„Wir mussten es einfach tun. Es gab keine andere Möglichkeit. Schauen Sie, das war keine einfache Situation für uns, aber dieses System mit den Absprachen, das hatte sich einfach auch bewährt. Endlich stabile Preise!
Jetzt echauffieren Sie sich mal nicht künstlich, beim Sprit passiert das auch, und da schreitet keiner ein. Wollen Sie denn die schizophrene Lage haben, dass Sie ein heißes Würstchen an der Tankstelle kaufen, und da wacht das Kartellamt darüber, und dann bezahlen Sie Ihren überteuerten Kraftstoff, weil gerade die Ferien losgehen, und dann drückt das Kartellamt beide Augen zu? Es geht doch hier um einen nationalen Wirtschaftsfaktor! Als was würden denn Sie die deutsche Wurst bezeichnen?
Eigentlich hatten wir auch vor, die ganzen Gewinne in die Forschung zu investieren. Doch, ernsthaft! Schauen Sie, die Rezepturen werden immer ausgeklügelter, die Zutaten sind immer mehr vom Verbraucher abhängig, das muss natürlich im Erzeugnis seinen Niederschlag finden. Die Qualität muss stimmen, die Mischung, und Sie können heute nicht irgendwelche Schlachtabfälle in Ihr Produkt kippen. Das müssen schon die besten sein. Und dann dieser Trend zum Fleischverzicht! Schauen Sie, wir haben ja gar nichts gegen Veganer, das sind die Verbraucher von morgen, da müssen wir am Ball bleiben, und wir arbeiten ja längst daran, eine Wurstware so gut wie komplett ohne Fleisch… –
Das tut dem Markt nämlich auch gut. Unsere Erzeugnisse dürfen gar nicht zu billig sein, schauen Sie, das ist mit dem Markt immer so, dass der alles regelt, und dann werden die Produkte, die sich nicht an die Preise halten, die werden dann, weil der Trend geht zu den besseren Produkten, und die sind nun mal teurer, weil daran erkennt man die. Wenn etwas gut ist, dann kann man auch den Preis anheben, und wir wollen auf dem nationalen Markt natürlich nur Premium-Wurstwaren handeln. Sonst käme es möglicherweise zu einem Preisverfall, und dann würde die Produktqualität sofort nachlassen, und dadurch sinken dann die Umsätze, wodurch die Arbeitsplätze verloren gehen. Wollen Sie das?
Der Preiskampf ist nämlich außerordentlich hart. Schauen Sie, mit so einer durchschnittlichen Wurst ist heute nichts mehr zu verdienen. Die wird für den Verbraucher produziert, der kauft sie, und dann ist sie weg. Wenn wir jetzt beispielsweise Luxuslimousinen bauen würden, das ist natürlich eine ganz andere Herangehensweise, schauen Sie: der Produktlebenszyklus ist erheblich länger, Sie kaufen sich ja nicht alle drei Tage ein neues Auto, und daher haben wir erheblich mehr Zeit, uns mit der Wurst zu beschäftigen, ich meine, wir würden das beim Auto haben, schauen Sie, aber nicht bei der Wurst. Die muss ja frisch zum Verbraucher, und das ist auch ganz richtig so, weil wenn sie nicht frisch ist, dann verlieren wir auch das Vertrauen des Verbrauchers, und dann müssten wir vielleicht wirklich anfangen, Autos zu bauen. Aber das würde auch heißen, dass es bald in Deutschland keine Wurst mehr gibt. Das ist Marktverzerrung!
Dabei sind gar nicht wir die Schuldigen, das ist der Einzelhandel! Die haben nämlich die höheren Einkaufspreise an die Verbraucher weitergegeben – würden Sie das noch als soziale Verantwortung bezeichnen? Also in meinen Augen ist das ganz klar Raubtierkapitalismus, jawohl: Raubtierkapitalismus in seiner gemeinsten Ausprägung! Weil sich diese Supermärkte nämlich an den Verbrauchern schadlos halten, die nur aus reiner Existenzangst ihre Lebensmittel kaufen. Noch dazu sind es viele Bürgerinnen und Bürger, die durch diese gesellschaftlichen Verwerfungen mit niedrigen Löhnen auskommen müssen und ihre Lebenshaltungskosten zum Teil gar nicht ohne aufstockende Leistungen bestreiten können. Das ist, schauen Sie, ich bin da ehrlich, eine riesengroße Schweinerei. Weil das zahlen wir alle, wir alle als Steuerzahler müssen dafür geradestehen, dass diese Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den unteren Einkommensklassen als erste von diesem Preisdruck betroffen sind. Dafür werden wir in die Verantwortung genommen!
Schauen Sie, irgendwo muss das Geld dann ja auch herkommen. Die Steuern zahlen sich ja nicht von alleine. Wäre mir jedenfalls nicht bekannt.
Ich könnte Ihnen ja, wenn Sie es nicht an die große Glocke, aber wirklich auch nur ganz im Vertrauen – behalten Sie das für sich? Wir sind nämlich selbst Vegetarier. Alle. Ich auch. Doch, Sie müssen mir glauben! Wir tun das nur für den Tierschutz. Ausschließlich für den Tierschutz tun wir das. Dass die Tiere nun mal geschlachtet werden, das ist ja ganz normal, das kommt auch überall vor, und ich meine, schauen Sie, wir müssen ja unsere Einkünfte auch irgendwoher beziehen, das habe ich Ihnen lang und breit erklärt. Da ducken Sie sich jetzt mal nicht weg, wir leben schließlich in der Wirklichkeit. Und als Aktivist sind Sie sowieso auf der sicheren Seite, wenn Sie Ihre Ziele nicht zu sehr in der Öffentlichkeit publik machen, das werden Sie wohl verstehen. Aber man muss doch dem Produkt, ich meine dem Tier, das in dem Fleischerzeugnis auch irgendwie noch personifiziert ist, dem Tier muss man doch Respekt zollen, und dann muss man den gesellschaftlichen Kampf aufnehmen, dass es zu diesem Fleischkonsum gar nicht mehr kommen kann. Ich hatte es Ihnen doch erklärt: hohe Preise lassen den Markt ausbluten, niedrige Qualität für ein als Premium-Lebensmittel gehandeltes Erzeugnis, das immer weniger Fleisch enthält – das kauft keiner mehr! Der Fleischverbrauch wird in Zukunft beständig sinken, wir werden es noch erleben, dass wir uns alle vegan ernähren! Nur noch Obst von glücklichen Bäumen! Kein Schwein muss mehr für die Wurst sterben! Wäre das nicht wirklich wundervoll?
Jetzt schreiben Sie mal schön Ihren Artikel, und wenn Sie noch was brauchen, Sie sollten sich mal die Bierpreise anschauen. Finden Sie das etwa gerecht?“
Groooßes Kino! Völlig unwiderlegbare Argumentationskette – nur so kann es gewesen sein!
…btw.: Ich wüsste da noch eine kleine deutsche Klientelpartei, die einen begnadeten Pressesprecher braucht und gut honoriert …
Ich weiß das zu schätzen. Leider bekomme ich bei jedem Versuch, mich auf dies Niveau hinunterzudenken, bohrende Kopfschmerzen.