Ausgebucht

4 03 2015

„Einfrieren!“ Bruno traten die Augen aus dem Gesicht. „Dieser Dummkopf meint, ich soll meinen frischen Bachsaibling einfrieren!“ Petermann, Entremetier und rechte Hand des Küchenmeisters, schob diskret sämtliche Messer beiseite; es hätte ein blutiges Ende nehmen können.

„Diese Knalltüte sagt mir allen Ernstes, ich soll meinen frisch gelieferten Bachsaibling gerne einen Tag lang in die Gefriertruhe packen, wenn er etwas Wichtigeres im Terminkalender hat als mich!“ Bruno Bückler tobte. „Das heißt doch, ich kann auch den Blütensalat für vier Personen auf den Kompost schmeißen!“ „Und ich sage noch“, unkte Hansi, „ich sage noch: nicht übertreiben mit den Tischreservierungen. Das geht nicht gut.“ Bruno sah seinen Bruder grimmig an, wie meistens, und insbesondere dann, wenn der wieder einmal recht hatte. „Wir haben im letzten Jahr einen Stern bekommen, und den müssen wir schon verteidigen. Sonst wandern uns auch die anderen Gäste ab.“

Man muss den Brüdern gerecht werden. Seitdem Bruno, den Gourmets wie Neider als Fürst Bückler kennen, wie er Salzwiesenlamm und Schwarzsauer kocht, seitdem sein Landgasthof nun auch über die Grenzen der kleinen Gemeinde hinaus bekannt geworden war, musste er eben die Tische im vorderen Teil der Diele rationieren. „Zehn Tische je vier Personen“, rechnete Hansi vor, seines Zeichens Servicechef im Gasthaus, „und da wir momentan sehr angetan sind, haben wir eine Warteliste von einem halben Jahr. Die Gäste stehen bereits Schlange.“ Ich nickte anerkennend, aber Hansi schüttelte den Kopf. „Wir haben zehn Prozent Verlust, an den Wochenenden sogar mehr, weil die Gäste gar nicht mehr kommen. Eine gelungene Reservierung reicht ihnen aus, um zur Gemeinde der Gourmands zu gehören.“

Petermann wies auf einen Korb mit frischem Dill. „Morgen ist Kalb auf der Karte und dann Ochsenkotelett. Was soll ich denn damit machen, wenn uns die Gäste weglaufen?“ „Kann man es nicht irgendwie in die Vorspeise…“ Er sah mich mit einem mitleidigen Blick an. „Klar. Ich lasse das Zeug einfach noch eine halbe Woche liegen, um dann ein Gurkensüppchen zu kochen, das man zu Hause besser hinkriegt.“ Ja, da war etwas dran.

„Aber vielleicht könnte die Küche die Vorräte für den anderen Teil der Gäste…“ Bruno atmete tief ein. Mehr musste nicht geschehen. Sobald seine aufgezwirbelten Schnurrbartspitzen leicht an zu zittern fingen, lohnte sich keine Diskussion mehr. Ein paar kurze Gespräche, dann war auch dies geklärt. Tatsächlich galt die Tischreservierung bei Bücklers als Ritterschlag, denn dabei hörte man so ganz nebenbei, was denn in den folgenden Tagen auf der Karte stehen würde. „Der Chef hält es längst für Spionage“, sagte Petermann gleichmütig. „Aber mir fehlt der Beweis. Uns kocht ja keiner nach.“ „Was auch vollkommen unmöglich wäre“, tröstete ich ihn. „Und deshalb werden wir jetzt auch sofort zur Tat schreiten. Hansi, das Telefon?“ Er zeigte mir ein kleines Tischchen im Vorraum. „Das dürfte reichen.“

Die erste Dame zeigte sich auch recht verständnisvoll. „Stammgast“, soufflierte Petermann, „die kommen alle paar Wochen.“ Der nächste Anrufer nicht. „Mittwoch, zwanzig Uhr. Ist notiert. Das macht dann zweihundert.“ Hansi zuckte zusammen. „Natürlich können wir das“, fuhr ich ungerührt fort. „Es zwingt Sie ja keiner, hier zu speisen. Aber wir wissen ja gar nicht, ob Sie auch tatsächlich kommen, und dann können wir den Tisch nicht doppelt vergeben, Sie verstehen?“ Bruno pfiff anerkennend durch die Zähne. „Darauf hätte ich kommen können.“

Der Gast war schwieriger als erwartet. „Selbstverständlich sind Sie nicht gegen den Ausfall versichert – wir aber auch nicht. Und wenn Sie an dem Abend lieber ins Kino gehen wollen, sollten Sie die Karten besser jetzt schon kaufen.“ Sie blickten mich alle an. „Es könnte ja sein, dass die Vorstellung ausgebucht ist. Und dass Ihnen ja nichts dazwischenkommt. Ich hörte, man soll die Karten gar nicht mehr zurückgeben können hinterher.“ Hansi grinste. Er musste auch nicht den Hörer ans Ohr halten. Ich wartete einen Teil des Gewitters ab. „Geben Sie uns einfach Ihre Bankverbindung, wir erledigen den Rest. Und sollten Sie wirklich bei uns einkehren, verrechnen wir einfach den Betrag.“

Hansi nahm den Zettel entgegen. „Fünfzig pro Person“, konstatierte er. „Allerdings“, gab ich zurück. „Doktor Brüllwitz nebst Gattin und Töchtern wird sicher sehr gerne kommen.“ „Wenn man das mal überlegt…“ Hansi rechnete nach. „Bei der Quote könnten wir dann noch zwei zusätzliche Tische bedienen, und wenn die regelmäßig nicht bedient werden, hätten wir eine Umsatzsteigerung von, ich würde sagen…“ „Nichts da“, polterte Bruno. „Ansonsten gibt es Linseneintopf für alle!“