Besseres zu tun haben werden, als ausgerechnet sein Zeitalter zu besichtigen. Schrift und Scherben bleiben von ihm und Katzenbilder. Viele Katzenbilder. Vor allem im digitalen Teil seines Dachbodens.
Denn der Mensch ist ein Jäger und Sammler. Was er auf den Ausstülpungen seines Lebensweges erlegt – Flohmärkte, Schlussverkauf und Sperrmüll sind die ersten Ansatzpunkte, um die Leidenschaft zu umreißen – häuft er an, um es zu besitzen. Seine Nostalgie ist neuronal verknüpft mit dem Akt des Jagdglücks. Wie ein invertiertes, nicht in den Felsen geschwiemeltes Fresko, so bildet das materiell Faktische seinen Erfolg ab und lässt sich greifen, bar jeder Magie zwar, doch dem einfachen Zeitgenossen durchaus verständlich. Bis in die Gefilde des Pathologischen reicht die Leidenschaft, und sie bricht sich Bahn in den immer neu ausdifferenzierten Begehrlichkeiten. Reiste der Bekloppte einst noch um den Ellipsoiden, um in aller Herren Länder Bierfilze zu erbeuten, so rafft der Bausparer heute Nachbildungen gefiederter Tiere in stilisierter Darstellung aus Holz, Ton, Metall und Kunststoff mit und ohne Weichmacher in seine Butze, um in einem begehbaren Archiv der Scheußlichkeiten dem Staub der Jahrhunderte ein Zuhause zu geben. Er selbst wird Asche sein, wenn der Kruscht noch leise bröselt, und verwirklicht ist sein Traum, überlebt zu werden vom Ding an sich.
Das Digitale überhöht nun beides, Jagd wie Besitz. Allein die Sammeldichte korreliert irgendwann zwanghaft mit der Möglichkeit, das Jagdgut irgendwo in die Ritzen der Galaxie zu pfriemeln – böte man dem Bierdeckelfetischisten die Chinesische Mauer zum Anpinnen der Pappplacken, er zöge wie blöde ums Erdenrund, blind für die Objekte seiner Begierde. Er hat sie. Oder umgekehrt. Jedenfalls manifestiert sich die schiere Masse in seiner Gegenwart.
So also im Digitalen. Hatten die Vorväter noch Tränen des Stolzes im Auge beim Anblick des 5¼-Zoll-Lappens, so trägt man heute Großbestände in der Hosentasche mit sich herum. Nicht der Zauber des Findens entscheidet heute. Es ist das Haben, das schon bald in vollkommene Besinnungslosigkeit driftet, das weiße Rauschen als Reaktion auf den Akt der Aneignung. Wir häufen Atom auf Atom, die Kathedrale samt Inhaltsverzeichnis jedoch kümmert uns einen feuchten Fisch. Fressen und Vergessen sind eins, wir schaufeln auf tragbare Teile, brennen weg und betonieren ein, was uns mit etwas Glück überlebt: Scherben, Schriften, beknackte Fotos.
Die Crux liegt nicht allein in der Menge des verfügbaren Materials, sondern vor allem in dessen unverbindlicher Lockwirkung. Gab es schon im Zeitalter analoger Massenmedien eine Springflut an Reiseführern, Kochbüchern und Witzsammlungen, mit der Verdichtung im Digitalen wuchs und wächst der Bestand exponentiell, da alles, was dem nächstbesten Deppen aus der Rübe rattert, ad hoc ins Netz geschwafelt wird. Es existieren mehr Apfelkuchenrezepte, als ein fresssüchtiger Veganer in einer Durchschnittsinkarnation hinters Zäpfchen pfropfen könnte, mehr Katzenbilder als Teilchen in einem Paralleluniversum. Die Crux liegt nicht allein in der Menge des verfügbaren Materials, das kollektive Gedächtnis hat bereits die Größe übersprungen, an der es noch möglich wäre, nur die Speicherorte dieser digitalen Daten in einer Liste zu erfassen, die der Bescheuerte meditativ abrollen ließe wie den Film am Ende seiner Verweildauer unter den Heterotrophen. Längst hat sich das Raffen verselbstständigt. So sieht das Ergebnis auch aus.
Sie werden uns aus einer meterdicken Schicht festgestampfter Einwegverpackungen hervorpopeln, nicht genau wissen, ob wir zu der Rasse gehörten, die von Anfang an diese Galaxie besiedelte, und dann werden sie ihre Wissenschaftler herausfinden lassen, dass die irdische Zivilisation eine einzige Opfergabe an die Feliden war. Gut, dass wir noch schnell den Hypermassenspeiche entwickelt haben werden. Ein paar Millionen Lichtjahre Flug dauern. Wenn man da mehr Katzenvideos hat, als die ganze Besatzung gucken kann, wird die Sache wenigstens nicht ganz so langweilig, wie dieses Sonnensystem es befürchten ließe.
Satzspiegel