Gernulf Olzheimer kommentiert (CCXLVIII): Das Sommerloch

11 07 2014
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Da hockten sie in der sengenden Sonne, Ngg und die Nachbarn, schwitzend und satt von den Beeren, die das Strauchwerk am Fuße des Abhangs spendete. Die Beute der kalten Zeit hing von der Höhlendecke, Feuerholz brauchte es eher nicht, Summertime and the livin’ is easy. Den Hominiden dröselt es gelinde in die Großraumsiesta, die Außentemperatur stieg ohne fremde Hilfe, und alles war gut. Erst die Spätantike beschwerte sich über den Mangel an Klatsch, in der Renaissance wurden ab Mitte Juni die Madrigale knapp, und irgendwann plärrte RTL nach den Sumpfkrokodilen, da sich keine Sau mehr im Dickicht rührte. Alles fließt. Die Vegetation ächzt. Das Sommerloch droht.

Mit dem Einsetzen der Zivilisation regelt sich der Thermostat alljährlich auf Duldungsstarre. Die Tage sind lang, der Himmel hängt voller saurer Gurken, Claudia Bertani hält quartalsweise die Klappe und steigt auf Tiefkühlhimbeeren um. Nichts und niemand besitzt die Muße, einen halbwegs vernünftigen Gedanken mit herkömmlichen Mitteln zu bestätigen oder zu widerlegen. Das Land wünscht sich Schwefelsäure im Deostift, um die beknackten Schwiemelspuren loszuwerden, die der allgemeine Sonnenstich in der Gesellschaft triggert.

Die Medien entdecken den Rechenstab in der Lücke zwischen Schreibtisch und Heizung; flugs knobelt der Redakteur die passenden Jubiläen aus (113 Jahre Nagellack, 80 Jahre Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses) und plästert ganze Druckfahnen voll, damit das Publikum nicht in der Sommerfrische plötzlich zum guten Buch griffe, zu reflektieren begönne und den Schmadder dem entgegen schmisse, der ihn in seiner völlig verseift anmutenden Beknacktheit annähme wie einen Mitbürger.

Kein Verband, Verein, keine öffentliche Körperschaft kann diese Zwangshandlung gutheißen, schätzen, ja überhaupt tolerieren, von der Wirtschaft ganz zu schweigen. Stanzbetriebe stellen ihre Arbeit ein, da das geschmirgelte Halbzeug nicht aus der Walzfabrik kommt – die Belegschaft aber redet sich raus mit geringerem Ausstoß, weil ja auch der Stanzer nun früher ins Licht geht. So wird weniger Erz geköchelt, Rede gebuddelt, Schiff gefahren, Bleistifte werden nicht gespitzt, Fernsprecher bleiben fernunbesprochen, die Volkswirtschaft wird Stagnationalökonomie. Die Objekte der Steuerung stellen ihre etatmäßige Eigenbewegung ein und haben auch noch eine Entschuldigung dafür, die man ihnen abnehmen muss, wie man auch mit den Zähnen knirscht. Selbstredend werden in diesen Wochen nur halb gare Ideen gegrunzt, das Déjà-vu des großen Staatsgelenks betreffend, und von der Tauglichkeit gegenüber Recht und Freiheit lässt sich nichts Klügeres sagen als der dringende Befehl, es beim Zähneknirschen auch zu belassen.

Gern gesehen ist die Saisonlücke dennoch in der Politik – nicht bei den Akteuren, doch auf der Hinterbank, da das Gelump hockt und seinen populistischen Brei in die Menge rülpst. Brillenverbot für Nichtkatholen, Steuersenkung für bekennende Pudelzüchter, Dinkelsubventionen statt Kesselschmieden im Flachland, nichts ist zu töricht, um klinisch bekloppte Lobbyisten von der Lautäußerung zu separieren. Vermutlich fiel es dem braunauer Bettnässer irgendwann im August ein, das angenehme Dasein der Männerpension gegen die aufreibende Planstelle in der Reichskanzlei zu tauschen, sonst hätte man ihn glatt überhört.

Nichts offenbart den Leerlauf so perfekt wie das Sommerloch. Das Informationsbedürfnis des Bescheuerten erlahmt beim Schnarchen und wendet sich der Reinkarnation unkaputtbarer Themen zu: Dackel im Baggersee, obskure Echos aus Loch Ness, die Eingemeindung von Mallorca, wie Eischnee hochgequirlte Dienstwagen und ähnliches Problemgetier. Als hätte der Patient gerade die blaue Pille geschluckt, tastet er sich durch das Grundrauschen seiner verpfuschten Existenz und labt die entzündeten Augen ein wenig am Gewölle, das übrigbleibt, wenn man die Simulation des gesellschaftlichen Seins wegknipst. Der komatöse Kurzstreckendenker konzentriert sich auf die überschaubare Herausforderung, die ihm im Halbschlaf komfortables Flachatmen erlauben. Mit etwas Glück begriffe er, dass er sich gerade in der Wirklichkeit befindet, minus der vorhersagbaren Ablenkung, die seine geübte Fehleinschätzung als sachzwangorientierte Realität einordnet. Alle Jahre wieder blubbert das aus dem Faulschlamm der Kultur nach oben, wirft bunte Blasen, stinkt ein bisschen und flieht in dürren Verpuffungen aus der Optik. Aber es ist keine Zeit des Erwachens. Wo immer die sitzen, die das Theater inszenieren, sie sind nicht zu beneiden, denn es muss eine Zumutung sein, ein miserables Stück Jahr für Jahr schlechter auf die Bühne zu bringen. Immerhin hat Nessie ihren Vertrag verlängert. Was haben wir nur vor ihr im Sommer getan?