Auf den ersten Blick sah es aus wie ein ganz normales Call-Center. Zu meiner Überraschung entpuppte es sich auch sofort als eines. „Wir bieten etwas für jeden Geschmack“, informierte mich Briskow. „Ob Sie jetzt auf Feng Shui oder eher die traditionelleren Sachen stehen, hier werden Sie geholfen.“
Drei Dutzend schläfrig aussehender Gestalten hockten vor ihren Bildschirmen, Kopfhörer auf den Ohren, und zwei von ihnen redeten. „Das ist der Wagen“, hauchte Marlene ins Mikrofon, „und daneben ist der Eremit. Sie werden sich also vollenden, aber das könnte auch eher als eine Art Rückzug aus der Außenwelt gedacht sein.“ Der Anrufer musste wohl gerade zu einem größeren Monolog ausgeholt haben, denn sie klappte den Bügel etwas zur Seite. „Tarot“, flüsterte sie heiser. „Jetzt nach den Festtagen sind die meisten Singles etwas gestresst und brauchen handfeste Hilfe. Ich mache ja nebenher noch einen Ohrkerzen-Versand im Internet, aber die wollen sich halt alle die Karten legen lassen, weil das schneller geht.“ Schon hatte sich Marlene wieder den Bügel zurechtgezupft. „Und Sie werden sich nun definitiv einen Kombi kaufen? Der Gehängte gibt Ihnen recht. Sie entwickeln sicherlich die notwendige Geduld, um mit einem neuen Auto zurechtzukommen.“
Justus spielte mit einem Kugelschreiber. „Ich spüre einen starken Querdrang“, sprach er mit monotoner Stimme. „Jetzt ist es ganz waagerecht, wie auf einer gezogenen Linie zwischen Ihren Wünschen und meiner Gedankenkraft. Spüren Sie auch, wie mein Pendel hin- und herschwingt?“ Die Anruferin spüre nicht wirklich etwas; kein Wunder, Justus war der abgenagte Schreiber unter den Tisch gerutscht. „Früher hatte ich Krafttierberatung, aber das ist jetzt ja so gut wie unverkäuflich.“ Er angelte mit der Fußspitze nach dem Kuli. „Marlene hatte mir neulich ein Angebot gemacht, wir könnten bei ihrer Schwester Informationswasser auf Flaschen ziehen und verkaufen. Aber ganz ehrlich, ich weiß nicht.“ Ich nickte mitfühlend. „Und dann meinte sie auch noch, wir sollten das Zeug gar nicht vorher mit Silberlöffelchen umrühren, wie es im Prospekt steht.“ Meine Empörung kannte keine Grenzen. „Das wäre ja glatter Betrug!“
„Der Markt“, klagte Briskow, „ist ja inzwischen vollkommen zersplittert. Früher konnten Sie einen Anthroposophen einstellen, der hat Ihre komplette Kundschaft verarztet, und am Wochenende hat er noch bei den Homöopathen ausgeholfen.“ Der Geräuschpegel verriet, dass soeben eine Menge frustrierter Angestellter nach Hause gekommen sein musste, die ihren Tag zu verarbeiten hatten. „Heute müssen wir mittwochs und freitags karmisches Hüpfen anbieten oder Erdstrahlensynthese, sonst rufen die Leute woanders an.“ Ich verstand. „Und dann haben wir auch noch diese alte Telefonanlage, die ständig Fehler produziert.“
Tatsächlich hörte man aus dem polyphonen Brei eine Menge Klagelaute. Die Spezialistin für Ätherleibgymnastik mühte sich mit einem stark übergewichtigen Jünger der Quantenheilung ab, der einfach kein Vertrauen in Himalayasalz fassen konnte. Ihre Finger krampften sich um die Schnur, während ihr Nebenmann offensichtlich starke Schwierigkeiten hatte, den Ausführungen der Anruferin zu folgen. Er sprach nicht nur kein Wort Henochisch, sie konnte vermutlich auch nichts mit dem Thema Lichtnahrung anzufangen. „Es geht alles bunt durcheinander“, seufzte Briskow. „Die meisten Anrufer kommen noch einmal oder zweimal zurück, aber wenn sie nicht irgendwann zu ihrem Experten durchgeschaltet werden, verlieren sie die Lust.“ Ich klopfte ihm aufmunternd auf die Schulter. „Machen Sie sich nichts daraus, die Dummen wachsen nach.“
Er musste es wohl überhört haben. Jedenfalls eskalierte die Sache, denn hier und da schwoll das Gewirr hysterisch an. „Lassen Sie mich mal“, sagte ich kurz entschlossen, griff mir einen Kopfhörer und drückte auf die rote Taste, um mir den nächsten Anrufer in die Leitung zu holen. „Ihre Familienaufstellung ging schief“, informiert ich Briskow. „Könnten Sie vielleicht beim nächsten Channeling Ihrem Hilfsgeist sagen, dass er seinen Astralleib waagerecht hält? Sie würden sonst durch die Projektion in Ihre Traumsphäre eine kopfgelenkinduzierte Symmetriestörung erleiden.“ Der Leiter sah mir ängstlich zu. „Cool“, keuchte Marlene heiser. „Haben Sie in den letzten beiden Jahren schon mal einen plötzlichen Schmerzanfall gehabt? Sehen Sie!“ Die Dame hatte sich zwar nur an der Türkante gestoßen, aber immerhin. „Das sind Ihre Eigenbalance-Schwingungen, die Sie aus dem Gleichgewicht gebracht haben. Wir empfehlen da meistens Natrium chloratum C30. Oder Sie könnten eine Energiepyramide in die Glücksecke stellen, wenn Sie gerade keine Klangschalen zur Hand haben. Rufen Sie gerne morgen wieder an, aber vorher bitte sämtliche Chakren im Uhrzeigersinn fokussieren, sonst sind die Quanten nicht rechtwinklig, und dann haben wir den Salat.“
„Großartig!“ Briskow staunte. „So machen wir das jetzt – jeder bekommt… ja, was eigentlich?“ „Den passenden Rat“, verkündete ich. „Und den jungen Mann da, den würde ich auch mal wecken. Hat der nichts zu tun?“ „Doch“, erklärte Briskow. „Aber das wird kaum verlangt. Er macht nur Katholizismus.“
Satzspiegel