Armutsfalle

19 03 2015

„Also mal ehrlich, ich weiß manchmal direkt nicht, was ich essen soll. Schlimm! Und dann sitzt man da ganz alleine, hat vielleicht noch ein trockenes Brötchen, eigentlich möchte man nur noch ins Bett, alles vergessen, aber man kann halt nicht. Die Autobahnen sind auch nachts manchmal dicht, sagt mein Chauffeur, und dann fühlt man sich sehr, sehr alleine nach so einer Vorstandssitzung.

Das müsste man nämlich mal in einen von diesen Armutsberichten reinschreiben! Ich will ja nichts über Bundesregierungen sagen, abgesehen vom Preis-Leistungs-Verhältnis, das war auch schon mal besser, aber da ist doch etwas gewaltig in Schieflage geraten. Man hat ja durchaus noch Verständnis für Leute, die sich keinen Firmenwagen leisten können, weil sie gar nicht arbeiten, aber irgendwo ist doch mal Schluss. Jetzt erhöhen sie denen auch noch das Wohngeld. Meine Güte, wo sollen denn unsere Angestellten unterkommen, wenn die da jede halbwegs bezahlbare Wohnung einfach besetzen? Geht’s noch!?

Nein, diese neue Studie fand ich doch sehr hilfreich. Die könnte auch helfen, die Verhältnisse in Deutschland mal wieder gerade zu rücken. Diese Jammerlappen, die gar nicht arbeiten – gut, ich kenne auch ein paar Leute, die arbeiten nicht, aber die haben eben keine Zeit dazu. Meine Frau beispielsweise muss einfach die neue Kollektion auschecken, das hilft alles nichts, und Lederwaren kommen nun mal nicht aus Bad Münstereifel. Da sind wir dann schon wieder bei dem alten Dilemma, eine Nacht im Hotel verbringen, fünf Sterne natürlich, man möchte sich ja nicht mehr ekeln als nötig, wenn man schon zum Frühstück deutsch sprechendes Personal um sich herum hat, also Hotel oder gleich mit dem Jet nach Hause. Na, oft siegt dann die Bequemlichkeit, sie übernachtet bei Freunden und dann setzt sie das als besondere Belastung von der Steuer ab. Sie ahnen ja gar nicht, mit was für Typen man heutzutage befreundet sein muss, um gesellschaftlich anerkannt zu sein.

Diese neue Studie finde ich doch sehr gut. Schauen Sie sich das mal an. Als Familie mit zwei Kindern mit 1873 Euro im Monat ist man da arm – ich frage Sie, muss man das denn alles auf das Geld reduzieren? Kann man nicht viel wichtigere Dinge finden, die uns in der Gesellschaft kennzeichnen? Beispielweise Familie. Hat man ja schon mal, ich will mich da nicht ausnehmen, obwohl ich meine so gut wie nie sehen muss, meine beiden Söhne sind auf Internaten, zwei natürlich, altersspezifisch, vielleicht lasse ich den einen bei Gelegenheit auch auf das andere umziehen, dann ist er auch aus Europa weg und ich habe wenigstens die Wochenenden frei, man muss ja auch mal an sich selbst denken. Aber für Menschen mit eher einfacher Sozialstruktur kann da doch ganz schön sein, eigene Kinder aufziehen, auch wenn man denen hinterher nicht wirklich was vererben kann. Auch irgendwie peinlich, könnte ich mir vorstellen, aber wenn die sich reich fühlen, so im übertragenen Sinne, mein Gott, warum denn nicht?

Und erst die ganze Freizeit! So ein Arbeitsloser, der dreht sich doch um zehn noch mal um und schläft, bis im Parasitenfernsehen das Programm anfängt. Das hat unsereins schon mal einen Sektempfang und den üblichen Termin beim Anwalt hinter sich, da haben diese Leute noch nicht mal die Unterhose hochgezogen. Das will man ja gar nicht verurteilen, mein Gott, aber wenn’s nach mir ginge, ich denke so am kalten Büfett auch manchmal, die ganze Zeit wieder nur Hummer fressen ist doch auch langweilig, jetzt schön nach Miami jetten und dabei einen Jahrgangschampagner wegzischen, das wäre viel netter als diese ganzen gesellschaftlichen Verpflichtungen. Und da frage ich Sie, wer ist denn hier eigentlich arm und wer ist reich? Na!?

Dass die ganzen Typen da noch in Freiheit leben dürfen, auch wenn sie total unproduktiv sind und nicht mal Lotto spielen, ist das denn nichts? Die dürfen noch wählen und für die gilt teilweise auch noch das Grundgesetz, solange sie nicht gerade mit dem Amt zu tun haben, aber das nehmen sie alles als Selbstverständlichkeit hin. Im Grunde sind doch wir es, die heute in Unfreiheit leben – wo kann man denn noch hin, ohne dass man dieses Pack ständig in den Augenwinkeln auftauchen sieht?

Wenn man sich diesen Beziehungsreichtum mal genau ansieht, das sind doch wirklich Verhältnisse, mit denen unsereins gar nicht mithalten kann! Man kommt doch kaum in so eine Tafel, man wird in einem Sozialkaufhaus sofort schräg angesehen, im Second-Hand-Laden sind sie ja schon schräg drauf, aber das kann man doch wirklich nur privilegiert nennen! Wenn die irgendwann mal unter der Brücke landen, und das ist nicht mal so unwahrscheinlich angesichts ihres unsteten Lebenswandels, dann brauchen sie das wohl auch, aber dürfen wir ärmeren Menschen da nicht einfach mal ein wenig neidisch sein auf so viel soziale Eingebundenheit? Weil die überhaupt nicht merken, dass im Grunde wir es sind, die am Bettelstab gehen? Weil die eigentlich überhaupt nichts mehr merken!?

Klar, Sie wollen keine sozialen Unruhen. Würde ich auch nicht gut finden. Also tun Sie einfach mal was für Ihr schlechtes Gewissen und reduzieren Sie den Spitzensteuersatz.“