„Leiser – lauter.“ Breschke drückte mit aller Macht auf die Knöpfe. Die Donautaler Schlunzgurgler jodelten ihren Beitrag zum Nachmittagsprogramm mit derselben Inbrunst, die eines Knopfdrückens nicht bedurft hätte. Der Hausherr hielt das machtvolle Gerät in Richtung Fernseher, allein: nichts tat sich. Weder laut noch leise.
„Es ist nämlich eine Universalfernbedienung, die die anderen Dinger überflüssig machen soll.“ Die Verpackung deutete in einem Kauderwelsch aus russisch gefärbtem Altportugiesisch mit Hindi- und Quantenphysikzeichen die Zweckbestimmung des Kunststoffknochens an, und der Rückseite entnahm ich recht schnell, dass Breschkes Tochter sie wieder im Internet bestellt haben musste. Schwer entflammbares Kaminholz, biologisch abbaubare Atombomben, alles fand sie dort oder auf einer Reise durch die Touristenzentren dieser Welt. Diesmal ein Infrarotgerät. „Man hält dieses Teil so an die richtige Fernbedienung“, demonstrierte er mir, „und dann drückt man hier, und dann drückt man da, und dann blinkt es.“ Es blinkte nichts. Nicht hier, da schon gar nicht. Vermutlich handelte es sich nicht um eine drahtlose Beziehung zwischen den elektronischen Geräten, sondern um den Zauber, der sich eben doch nicht einstellen wollte, wenn man ihn auch so ersehnte.
Ich hielt das Gerät aufs Geratewohl in die Gegend. „Sie müssen ja die…“ Horst Breschke verstummte schlagartig. Ich auch. Dafür ließ das Radio die sonore Ansagerstimme hören, die ein Azorenhoch verkündete. „Vermutlich haben Sie die Tasten doppelt belegt“, schloss ich. „Oder es gibt eine Überlagerung.“ Er schüttelte energisch den Kopf. „Das ist technisch gar nicht möglich.“ Mild lächelte ich, die Ausflüchte des pensionierten Finanzbeamten gewohnt. „Kurz vor dem Weltuntergang werden ein paar Experten…“ Er zog sofort die Stirn in Falten und mich vor den Rundfunkempfänger. Ich erschrak. „Und dieser Apparillo soll Infrarot kriegen?“ Er hatte recht. Das Modell stammte aus seiner Jugendzeit.
Bismarck, den dümmsten Dackel im weiten Umkreis, konnte das alles nicht rühren. Er lag in seligem Schlummer auf dem Sessel und ignorierte den Volksmusiklärm, der sich nur per Hand wieder leise stellen ließ. „Dabei kann man die Kanäle doch rauf und runter schalten“, grübelte Breschke. „Was mache ich nur falsch?“
Da klingelte es aus der Küche. „Horst“, mahnte eine Stimme, „Du sollst doch nicht wieder spielen?“ Die Gattin hatte es sich ein paar Tage lang schweigend angesehen. Schließlich aber war ihre Geduld erschöpft gewesen, als das Drückding die Mikrowelle nach Belieben in und außer Betrieb nahm. Teilweise schaltete das Radio sich synchron ein und aus, teilweise um, teilweise letzteres auch zeitgleich mit dem Fernseher. „Es muss dieselbe Frequenz sein“, jammerte Breschke. „Wenn ich hier drücke, dann…“ Schlagartig wurde es dunkel. Allerdings nicht in Breschkes Haus. Die Lichter verloschen jenseits von Gabelsteins Hecke.
Die beiden verband ein besonderes Verhältnis. Natürlich hatte Breschke mit Hilfe seines zu stark eingestellten Laubsaugers das nachbarliche Haus schon in einen herbstlichen Matschhaufen verwandelt, vereinzelt Pflaumen über den Zaun hängen lassen, ohne sie rechtzeitig zur Reife vom Baum zu pflücken, und Bismarck war tatsächlich einmal auf den frisch geharkten Rasen des jähzornigen Justizangestellten getrippelt, hatte sich kurz umgesehen und das Terrain als zu langweilig wieder verlassen. Aber Gabelstein hatte aus Wut über den plötzlichen Wintereinbruch auch Breschkes Gehsteig mit Schnee zugeschaufelt und wegen eines Rasensprengers, der ab und an einen Tropfen auf seinem Wohnzimmerfenster hinterließ, die Polizei in Aufruhr versetzt. Es herrschte kein Friede zwischen ihnen.
„Ich habe aber doch gar nichts getan“, sagte der Alte hastig, „wirklich nicht! Vielleicht habe ich die Fernbedienung ein bisschen zu sehr in diese Richtung – man könnte ja mal ausprobieren, ob es das überhaupt – und ich bin mir natürlich keiner bösen Absicht bewusst!“ „Das schließt sich ja auch meist aus“, antwortete ich lakonisch. „Wir sollten es trotzdem noch einmal probieren.“ Verstört blickte mich Breschke an. „Kippen wir das Fenster“, riet ich, „und dann halten Sie voll drauf.“
Sekunden später hatte Gabelstein wieder das gewohnte Licht. Wieder ein paar Augenblicke, dann schaltete sich sein Fernsehgerät ein. Das Azorenhoch war in der Wetterkarte angekommen und versprach neben leichten Niederschlägen jede Menge heißer Luft. Von atmosphärischen Störungen war nicht die Rede. Ich drückte. Keine drei Takte hatten die Moosbichler Unterholzbazis von sich gegeben, da heulte der Anwohner in voller Entrüstung auf. Jeden Versuch, seinen Fernseher am Rändelknopf leiser zu stellen, konterte ich mit einem nonchalanten Druck auf die große Plus-Taste. Noch zehn Sekunden bis zum Bersten der Fensterscheiben. Oder zur Hirnembolie. „Zurück!“ Ich zog Breschke auf die Seite. Gabelstein tobte nach vorne ans Fenster. Offenbar trug er sich mit dem Gedanken an einen Massenmord. Ich knipste mit der Fernbedienung das Licht aus. „Infrarot“, konstatierte ich. Breschke nickte. „Hoffentlich kriegt er keinen Herzschlag.“ Ich reichte ihm die Fernbedienung. „Eine Minute“, mahnte ich. „Jeden Tag nur eine Minute. Höchstens.“
Satzspiegel