Schnurlos

18 02 2015

„Es steht gar nicht dabei, ob man das kleine Gerät hier mitnehmen muss. Das Kabel ist nämlich so kurz, es reicht gerade eben bis zur Wand.“ Herr Breschke beäugte sein neues Telefon skeptisch. Er hielt das Ding in der Hand, als sei er sich nicht ganz sicher, was es nun tatsächlich darstellen sollte. „Jeder hat heute so eins“, beruhigte ich ihn. „Sie können mir vertrauen, die Firma will Sie wirklich nicht ausspionieren. Jeder hat heute so ein Telefon.“

Tatsächlich war noch nicht ganz geklärt, was mit dem alten geschehen war. Vielleicht hatte der Dackel die Schnur durchgenagt. Breschke schüttelte energisch den Kopf. „Das würde Bismarck nie tun, außerdem hat meine Frau jahrzehntelang jedes Kabel um die Finger gewickelt. Irgendwann musste es ja mal brechen.“ Zu seinem Leidwesen war der Apparat irreparabel beschädigt gewesen. „Und ich bin mir ziemlich sicher, dass sie das bloß erzählt haben, damit wir und auch eins von diesen neumodischen Handgeräten anschaffen.“ „Nun“, entgegnete ich, „Sie müssen zugeben, dass Ihr Telefon schon etliche Jahre auf dem Buckel hatte.“ Horst Breschke runzelte die Stirn. „Das war doch schon eins von diesen ganz neuen Telefonen“, begehrte er auf. „Weil meine Frau sich unbedingt einen Apparat in Orange gewünscht hatte.“

Nun also hielt er ein formschönes Endgerät in der linken Hand und stellte es behutsam in die Ladestation zurück. „Das Problem“, erläuterte der Hausherr, „ist ja das Kabel: es reicht hier bis zur Wand, und wenn ich im Arbeitszimmer sitze, dann muss ich doch immer in den Flur laufen, wenn es mal klingelt.“ „Aber Sie können es doch jederzeit abnehmen und mit ins Arbeitszimmer tragen.“ Er bleib skeptisch. „Der Verkäufer hat gesagt, wenn man es nicht auf diese Steckdose stellt, dann hat es irgendwann keinen Strom mehr. Ich meine, ist das nicht eine fürchterliche Verschwendung? Alle Geräte heutzutage brauchen Strom – das war doch früher nicht so?“

Die Bedienungsanleitung war verhältnismäßig dünn; schon nach kurzer Zeit hatte ich die Reichweite des Telefons entdeckt. „Sie können sich fünfzig Meter von der Ladestation entfernen, das dürfte doch wohl bis zum Arbeitszimmer reichen, oder?“ Breschke war erstaunt. „Fünfzig Meter? Gut, aber das brauchen wir ja gar nicht. Und trotzdem, den alten Apparat konnte man im Sommer mit der Schnur bis dort hinten zur Fensterbank tragen, dann hat man es auch bis in den Garten gehört, wenn wir am Abend mal draußen sitzen. Aber dieses neue Gerät – fünfzig Meter, und dann kann man es doch nicht mit aus dem Haus nehmen.“ Möglicherweise hatte ich es nicht ganz verstanden. Der pensionierte Finanzbeamte half mir. „Man kann es im ganzen Haus benutzen, das hat der Verkäufer mir bestätigt. Aber er hat nichts davon gesagt, was mit dem Garten ist. Meinen Sie nicht auch, da ist ein Trick dahinter?“

Da passierte, was früher oder später passieren musste. Das Gerät klingelte. Wie dem Display zu entnehmen war, handelte es sich um einen internen Anruf. „Wir haben nämlich zwei bekommen“, berichtete Breschke, „das zweite steht jetzt oben im Schlafzimmer.“ Während das Telefon klingelte und klingelte, schaute ich ihn erwartungsvoll an. „Wollen Sie nicht rangehen?“ Verwirrt griff er nach dem Hörer. „Ach so ja, natürlich – Breschke hier!“ Genau so musste er sich damals als Amtsrat der Oberfinanzdirektion gemeldet haben, militärisch knapp, aber inhaltlich hinreichend klar. Er legte die Hand auf das Mikrofon. „Es ist nämlich meine Frau“, informierte er mich flüsternd. Ich war beeindruckt. „Wer hätte das gedacht.“

Das Telefon hatte recht schnell zu Innovationen im Hause Breschke geführt. „Meine Frau muss nicht mehr hinaufrufen, wenn ich gerade im Lesezimmer bin, sie ruft jetzt einfach an.“ „Das ist ja famos“, freute ich mich anstandshalber. Doch ich hatte die Rechnung ohne den wenig technikaffinen Mann gemacht. „Manchmal höre ich es ja nicht gleich“, bekannte er. „Wenn es beispielsweise im Schlafzimmer klingelt und ich im Lesezimmer bin, dann muss meistens meine Frau die Treppe hochsteigen.“ „Sie teilt Ihnen dann mit, dass das Abendessen fertig ist?“ Er schüttelte den Kopf. „Aber nein, jetzt doch nicht mehr! Sie sagt mir, dass das Telefon klingelt.“

Was es dann auch wieder tat. Der Anzeige entnahm ich, dass es Doktor Klengel war. „Breschke hier! Ah, Herr Doktor – gerne, warten Sie einen Augenblick.“ Konzentriert starrte er auf die vielen Tasten, bis er die richtigen beiden erwischte. Oben sprach seine Frau mit dem uns befreundeten Hausarzt weiter. „Wobei“, stutzte Breschke plötzlich, „wobei: wenn er mit meiner Frau sprechen wollte, warum hat er dann mich angerufen? Ist das etwa…“ Ich nahm ihn am Arm. „Denken Sie doch mal logisch. Wessen Nummer hat denn Herr Doktor Klengel gewählt? Wer steht denn im Telefonbuch?“ „Meine“, echote Breschke ungläubig. „Sehen Sie“, fuhr ich fort, „also musste es auch bei Ihnen klingeln.“ Er schnaufte. „Was man nicht alles bedenken muss mit diesen neuen Geräten.“ Und er stellte das Telefon wieder zurück in die Ladeschale. „Nicht auszudenken, wenn dieses Ding auch in Orange gäbe!“


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