Die Räume hatten eine anheimelnde Sauberkeit, nicht gerade medizinisch, aber doch weit mehr als besenrein. Die Morgensonne schien durch das Oberlicht und warf einige bläuliche Schatten auf die frisch gestrichenen Wände. Alles atmete Ruhe und Frieden. Schüppenhauer war verzweifelt.
„Diese Idioten haben nicht einmal Holzleisten angebracht“, stöhnte der Galerist. „Wo soll ich denn nur die Bilder aufhängen?“ Mit einem ironischen Lächeln – nicht schadenfroh, auch wenn durchaus ein Grund dazu vorhanden gewesen wäre – drehte ich mich einmal um die eigene Achse. „Ach ja, richtig. Die Bilder.“ Es gab keine Bilder, hatte nie welche gegeben. Nicht hier, und vermutlich nicht anderswo. Der windige Unternehmer, dem der frisch gebackene Kunsthändler sein Geld anvertraut hatte, war genauso schnell verschwunden wie die besagte Barschaft. Jetzt stand er da, ohne Bilder, mit einem immerhin sauberen Lokal in bester Lage und mehreren Zusagen für die Eröffnung. Dass sie noch am nämlichen Abend stattfinden sollte, traf sich weniger gut.
„Machen Sie etwas“, wimmerte er. „Irgendwas, brechen Sie in ein Museum ein und stehlen Sie die Mona Lisa, aber lassen Sie mich nicht im Stich.“ „Das wird schwierig“, befand ich, „die Dame ist ja recht freizügig, wird aber gerade im Ausland aufbewahrt, und in einer Papiertüte bekomme ich sie garantiert nicht durch den Zoll. Wir müssen uns eine andere Sache überlegen.“ Schüppenhauers Verzweiflung ging in Fatalismus über. „Dann setze ich mich in die Ecke und lasse mich mit faulen Eiern bewerfen, damit kommt man ja auch ins Feuilleton.“ „Bloß nicht!“ Der Gedanke war nun zu schockierend. „Das macht doch in New York seit zwanzig Jahren keiner mehr.“ Die Lage war ernst. Schüppenhauer zündete sich eine neue Zigarette an. „Suchen Sie mich nicht“, sagte er müde, „Sie werden mich früh genug finden.“ „Seien Sie bitte pünktlich“, wies ich ihn an. „Und lassen Sie freundlicherweise den Schlüssel da.“
Die Gäste kamen mit ortsüblicher Verspätung. Das oval in der Mitte des Raums aufgehäufte Zeug wurde zunächst stumm betrachtet, mit gemessenem Schritt erlaufen und wurde schließlich Objekt einer recht angeregten Diskussion. „Möglicherweise“, mutmaßte ein älterer, kritisch aussehender Gast „hat der Künstler eine Botschaft darin versteckt.“ „Sie könnten ja mal nachsehen“, riet ich, „und übrigens, es ist eine Künstlerin.“ Auf dem Boden klebte ein quadratisches Schildchen, auf das niemand trat, das aber offensichtlich auch keiner gelesen hatte.
Schüppenhauer war nicht richtig betrunken, ob noch nicht oder schon nicht mehr, ließ sich in der Kürze der Zeit nicht feststellen. „Wo kommen die Leute her?“ Ich klopfte ihm beruhigend auf die Schulter. „Durch die Tür, die meisten jedenfalls. Einige sehen aus, als hätte man sie versehentlich über dem Dach abgeworfen, aber das täuscht. Die anderen sind auch nicht weniger bekloppt.“
Immerhin war das Ensemble aus Dachlatten, teilweise aufreizend angekokelt, teilweise mit Nägeln und Krampen verziert, alles zusammen in der Zimmerecke an die Wand gelehnt, auch nicht ohne Aufmerksamkeit geblieben. Eine nervöse Dame schob sich durch die Besucher, stellte ihr Champagnerglas auf einen Klappstuhl und sprach mich ohne zu zögern an. „Ich komme gleich zur Sache: wie viel?“ „Ich auch“, antwortete ich. „Das Glas verschwindet sofort von diesem Stück Objektkunst, oder Sie haben ein Problem.“
Eine Viertelstunde später erfuhr ich vor dem Studenten, der den Kellner spielte, dass das aus Paris, Köln und Tokio stammende Künstlerduo bereits die Eröffnung verlassen habe. Die nervöse Dame hatte mehrere Fotos von ihnen gemacht, die sie in den führenden Kunstzeitschriften zu veröffentlichen gedachte. Ich war sehr gespannt, ob ich sie erkennen würde.
„Sie haben mir eine Viertelmillion für diese Holzdinger angeboten“, keuchte Schüppenhauer. „Was soll ich denn jetzt tun?“ „Fordern Sie eine halbe“, riet ich, „und verkaufen Sie damit auch gleich die Option auf die kommenden beiden Teile der Installation.“ Er war nachhaltig verwirrt, aber damit war zu rechnen gewesen. Bedauerlicherweise konnte ich mich nicht um ihn kümmern, da die exzentrische Kuratorin für ihre Verhandlung mit der städtischen Kunsthalle immer wieder Details von mir wissen wollte. „Es heißt Gesprächsstoff“, erläuterte ich, „und es ist innen mit einem Holzgerüst versehen, damit es formstabil bleibt.“ Sie machte sich Notizen. Schüppenhauer suchte seine Zigaretten.
„Sie haben das alle gefressen“, sagte er, noch immer ungläubig und diesmal deutlich betrunkener als zu Beginn des Abends. „Die haben es Ihnen alle abgenommen! Aber wie haben Sie das so schnell geschafft?“ Ich lächelte vor Bescheidenheit. „Zwei alte Paletten, ein wenig Plastikplane und ein Altkleidercontainer der Heilsarmee. Und dann muss dem Vorbesitzer der Geräteschuppen im Garten abgebrannt sein. Sie sehen das in der Ecke.“ Er drehte sich kurz um. „Es ist noch eine alte Harke da und ein paar Schaufeln und etwas Altmetall, und neben der Kellertreppe stehen noch die restlichen Klappstühle. Denken Sie an die halbe Million, Schüppenhauer. Sie wollen doch den Kunstmarkt nicht wegen so einer Kleinigkeit gegen sich aufbringen.“
Satzspiegel