„Und vor allem dieses Theater! Soll ein ganzes Land auf diese Schmierenposse hereinfallen, die da inszeniert wird?“ „Richtig, das hat doch nichts mehr mit Demokratie zu tun.“ „In der Mitte von Europa – ein komplettes Volk lässt sich am Nasenring durch die Manege ziehen! Das ist unwürdig!“ „Naja, nicht alle.“ „Aber offensichtlich ist ja eine Mehrheit dazu bereit!“ „Dafür sind wird auch Exportweltmeister.“ „Moment, wovon reden Sie eigentlich? Haben Sie das aus Ankara gar nicht mitgekriegt?“ „Glauben Sie, Berlin wäre besser?“
„Sie wollen Deutschland allen Ernstes mit dieser Bananenrepublik vergleichen? Wie kommen Sie dazu?“ „Gerade richtig. Das Klima mag hier ein bisschen gemäßigter sein, aber sonst? Ich sehe keinen Unterschied.“ „Sie halten einen religiösen Fundamentalisten wie Erdoğan ernsthaft für vergleichbar mit dem, was die Bundesregierung tut?“ „Abgesehen davon, dass Fundamentalismus Religion immer nur als Mittel zum Zweck nutzt: ja. Eine Kanzlerin, die ihren Vulgärprotestantismus als billige Entschuldigung nutzt, um ihre Homophobie gegen die Verfassung zu verteidigen, löst bei mir den gleichen Brechreiz aus.“ „Moment, sie sprach von ihrem Bauchgefühl.“ „Dass ihre Argumentation sowieso wenig mit dem Kopf zu tun hat, war Ihnen hoffentlich vorher klar.“
„Immerhin haben wir in Deutschland keine staatstragend organisierten Kräfte, die den Islam abschaffen wollen.“ „Falls Sie die AfD und Joachim Kardinal Meisner meinen, nein, die sind nicht staatstragend.“ „Ich meine regierungsnahe Kräfte, die zum Hass auf fremde Religionen aufrufen.“ „Ist Ihnen Springer regierungsnah genug?“ „Wie?“ „Fragen Sie die bloß nicht, ob sie sich staatstragend genug verhalten. Sonst wissen Sie, wie sich Katharina Blum gefühlt hat.“ „Versuchen Sie in der Türkei mal eine Kirche zu bauen!“ „Gerne, wenn Sie versuchen, hier unbehelligt eine Moschee zu betreten.“
„Was soll dieser ganze religiöse Mist, die Türkei funktioniert einfach nicht nach europäischen Standards.“ „Aber nach deutschen.“ „Ein Wirtschaftswachstum, das komplett auf Blasen aufgebaut ist?“ „Wie gesagt, wir sind Exportweltmeister und haben unser Kapital immer hübsch in Krisenstaaten gebunkert.“ „Haben Sie sich mal die Sicherheitsstandards in türkischen Kohlegruben angesehen?“ „Falls Sie die Sicherheitsstandards des Schienennetzes der Deutschen Bahn AG kennen, wissen Sie zufällig, wie genau das Staatsunternehmen sie einhält?“ „Sie wollen mir nicht erzählen, dass die deutsche Regierung Twitter abschalten lässt, wenn die Bevölkerung sich kritisch äußert?“ „Hier klinkt sich nur der Bayerische Rundfunk aus, wenn ein paar linke Künstler im Fernsehen auftreten, und ein Bundesinnenminister, der Guantanamo für so lange vertretbar hält, bis es menschenrechtskonforme Konzentrationslager gibt, schwadroniert von einem Notausknopf für das deutsche Internet. Möglich, dass sie Erdoğan beneiden, aber sie haben es technisch noch nicht geschafft, ihn nachzumachen. Weil wir von Bekloppten regiert werden.“ „Entschuldigung, das ist Deutschland hier.“ „Das ist Kanakland. Hier. Dort. Überall.“ „Gezi-Park?“ „Schlosspark.“
„Aber Sie müssen doch zugeben, diese ganze nationalistische Hetze – Türkentum! – das ist doch alles indiskutabel.“ „Richtig, da machen wir lieber mal zwei Dutzend erwerbslose Bulgaren für ein Milliardendefizit verantwortlich, anstatt deutsche Steuerhinterzieher vor Gericht zu stellen.“ „Sie lenken schon wieder ab! Dieser völlig übersteigerte Nationalismus…“ „… der ja damals schon zu Adülf Hütlür geführt hat, weiß man doch.“ „… ist doch in Deutschland genau so da. Diese Leute werden hier angestachelt!“ „Neukölln ist nicht überall. Mitte ist überall, und das ist schlimm genug.“
„Dann frage ich mich, warum so viele Idioten diesen Mann wählen. Der hat doch jetzt schon gedroht, dass er als Präsident den Premierminister bestimmen will.“ „Merkel ist ja auch egal, wer unter ihr als Bundespräsident herumhampelt.“ „Und trotzdem werden solche Leute gewählt.“ „Weil sie die Stimmen kaufen.“ „Aber in der Türkei sind es nur die bildungsfernen Schichten, denen man Versprechen macht.“ „Die Anträge für die Herdprämie bekommen Sie auch hier nur als Besserverdiener fertig ausgefüllt in den Briefkasten. Wenn Sie Fabrikarbeiter sind, hat Ihr Bezirksamt keine Ahnung, ob Ihnen das Geld überhaupt zusteht. Sie dürfen es nur finanzieren.“ „Wer kein Geld hat, wird beschissen.“ „Und mit einer Version von paternalistischem Polizeistaat eingelullt, wie ihn diese uckermärkische Kippfigur bereits im Stalinismus zu schätzen gelernt hat.“ „Ich glaube langsam, Sie könnten Recht haben.“ „Vielleicht sind wir doch noch nicht ganz so weit. In der Türkei gibt es bei den Wahlen ja immer Stromausfälle, weil landesweit Katzen in die Transformatorenhäuschen einbrechen.“ „Dafür haben wir eine Regierung, die sich beharrlich weigert, das Wahlgesetz an die Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts anzupassen. Ich frage Sie, ist das gemerkelt?“ „Nö. Das ist getürkt.“
Satzspiegel