Ich kam gerade ungelegen. Oder das Telefonat. Während das Gemurmel im Großraumbüro langsam zu einem konturlosen Einerlei zusammenschmolz, jodelte das Telefon der Chefredakteurin schrill in die elegante Sachlichkeit des Büros. Noch immer hatte sie sich nicht daran gewöhnt. „Hitler TV“, schnurrte sie in den Hörer, „Heil?“
„Lassen Sie mich raten“, fragte ich mit sanfter Ironie, „Ihre Anwälte sind die Kollegen Sturm, Stahl und Heer?“ Ärgerlich wischte sie es weg. „Ich hätte auch den Mädchennamen behalten können, ja. Aber das war eben vor diesem Karriereschritt.“ „Immerhin gutes Marketing“, fügte ich trocken an. „Ihre Corporate Identity geht bis in die Führer-, nein: Führungsetage.“ Beate Heil biss die Zähne zusammen, ihre Stirnader schwoll merklich. Aber was kümmerte mich das.
„Wir haben irgendwann einfach eine große Chance gesehen.“ Der Sendeplan gab ihr recht. Sieben Tage die Woche, rund um die Uhr flimmerte der Irre mit dem Zahnbürstenbärtchen über die Mattscheibe. „Das Gute ist ja, dass man diese alten Materialien ganz nach Belieben neu recyceln kann, in jeder Reihenfolge, in jedem Zusammenhang.“ Und manchmal ganz ohne einen solchen. Das zeigte ihr neues Exposé. Hitler mit zwei Damen der Halbgesellschaft, lachend, scherzend, ernst und in einer Studie für einen inszenierten Wutanfall. „Wir würden gerne eine dreiteilige Charakterstudie über ihn als Mann machen.“ Ich runzelte die Stirn. Sie musste es bemerkt haben. „Natürlich als Mann im Sinne von Männlichkeit aus der heute gültigen gesellschaftlichen Perspektive“, schob sie hastig nach. „Machen Sie einen Aufsteiger aus ihm“, riet ich ihr. „Vom Männerwohnheim direkt in den Olymp der politischen Verantwortung, wo seine Sorge um das Reich zunächst nur sehr exklusiv bemerkt wurde.“ „Das hatte ich auch schon erwogen“, antwortete Heil gedankenverloren. „Man müsste nur mal sehen, ob es das nicht schon gibt.“
Das Logo des Senders bestand, verständlich, aus jenem bartförmigen Nasenauswuchs und der schräg hinabrinnenden Scheitelsträhne. Ein bisschen albern sah das schon aus, vor allem während der Nachrichtenmagazine. „Dabei berichten wir streng neutral“, betonte die Chefin. „Wenn irgendwo Flüchtlingsunterkünfte brennen, bringen wir das als erste Meldung, und wir finden es natürlich ganz schlimm.“ „Verstehe“, nickte ich. „Erst beim Reichtagsbrand wird’s dann patriotisch.“
„Aber vielleicht sind Sie ja doch interessiert, uns ein wenig kreativ unter die Arme zu greifen.“ Ich stellte mir gerade vor, sie bekäme den rechten nicht mehr schräg in die Höhe – eine leicht abgewinkelte Geste ad usum Adolfini wäre mit großer Mühe noch drin – und müsste sich stützen lassen. Aber es handelte sich dann doch nur um ein mehrteiliges Skript über die alltäglichen Gewohnheiten des Gröfatzke. „Sie kennen sich doch damit aus“, lockte sie. „Vegetarische Ernährung, Mehlspeisen, Pudding – ich möchte damit nicht etwa ein neues Feindbild aufbauen, aber es dürfte für zwei bis drei Folgen schon so aussehen.“ „Gandhi“, gab ich zurück, „war übrigens auch Vegetarier.“ Sie schüttelte es ab. „Aber das ist nun mal nicht unsere Zielgruppe. Hier will der deutsche Spießer seine Faszination für Hitler ausleben, notfalls auch unter Schmerzen.“
Die Tür quiekte. „Die Serie mit den Autos wäre dann fertig.“ „Vier Folgen“, informierte Heil. „Viermal fünfzig Minuten. Das wird natürlich kein Zuckerschlecken, denn welcher Autohersteller wird schon sein Fabrikat mit Adolf bewerben wollen?“ Ich kratzte mich am Kinn. „Da fiele mir spontan der eine oder andere ein.“ Sie winkte ab. „Keine Chance. Dazu sehen die uns als Spartensender.“ Die Auflistung der Geldgeber belehrte mich rasch eines Besseren. „Wir hängen es nicht so an die große Glocke, aber es gibt noch ein paar national gesinnte Konzerne in Deutschland.“ Sogar die vegetarischen Lebensmittel dürften für vier Folgen reichen.
„Wir sehen uns als Gesamtkunstwerk“, dozierte sie. „Hier mal ein bisschen Fernsehen, da das ehemalige Nachrichtenmagazin – die Deutschen wollen nicht immer nach den Inhalten suchen. Wir bieten den gebündelten Hitler, und ich möchte das nochmals in aller Deutlichkeit sagen, dass…“ „Ich weiß.“ Sie versuchte es gar nicht erst. Da sich der Sender größtenteils über den Devotionalienhandel finanzierte, erübrigte sich die Diskussion.
Doch sie ließ nicht locker. „Wir wollten ja eigentlich eine echte Vorabendserie“, begann sie schmeichlerisch. „Und da hatten wir an Sie gedacht. Fällt Ihnen nicht etwas ein?“ „Eine Telenovela über diesen Psychopathen?“ Sie hob abwehrend die Hände. „Wir wollten vielleicht vorerst nur die Tagebücher verfilmen, aber wir haben noch keinen gefunden, der die Sache finanziert.“ Ein Fleischproduzent schwebte mir vor, oder aber ein Rüstungskonzern.
Im Großraumbüro murmelte es weiter vor sich hin, ein endloser Strom des Vergessens. Vielleicht würde es sich versenden. Oder Guido Knopp könnte seine Rente ein bisschen aufbessern. Eine leicht hysterische Stimme fragte, wer denn den totalen Krieg wolle. Aber da kam auch schon der Fahrstuhl.
Interessant das Konzept. Natürlich ist es Zufall, dass sowas jetzt veröffentlicht wird, wo gerade mit dem wahrscheinlichen Sendelizenzentzug bei Astro-TV Kanäle frei werden 😜. Aber mal im Ernst: wenn Hitler-TV erstmal sendet, können wir uns den Teil der Rundfunkgebühren, die das ZDF bekommt schon mal sparen. Prototyp wäre es gleichzeitig für Adenauer-TV. Damit wär dann auch die ARD wegrationalisiert. Große Pläne, große Träume – und die Kanzlerin ist auf dem Wegzu der Stelle, an der gestern ein Flüchtlingsschiff mit 400 Seelen an Bord sank? Vlt. Kann sie jemand dezent von hinten schubsen. „Mann über Bord“ rufen is nich, sonst gibt’s Ärger mit der Gleichstellungsbeauftragten.
Bis jetzt hatte ich immer nur die Vision, n-tv könnte sich erledigen, die Deppendichte unter den RTL-Zuschauern so weit sinken, dass der Sender in die Grütze reitet, das intellektuell verweste Bibel-TV-Publikum seinem masochistischen Drang nach Unterdrückung in einem autoritären System nachgeben… Die Kettenreaktion ist noch nicht vollständig, vermutlich wären die GEZ-Konzerne erst als Kollateralschäden dran, wenn die restlichen Trümmer schon nicht mehr rauchen.
Oh, solltest Du mich so verstanden haben, dass ich Privat-TV mehr schätze als ÖR-Rundfunk: nein, ich schau kein TV (außer ab und zu Fuppes und selten „Die Anstalt“). Ich kann das jedem nur empfehlen. Als meine Eltern mich neulich nötigten mit ihnen die tagesschau zu schauen, war ich entsetzt, wie unverholen plump selbst dort inzwischen in dpmmlichster Weise Regierungs-Propaganda betrieben wird.
Dann habe ich mich wohl auch falsch ausgedrückt. Es sollte nämlich auf keinen Fall so klingen, als seien die Staatssender einen Deut besser als die kommerziellen Kanäle. Und man merkt an der Bezeichnung Lügenpresse, dass mitnichten die Printmedien gemeint sind, sondern nur das Fernsehen, die Hauptinformationskontrolle der intellektuell andersartig Begabten.
„Intellektuell andersartig Begabte“? Heißt das politically correct nicht inzwischen „kognitiv Herausgeforderte“?
Was die Sparten betrifft, übernimmt der neue Sender dann auch den „Ratgeber: Rechts“? So als Rechtsnachfolger von ntv? (Kann leider keine Links einbringen)
Oder „nachhaltig Behämmerte“, je nach Sonnenstand, Parteibuch und Basiszinssatz.
Vermutlich wird das Format den N-N-N (Neueste Nationale Nachrichten, extra 3) weichen müssen.